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KOLLATERAL/000: Südsudan - Humanitäre Krise spitzt sich zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juni 2015

Südsudan: Humanitäre Krise spitzt sich zu

Von Ann-Kathrin Pohlers


Bild: © Jared Ferrie/IPS

Flüchtlinge im Jamam-Lager in südsudanesischen Bundesstaat Upper Nile graben nach Wasser
Bild: © Jared Ferrie/IPS

MÜNCHEN (IPS) - Im Südsudan haben sich die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt und der humanitären Krise nach dem Scheitern der Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Opposition zerschlagen. Befürchtet wird, dass sich die Ernährungslage und die Sicherheit der Bevölkerung weiter verschlechtern.

Während die Ende 2013 ausgebrochene Gewalt, die Brandschatzungen, Zerstörungen und Plünderungen weitergehen, nehmen auch die Kämpfe um die Kontrolle der Ölfelder im Norden des Landes an Intensität zu.

"Der Südsudan befindet sich in einer Spirale der Gewalt, und die Chancen, dass die grauenhaften Übergriffe geahndet werden, sind gleich null", meint Skye Wheeler, ein Südsudan-Experte von 'Human Rights Watch' (HRW) in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Bisher hat der bewaffnete Konflikt 10.000 Menschen das Leben gekostet und zwei Millionen Menschen vertrieben. Hilfsorganisationen sprechen von einer schweren humanitären Krise.

Das Weltkinderhilfswerk UNICEF prangert seit Wochen die brutale Gewalt gegen Zivilisten an. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, Frauen und Mädchen vergewaltigt sowie Kinder getötet. Am schlimmsten betroffen sind die Bundesstaaten Unity im Norden und Jonglei im Osten. Es ist unklar, welche Partei für welche Verbrechen verantwortlich ist.

Schätzungen zufolge wurden 13.000 Kinder unter 15 Jahre von den Konfliktparteien rekrutiert - nach nationalem und internationalem Recht ein Kriegsverbrechen.

Ein weiteres gravierendes Problem ist die darniederliegende Landwirtschaft.

"Jetzt wäre es an der Zeit, das Saatgut auszubringen, doch die Menschen sind auf der Flucht", sagt Pawel Krzysiek vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) in der südsudanesischen Stadt Juba. Somit ist eine fortgesetzte Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe programmiert.

Wie von der internationalen Hilfsorganisation Oxfam zu erfahren ist, sind zwei Drittel aller Südsudanesen von Ernährungsunsicherheit betroffen. 7,8 Millionen befinden sich bereits in den fortgeschrittenen Phasen zwei bis vier der Nahrungsmittelunsicherheit.

Ernährungsexperten unterscheiden je nach Schwere des Nahrungsmittelmangels zwischen vier Phasen: der Ernährungsunsicherheit als temporäres Problem, das Bauern etwa zum Verkauf entbehrlicher Haushaltsgüter, dem Verzehr preiswerter Nahrungsmittel minderer Qualität, zur Suche nach Arbeit, Einsparungen und Krediten zwingt. Phase zwei kennzeichnet eine Ernährungskrise, die existenzbedrohende Aktivitäten wie den Verkauf landwirtschaftlicher Gerätschaften, das Schlachten von Nutztieren und die Aufnahme von Hypotheken auf ihr Land erforderlich macht. In Phase drei sind Menschen jeglicher Möglichkeit beraubt, sich selbst zu ernähren und von Nahrungsmittelhilfe abhängig. Phase vier ist gleichbedeutend mit einer Hungersnot, von der man dann spricht, wenn die Ernährungshilfe nicht ausreicht.

Erwartet wird, dass die Zahl der hungernden Menschen bis Ende Juli auf 4,6 Millionen ansteigen wird. Das entspräche einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 40 Prozent.

Nach Angaben der Hilfsorganisationen leiden bereits 800.000 Menschen unter einem extrem ausgeprägten oder lebensgefährdenden Hunger. Aus einer Oxfam-Mitteilung vom 27. Mai geht hervor, dass diese Einschätzung noch aus der Zeit vor dem Scheitern der letzten Friedensgespräche stammt. Inzwischen dürfte sich die Situation von tausenden weiteren Menschen verschlechtert haben. Leidtragende sind auch die Kinder. Deren Unterernährung hat in 80 Prozent aller Landkreise der Bundesstaaten in Greater Upper Nile, Warrap und Northern Bahr El Ghazal ein kritisches Ausmaß erreicht.

