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STELLUNGNAHME/035: Professor Galtung zu den Vorwürfen des Antisemitismus (Johan Galtung)


Wider den Antisemitismus

Von Johan Galtung, Dezember 2012



Um den Antisemitismus zu bekämpfen, muss man wissen was darunter zu verstehen ist. Antisemitismus ist ein Syndrom menschenverachtender Vorurteile, und deshalb aufs schärfste zu verurteilen. Entsprechend verwahre ich mich auch ausdrücklich gegen eine derartige Verleumdung. Mein gesamtes Schaffen steht unter dem Grundsatz Homo Homini Sacra Res. Der Mensch hat dem Menschen heilig zu sein. Das ist der Maßstab, mit dem sich meiner Ansicht nach jeglicher politische Akt messen lassen muss, dies gilt neben den Handlungen der Hamas, Irans und Syriens auch für die Politik Israels.

In Bezug auf Antisemitismus interessiert es mich, erstens zu verstehen und zu erklären, auf welchen tiefenkulturellen Denkmustern gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen fußen, um Vorschläge zu deren Überwindung zu erarbeiten. Zweitens gilt es, Gewaltphänomene in ihren Bedingungen, Erscheinungsformen und Folgen zu verstehen, zu erklären und unter Ausschluss gewaltsamer Mittel zu überwinden. Diese Schritte (Gewalt erkennen, verstehen, erklären und gewaltlos überwinden) sind es, die eine konstruktive Friedensforschung, für die ich stehe, überhaupt erst ermöglichen. Für dieses Erkenntnisinteresse setze ich mich mit Beharrlichkeit, Klarheit und Konsequenz ein, und schließe damit jeglichen Antisemitismus kategorisch aus. Zugleich lässt sich das Thema nicht bearbeiten, ohne festzustellen, dass dieser an sich wichtige Begriff auch missbraucht wird. Wenn neben dem ehemaligen U.S. Präsidenten Jimmy Carter, auch namhafte Humanisten, Nobelpreisträger oder Menschenrechtler wie Richard Falk, Daniel Barenboim, Judith Buttler, Günter Grass, Evelyn Hecht-Galinsky, Richard Dawkins, Hanna Arendt, Desmond Tutu, Felicia Langer, Norman Paech, Mairead MaGuire, oder Noam Chomsky des Antisemitismus bezichtigt werden, kommt eine kritische Gegenwartsdiagnostik nicht umhin, den Ge- und Missbrauch des Begriffs zu reflektieren.

Kurzum: Es reicht nicht, lediglich gegen Antisemitismus zu sein, ohne auch die, zum Teil zweifelhaften Funktionen, zu denen dieser Begriff verwendet wird, zu erfassen und offenzulegen, und für mich reicht es auch nicht hin, gegen Antisemitismus zu sein, wenn keine konkreten und konstruktiven Vorschläge unterbreitet werden, die zu dessen Überwindung beitragen.

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Quelle:
Galtung-Institut für Friedenstheorie und -praxis
Markgrafenstrasse 42a, 79639 Grenzach-Wyhlen
Telefon: 0049-(0)7624 / 91 29 137
E-Mail: info@galtung-institut.de
Internet: www.galtung-institut.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2012