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WIDERSTAND/002: Libyen - Die Waffen im Anschlag, Gaddafi-Getreue geben nicht auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2012

Libyen: Die Waffen im Anschlag - Gaddafi-Getreue geben nicht auf

von Mel Frykberg


Schauplatz eines Bombenanschlags in Tripolis - Bild: © Mel Frykberg/IPS

Schauplatz eines Bombenanschlags in Tripolis
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Tripolis, 15. August (IPS) - In Libyen ist die Sicherheitslage weiterhin gespannt. Es kommt zu Bombenanschlägen, Morden an hochrangigen Militärs und Regierungsvertretern und Angriffen auf Diplomaten. Bewaffnete Anhänger des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi erklärten gegenüber IPS, dass sie ihren Krieg gegen die neue Regierung fortsetzen werden.

"Wir warten auf den richtigen Moment. Wir werden nicht aufgeben. Wenn sie (die neue Regierung) sich einbilden, dass wir am Ende sind, täuschen sie sich", versicherte Ahmed, ein ehemaliger Soldat des früheren Diktators, der letztes Jahr aus einem Häftlingslager der Rebellen geflohen ist.

Wie Ahmed im Hauptstadtviertel Abu Salim erklärte, hat er während der Revolution mehrere Rebellen getötet. Aus Sicherheitsgründen waren er und andere, die IPS ein Interview gaben, nicht bereit, ihre Nachnamen zu nennen geschweige denn sich fotografieren zu lassen. "Jeder Mann in dieser Nachbarschaft ist bewaffnet, doch wir haben unsere Waffen vergraben, weil hier dauernd Razzien durchgeführt werden", so Muntasser, ein weiterer Gaddafi-Loyalist.

Abu Salim war während der Revolution Schauplatz heftiger Kämpfe gewesen. Jetzt ist der Stadtteil eine Bastion der Gaddafi-Anhänger. Kurz vor dem Tod des ehemaligen Machthabers war Abu Salim, als die Loyalisten ihren letzten verzweifelten Versuch unternahmen, der Revolution zu trotzen, mit Waffen überschwemmt worden.


Maulkorb für Journalisten

Verschärft wird die kritische Lage in Libyen auch durch Versuche der Sicherheitskräfte, die Verbreitung von Presseberichten zu verhindern. So werden ausländische Journalisten daran gehindert, über die Übergriffe zu berichten und Fotos zu machen.

Am 11. August detonierte vor dem Hotel 'Four Seasons' in der Omar Al Mukhtar-Straße in Tripolis eine Bombe. Sie war für ein dort abgestelltes Fahrzeug der libyschen Streitkräfte bestimmt. Bei dem Anschlag wurde eine Person verletzt. Eine Woche zuvor war vor dem Hauptquartier der Militärpolizei in derselben Straße ebenfalls ein Sprengsatz explodiert.

Die Sicherheitskräfte gehen davon aus, dass Gaddafi-Anhänger hinter dem Anschlag vom 11. August stecken. "Diese Tahloob (Gaddafi-Getreuen) nehmen den Mund ziemlich voll. Sie reden von einer Konterrevolution, die sie gegen die Bewegung des 17. Februar führen wollen. Doch letztendlich werden ihnen nur kleine Sabotageakte gelingen", versicherte einer der Sicherheitskräfte, der sich nach dem Bombenattentat am Ort des Geschehens eingefunden hatte. Der 17. Februar ist der Tag, an dem die Revolution offiziell ihren Anfang nahm.

Kurz nach dem Anschlag wurde der Informationsfluss unterbunden. Schwer bewaffnete Soldaten verhinderten die Aufnahme von Fotos, und ein Sprecher des Innenministeriums verweigerte jeden Kommentar.


Berichte über Existenz einer Terrorzelle

In der Woche zuvor waren bei einem Einsatz der Sicherheitskräfte auf einer Farm, auf der sich Gaddafi-Getreue versteckt hatten, mehrere Tahloob getötet worden. Sie werden für den Bombenanschlag vor dem Hauptquartier der Militärpolizei am 4. August verantwortlich gemacht. Einer der Überlebenden soll eine Terrorzelle in Libyen aufgebaut und mit Waffen aus Tunesien versorgt haben, "um das Land zu destabilisieren".

Der libysche Geheimdienst teilte mit, dass die Gruppe in Besitz weiterer sieben Bomben gewesen sei. Bei dem Überlebenden seien zudem Dokumente gefunden worden, die auf eine Verbindung der Gruppe mit Gaddafis Sohn Saadi schließen ließen, der derzeit im Niger unter Hausarrest steht. Saadi hatte unlängst erklärt, mit einer Terrorzelle in Kontakt zu sein, die im libyschen Untergrund den Widerstand organisiere.

Doch auch in anderen Teilen des Landes ist die Lage kritisch. So wurden in den letzten drei Wochen in Bengasi mehr als zwei Dutzend hochrangiger Militär- und Regierungsmitglieder getötet. Viele der Opfer stammten ursprünglich aus dem Gaddafi-Lager, waren dann aber zu den Rebellen übergelaufen.

Am 10. August war es acht Häftlingen gelungen, nach einem koordinierten Angriff aus dem Al Fornaj-Gefängnis in Tripolis auszubrechen. Bewaffnete in Pickups hatten vor dem Gefängnis auf die Gefängniswachen geschossen, während Inhaftierte Teile des Gefängnisses in Brand setzten und mehrere Wärter überwältigten. Das war der dritte Anschlag auf das Gefängnis seit dem Ausbruch der Revolution, und es dauerte Stunden, bis die Behörden die Situation wieder unter Kontrolle hatten.

Im Verlauf der letzten Wochen wurden Installationen der Sicherheitskräfte und Hotels in Bengasi bombardiert. Auch ausländische Diplomaten und Botschaften gerieten in die Schusslinie. Das US-Botschaftspersonal in Tripolis entkam kürzlich nur knapp einer Entführung. Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes mussten nach Granaten- und Raketenanschlägen auf dessen Büros evakuiert werden und ihre Arbeit vorübergehend einstellen.

Auch kommt es weiterhin zu Entführungen. Bis heute ist unklar, was aus den Mitarbeitern des Roten Halbmonds geworden ist, die vor einigen Wochen in Bengasi verschleppt worden sind. Kleinere Scharmützel weiten sich regelmäßig zu schweren Gefechten aus. Die IPS-Korrespondentin, die einen dieser Kämpfe beobachtet hatte, wurde daraufhin mit seinem AK47-Sturmgewehr bedroht. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/08/gaddafi-loyalists-up-in-arms/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2012