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STANDPUNKT/036: NATO - Russland - Eine zweifelhafte "Partnerschaft" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 45 vom 12. November 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

NATO - Russland: Eine zweifelhafte "Partnerschaft"
Medwedjew nimmt am NATO-Gipfel in Lissabon teil

Von A. Anutschkin-Timofejew, Moskau


Die Kampagne für den Beitritt Russlands zur NATO, die die ultrarechten Liberalen schon seit Jahren betreiben, beginnt, nach allem zu urteilen, immer offenere Unterstützung von Vertretern der regierenden Kreise Russlands zu erhalten. Am 21. Oktober erklärte Dmitri Medwedjew nach den Gesprächen mit Kanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten in Deauville, dass er vorhat zum NATO-Gipfel zu fahren, der am 19. November in Lissabon stattfindet. Eines der Hauptthemen auf dem Gipfel soll der Aufbau eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems sein. Der Vorschlag, dass Russland sich dem Raketenabwehrsystem der NATO anschließen solle, kam aus Brüssel am 14. Oktober. Medwedjew erklärte: "Wir haben gehört, was man uns über die Idee einer Einbeziehung Russlands in ein globales Raketenabwehrsystem sagt. Jetzt werden wir die Idee dieses Vorschlages bewerten." Er gab damit zu verstehen, dass der Vorschlag geprüft wird.


Soll Russland der NATO beitreten?

Als einer der ersten hat sich Dmitri Rogosin, der russische Vertreter bei der NATO, zu Wort gemeldet. In einem gemeinsam mit dem ehemaligen Verteidigungsminister der BRD, Volker Rühe, verfassten und am 15. Oktober in der "Süddeutschen Zeitung" erschienenen Artikel heißt es: "Deshalb sollte nun ein Prozess in Gang gesetzt werden, um die Bedingungen für eine volle Mitgliedschaft in der NATO zu schaffen mit allen Rechten und Pflichten." Der ist allerdings schon längst auf den Weg gebracht mit der Unterzeichnung des Grundlagenaktes 1997, auf dessen Basis der Russland-NATO-Rat geschaffen wurde. Seit dieser Zeit werden dem Wesen der Sache nach die Bedingungen geschaffen. Der Präsidentenberater I. Jurgens trat im Namen des von ihm geleiteten Instituts für moderne Entwicklung mit dem Vorschlag (an den Präsidenten) hervor, Russland in die NATO zu integrieren.

Auch von Seiten der NATO gibt es in letzter Zeit vermehrt derartige Äußerungen. Im Prinzip ist auch die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, die mit einer Expertengruppe Empfehlungen zur neuen strategischen Konzeption der NATO ausarbeitete (die beim Gipfel in Lissabon beschlossen werden soll) nicht gegen die Aufnahme Russlands in die NATO. Doch macht sie dabei den Vorbehalt, dass dies nur als einfaches Mitglied möglich sei "ohne entscheidende Stimme" (eine ziemlich deutliche Andeutung darauf, dass die NATO nicht der UN-Sicherheitsrat und Herr im Block nur einer ist - die USA). Auf dem internationalen politischen Forum in Jaroslaw im September dieses Jahres trat der ehemalige NATO-Generalsekretär Robertson für die Aufnahme Russlands in die NATO ein. Auch der heutige Generalsekretär Rasmussen hat gewissermaßen nichts dagegen einzuwenden. Eine derartige Synchronisation des Auftretens auf beiden Seiten muss zur Wachsamkeit mahnen. Sagt doch eine russische Redensart: "Kein Rauch ohne Feuer." Und das bisher im Dunkeln Gehaltene beginnt allmählich ans Licht zu treten.