Die Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe wird sich mit steigenden Flüchtlingszahlen weiter verschärfen. Helfer stehen zudem vor der Herausforderung, die besonders notleidenden Bevölkerungsgruppen zu erreichen. "Das IKRK versorgt bereits um die 120.000 Menschen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Bei den Opfern handelt es sich um Vertriebene", so Krzysiek. Derzeit sind 500.000 der zwei Millionen Vertriebenen vollständig von Hilfslieferungen abgeschnitten.

Auch für die Hilfsorganisationen selbst wird die Situation zunehmend kritisch. Die fortgesetzte Gewalt begrenzt die Möglichkeiten und Kapazitäten verschiedener Hilfsgruppen.

Krzysiek zufolge kam es zu Angriffen auf die medizinischen Zentren in Unity und in Jonglei. Etliche Einrichtungen wurden zerstört. Hilfsorganisationen sahen sich gezwungen, ihre Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen aus den Konfliktregionen abzuziehen.

Das IKRK wiederum hat seine Basis von der Stadt Kodok nach Oriny verlegt - mit negativen Folgen für viele Zivilisten. "Das Krankenhaus von Kodok ist das einzige in der Region und deshalb besonders wichtig. Die Menschen haben nun einen noch begrenzteren Zugang zu den Gesundheitsdiensten und der Nahrungsmittelhilfe", wie Jean-Yves Clemenzo am Hauptsitz des IRKR in Genf im IPS-Gespräch berichtet.

Stellen die Hilfsorganisationen ihre Arbeit ein, wäre dies für die Hälfte der zwölf Millionen Südsudanesen eine Katastrophe, da sie fast vollständig von den Hilfslieferungen dieser Verbände abhängen. UNICEF zufolge liegt der Bedarf allein für die Versorgung der Kinder bis Ende des Jahres bei 165 Millionen US-Dollar.

HRW sorgt sich auch um die zunehmende Verschlechterung der Sicherheit im Land. In den letzten Monaten hat die Menschenrechtsorganisation Dutzende Fälle willkürlicher Verhaftungen, Misshandlungen und Folter dokumentiert. Die Verantwortlichen konnten nicht ermittelt werden. "Es deutet alles darauf hin, dass wir eine Neuauflage der Ereignisse von Ende 2013 erleben, als Regierungstruppen brandschatzend, plündernd und zerstörend durch die Gebiete zogen", berichtet Wheeler.

Der Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Er wurde 2011 nach einem zwei Jahrzehnten währenden Unabhängigkeitskrieg zwischen dem christlichen Süden des Sudans, dem heutigen Südsudan, und dem muslimischen Norden unabhängig. Der Frieden nach dem Ende des Konflikts mit 2,5 Millionen Toten war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Dezember 2012 kam es zwischen dem südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir und seinem damaligen Vize Riek Machar zu einem Machtkampf, der in Gewalt ausartete, als Machar bezichtigt wurde, die Absetzung Kiirs zu planen.

Seit dem 15. Dezember 2013 herrscht wieder Krieg in dem Subsahara-Land. Der Versuch, den bewaffneten Konflikt im März durch Friedensverhandlungen zu beenden, die die Zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde in der äthiopischen Hauptstadt ausgerichtet hatte, ist Anfang Mai gescheitert. Daraufhin belegte der UN-Sicherheitsrat das Land mit Sanktionen. Unter anderem wurden südsudanesische Politiker und Organisationen, die im Verdacht stehen, "direkt oder indirekt für Aktivitäten verantwortlich zu sein, die den Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität des Südsudans gefährden", mit Reiseverboten belegt. Ihre Konten wurden eingefroren. (Ende/IPS/kb/02.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/05/humanitarian-crisis-in-south-sudan-continues-to-worsen/

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IPS-Tagesdienst vom 2. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2015

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