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STELLUNGNAHME/009: Distanzierungserklärung zum BAK-Shalom in der Causa Finkelstein ['solid Hamburg]


Landesverband Hamburg der Linksjugend ['solid] - 4. März 2010

Eine inakzeptable Aktion

Distanzierungserklärung des Landesverbands Hamburg der Linksjugend ['solid] vom Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom und anderen Verbandsgliederungen der Linksjugend ['solid] in der Causa Norman G. Finkelstein


Wir als Mitglieder des Landesverbands Hamburg der Linksjugend ['solid], eines linken und friedenspolitisch orientierten Jugendverbandes, sehen es als unsere Pflicht an, uns sowohl von den Unterstellungen, Behauptungen und Verleumdungen als auch vom Vorgehen des BAK Shalom und anderer Verbandsgliederungen der Linksjugend ['solid] im Rahmen der Mobilisierung gegen die geplante Veranstaltung "1 Jahr nach dem Überfall der israelischen Armee auf Gaza - die Verantwortung der deutschen Regierung an der fortgesetzten Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung" mit Norman G. Finkelstein zu distanzieren.

Die propagandistische Mobilmachung - der BAK Shalom entblödete sich nicht, den Vorwurf des Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus grundlos zu instrumentalisieren und inflationär zu gebrauchen - und die organisierte Kundgebung gegen die Veranstaltung sind völlig inakzeptabel. Auch die implizite Unterstellung, die Veranstaltung würde unausgewogen und unsachlich verlaufen, ist anmaßend, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Bellizisten wie Stephan Grigat und Thomas von der Osten-Sacken bei der Sommerakademie der Rosa-Luxemburg Stiftung 2009 gern gesehen waren.

Schon seit geraumer Zeit nehmen wir die neokonservativen Standpunkte und die verwerflichen Methoden des BAK Shalom in unserem Verband sowie in der Öffentlichkeit mit inhaltlicher Ablehnung und Abscheu zur Kenntnis. Uns ist z.B. die Befürwortung des israelischen Völkerrechtsbruch im Gazastreifen 2008, die offensichtlich den Grundsätzen unseres Verbands und der Partei DIE LINKE widerspricht, noch in guter Erinnerung. Die politische sowie juristische Aufarbeitung des Gazakriegs, bei dem ca. 1500 Palästinenser getötet wurden, ist bis heute dringend erforderlich. Vielleicht hätte Herr Finkelsteins Vortrag zu diesem legitimen Anliegen beitragen können. Wir bedauern, dass dieses Vorhaben und die notwendige Diskussion über die anhaltende Blockade des Gazastreifens durch die infamen Angriffe - auch von Mitgliedern unseres Verbandes - gänzlich in den Hintergrund geraten sind.

Uns überrascht das herablassende und verachtenswerte Auftreten gegenüber einem jüdischen Sohn von Überlebenden der Shoah jedoch nicht mehr. Wir haben zu viele Tabubrüche sogenannter "Antideutscher" in den letzten Jahren beobachten müssen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Hatz gegen Kriegsgegner, Friedensbewegte, Kritiker der israelischen Regierungs- und Besatzungspolitik und andere Linke sich auch offen und vermehrt gegen Juden richten würde, die nicht dem "antideutschen" Idealtypus des "wehrhaften Juden" entsprechen und sich herausnehmen, die Politik des Staates Israel zu kritisieren. Was für ein eindimensionales und gefährliches Gerücht über die Juden wird durch ein solches Vorgehen eigentlich in die Welt transportiert?

Auch die nachträgliche Korrektur eines Passus' des Aufrufs gegen die o.g. Veranstaltung, in dem Finkelstein seine jüdische Identität abgesprochen wurde, ändert nichts grundlegend am Gestus und den Absichten junger Deutscher, jüdische Kritiker der israelischen Staatspolitik in Deutschland 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mundtot machen zu wollen, selbst wenn sie über das Fehlverhalten der Bundesrepublik sprechen wollen. Die rückwirkende Änderung belegt vielmehr, wie selbstverständlich Deutsche mittlerweile wieder als Herren in der Welt sogar gegenüber Juden auftreten können, solange sie sich an die deutsche Staatsräson halten. Man steht auf, wenn Schimon Peres im Bundestag redet, gedenkt staatsoffiziell, ohne zu erinnern, liefert Waffen, aber man schweigt oder packt ordentlich zu, wenn den Dissidenten in Deutschland das Rederecht streitig gemacht wird.

Die deutsche Staatsräson kann aber für Linke keine Orientierung sein. Wir fragen uns: Wie kommt es eigentlich, dass die Mitglieder des BAK Shalom, als im Dezember 2008 und Januar 2009 die Bomben auf die Häuser in Gaza fielen, sie nicht auf der Seite der Friedensdemonstrationen standen? Während israelische Linke und mehrere Tausend andere Isrealis in Tel Aviv gegen den Krieg demonstrierten, sich von rechten Kriegstreibern mit Eiern bewerfen und im Anschluss für ihren politischen Standpunkt verprügeln lassen mussten, trommelte der BAK Shalom in Deutschland für den Krieg. Müssen wir demnächst auch damit rechnen, dass es Kundgebungen geben wird, weil wir israelische Linke vom politischen Format eines Yossi Wolfson oder jüdische Kritiker des Gazakriegs zu Veranstaltungen einladen? Wir haben davor keine Angst. Wovor wir aber Angst haben, ist die Stille der institutionalisierten Linken und ihr stummes Einverständnis, sich die Hände nicht mehr schmutzig zu machen, wenn auf (jüdischen) Dissidenten rumgetrampelt wird.

Wir wollen an dieser Stelle abschließend ausdrücklich Herrn Prof. Dr. Rolf Verleger als Vertreter der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, die den Abend mit Herrn Finkelstein organisierte, unsere Solidarität aussprechen und uns für das Verhalten anderer Verbandsgliederungen der Linksjugend ['solid] entschuldigen.

Landesverband Hamburg der Linksjugend ['solid], 04. März 2010


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Quelle:
Erklärung vom 4. März 2010
Linksjugend ['solid] - Landesverband Hamburg
Kreuzweg 7, 20099 Hamburg
E-Mail: info@linksjugend-solid-hamburg.de
Internet: http://www.linksjugend-solid-hamburg.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010