Die russische Führung hat in dieser delikaten Angelegenheit eine undeutliche, verschwommene Position eingenommen. In Beantwortung der Frage eines russischen Fernsehjournalisten hat Außenminister Sergej Lawrow dieses Problem diplomatisch umgangen. Er erklärte, dass der Dialog mit der NATO sich positiv entwickele. Auf dem informellen Treffen der Außenminister in New York im Rahmen des Russland-NATO-Rats wurde von ihm in Fragen des Zusammenwirkens mit der Allianz die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dass eine gemeinsame gründliche Analyse der bestehenden Gefahren und Herausforderungen vor irgendwelchen konkreten Schritten und Maßnahmen zu deren Neutralisierung bzw. vor Gegenmaßnahmen unaufschiebbar notwendig sei. Auch wurde auf eine nach wie vor bestehende Zweideutigkeit in der Politik der NATO hingewiesen, die bei Russland Besorgnis hervorrufe. Im Grunde war die Rede von Offensichtlichkeiten. Die Schöpfer dieser Politik erklären unzweideutig, dass die NATO ihre Ausdehnung nach Osten fortsetzen wird, die taktischen Atomwaffen der USA in

Europa bleiben und gemeinsam mit den USA ein europäisches Raketenabwehrsystem geschaffen wird, das ungeachtet aller beruhigenden Versicherungen faktisch gegen Russland gerichtet ist. Bestimmter hat sich in der Frage eines Beitritts Russlands zur NATO der Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte, Nikolai Makarow, in einem Interview mit dem Ersten russischen Fernsehkanal geäußert. Er erklärte, dass es heute verfrüht sei diese Frage zu stellen - das Land und die Gesellschaft seien dazu nicht bereit. Aus seinen Worten folgt logisch, dass sie darauf noch vorbereitet werden müssen. Und in der Realität findet seit Jahren eine Vorbereitung statt, sowohl durch die NATO-Dienste in Russland wie die einheimischen NATO-Anhänger. Nach Meinung des Generals gibt es für die NATO und für Russland nicht wenige gemeinsame Bedrohungen und Herausforderungen. Und offenbar soll auf dieser Grundlage die weitere Annäherung an die NATO im Rahmen einer Erfüllung der notwendigen Bedingungen für einen künftigen Beitritt Russlands zur Allianz vor sich gehen. Anfang dieses Jahres reiste Makarow nach Brüssel ins Hauptquartier des Blockes. Im Ergebnis der dort geführten Verhandlungen wurden die militärischen Beziehungen zwischen Russland und der NATO in vollem Umfang wiederhergestellt und eine Reihe Vereinbarungen unterzeichnet über die Durchführung regulärer Kommando-Stabs-Übungen zur Kompatibilität der Streitkräfte und ihres Zusammenwirkens, über den Studienaustausch von Militärangehörigen und andere Maßnahmen, in die sich die gegenwärtige Reform der russischen Streitkräfte völlig einfügt. Die Kontakte mit dem führenden Mitglied der NATO, den USA, setzte Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow während seines ersten Besuches in diesem Lande im September dieses Jahres fort. Ihm wurde ein betont freundlicher Empfang bereitet. Die amerikanische Seite umschmeichelte den russischen Minister. Augenscheinlich hatte er sich solche Superehrerweisungen durch seine Superanstrengungen zur Kastration der russischen Streitkräfte unter dem Vorwand ihr er Reformierung nach amerikanischem Modell verdient. Im Laufe dieser Kontakte wurden ein breiter Fragenkreis zur Entwicklung der militärischen Beziehungen zwischen den beiden Verteidigungsministerien erörtert und entsprechende Dokumente unterzeichnet, darunter die Erweiterung des militärischen Transits über das Territorium und den Luftraum Russlands für die NATO-Truppen in Afghanistan, den Aufbau eines europäischen Raketenabwehrsystems, die gemeinsame Nutzung der Radar-Überwachungsanlage Gabalinsk in Aserbaidschan (den Vorschlag hatte bereits Putin während seiner Präsidentschaft gemacht).

Die Amerikaner waren hartnäckig darum bemüht, den russischen Minister davon zu überzeugen, dass der von ihnen geplante Raketenabwehrschild in Europa ausschließlich gegen den Iran gerichtet sei, und riefen Russland auf, sich aktiver an ihren antiiranischen Aktionen zu beteiligen. Bekanntlich haben die USA die Zustimmung Russlands zu den antiiranischen Sanktionen erreicht und es gezwungen, seine Kontrakte zur Lieferung der zur Verteidigung bestimmten Flugabwehrraketen-Komplexe S-300 zu brechen. Vorgesehen sind weitere Zugeständnisse.


Die Gefahren eines NATO-Beitritts für Russland

In der Frage der bei den Treffen zwischen führenden Persönlichkeiten Russlands und der NATO häufig erwähnten gemeinsamen Bedrohungen ist es notwendig, die Dinge in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Die Sache ist die, dass viele dieser Bedrohungen das Ergebnis der expansionistischen Politik der USA und der von ihnen geführten NATO sind. Das betrifft insbesondere auch den berüchtigten internationalen Terrorismus.

Haben etwa die USA die "Taliban" in Afghanistan nicht finanziert und bewaffnet, gegen die sie heute selbst kämpfen? Ist der "nicht zu fassende" Osama bin Laden etwa keine amerikanische Kreatur? Trifft es etwa nicht zu, dass bestimmte Kräfte im Westen die terroristischen Aktivitäten im Nordkaukasus nähren? Waren und sind es etwa nicht die aggressiven Handlungen der USA und ihrer NATO-Verbündeten gegen Jugoslawien, den Irak und Afghanistan, die ständigen Drohungen an die Adresse des Iran, Syriens und Libanons, die diese große Weltregion in einen äußerst gefährlichen Spannungsherd verwandelt haben?

Die USA fordern die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und liefern diese zugleich in großem Umfang an das aggressive Israel. Mit der Intervention der USA und ihrer NATO-Verbündeten in Afghanistan ist die Drogengefahr enorm gewachsen. Die USA und die NATO suchen einen Vorwand, um den friedlichen Iran zu überfallen und blasen zu diesem Zweck bewusst die angebliche Gefahr durch iranische Atomraketen auf. Hier ist es angebracht daran zu erinnern, unter welchem Vorwand die USA und Großbritannien ihre barbarische Aggression gegen den Irak durchführten (eine angebliche Verfügung über Massenvernichtungswaffen). Indem man natürlich weiß, mit wem man es zu tun hat, sieht sich der Iran gezwungen, seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Das tragische Schicksal des Iraks und Afghanistans kann keinem unabhängigen und sich selbst achtenden Staat passen.

Was die sich verstärkende Kampagne für den Beitritt Russlands zur NATO betrifft, so birgt sie riesige Gefahren für Russland. Ein solcher unbedachter, unvernünftiger Schritt würde zum endgültigen Verlust seiner außenpolitischen und militärischen Selbstständigkeit führen, da in der NATO eine harte Blockdisziplin herrscht und Paragraph 5 des NATO-Vertrages automatisch auf Russland ausgedehnt würde. Es würde ebenfalls automatisch zur Ausdehnung der Grenzen des Blocks vom Bug bis zum Amur kommen und damit unvermeidlich scharfe Konflikte mit China hervorrufen sowie äußerst negative Auswirkungen auf die Beziehungen mit dem Iran haben. Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, gegen wen unter derartigen Bedingungen das geplante gemeinsame russisch-amerikanische Raketenabwehrsystem in Europa gerichtet sein würde. Klar ist auch, dass der Beitritt Russlands zur NATO das vom russischen Präsidenten vorgeschlagene Projekt des Aufbaus einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur beerdigen würde.

Den richtig verstandenen nationalen Interessen Russlands entspricht nicht das Kokettieren mit der NATO-Partnerschaft - einer wackeligen, durch nichts ernsthaft begründeten Sache -, sondern die entschiedene Forderung nach der Beseitigung dieser unheilvollen Waffe des Kalten Krieges aus dem internationalen Leben, der - wie die Atlantiker selbst erklärt haben - mit dem Zerfall der Sowjetunion beendet wurde. Die sich erweiternde NATO, die längst über die Grenzen ihres vertraglichen Wirkungsraums hinausgetreten ist (nach Osten bis Afghanistan und Kirgisien), hat den Weg einer schleichenden Untergrabung der Hauptfunktionen und Aufgaben der Vereinten Nationen beschritten.

Die Weltgemeinschaft muss alle taktischen Schliche der Globalisatoren bei der Verschleierung ihrer äußerst gefährlichen strategischen Vorhaben zur Eroberung der ressourcenreichen Weltregionen und der Errichtung einer Welt-Gendarmenordnung unter Führung der USA erkennen und entlarven.


Der Artikel ist am 21. Oktober in der "Sowjetskaja Rossija" und auf der Internetseite der KPRF (www.kprf.ru) erschienen.
Übersetzung aus dem Russischen: von Willi Gerns


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 45,
12. November 2010, Seite 15
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010