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STANDPUNKT/053: Das Kreuz mit den Wahlen (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 8. Februar 2011

Das Kreuz mit den Wahlen

Von Uli Brockmeyer, Leitartikel vom 8. Februar 2011


Man sollte es kaum für möglich halten: Politiker aus den USA und den EU-Ländern betteln geradezu darum, daß Wahlen in Ägypten »nicht überstürzt« durchgeführt werden sollen. Wie ist so etwas möglich, wo doch sonst immer behauptet wird, daß Wahlen das entscheidende Kriterium dafür seien, ob in einem Land Demokratie herrscht oder nicht?

Die Antwort ist ganz simpel: Weder die USA, noch die EU waren darauf vorbereitet, daß das - aus ihrer Sicht sehr effektive - System Mubarak fallen könnte. Weder die viel gerühmten Geheimdienste CIA, Mossad, BND, CI5 und wie sie alle heißen, noch die aufgeblähten Botschaften haben auch nur ansatzweise geahnt, daß das korrupte Regime des seit mehr als 30 Jahren autokratisch herrschenden »Präsidenten« kippen würde. Wie auch? Da hatten sie Millionen und Milliarden in das Land gepumpt, um es nach ihrem Bilde zu formen, um ein kapitalistisches System zu errichten, das den Konzernen und Banken des Westens satte Gewinne beschert, und um ein gesellschaftliches System aufzubauen, in dem diejenigen, die ganz oben residieren, gut von der Sahne abschöpfen, und auch die darunter angeordneten Chargen ordentlich kassieren. Viel Geld wurde in Armee, Polizei und Geheimdienste gesteckt, damit diese zu festen Säulen des Systems werden.

Dabei hat man nur vergessen, daß die Geduld eines unterdrückten Volkes nicht unbedingt endlos ist. Und daß eine Jugend heranwächst, die in fast allen arabischen Ländern mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht und die nicht mehr damit zufrieden ist, eine schlechte Ausbildung zu erhalten und danach so gut wie keine Aussicht auf ein sinnvolles Leben mit Arbeit, Lohn, Gesundheitsfürsorge und Chancen für die eigenen Kinder zu haben. Nun stehen seit zwei Wochen Tag für Tag und Nacht für Nacht junge und ältere Ägypter auf Plätzen, von denen möglicherweise in naher Zukunft noch viele in »Tahrir-Platz« umbenannt werden.

In vielen Ländern oder Gebieten, die dann zu neuen Staaten gemacht wurden, hatte der Westen »seine Leute« ausgewählt und finanziert, um sogenannte Parteien zu bilden, die dann eine Regierung stellen konnten - natürlich immer streng demokratisch, dazu werden die Millionen aus EU-Mitteln, also unseren Steuergeldern, bestens eingesetzt.

In Jugoslawien lief es anfänglich ganz gut, und nach dem bombastischen Eingreifen der NATO wurde es immer besser. Im Kosovo knirscht es zwar ein wenig, aber das läßt sich mit ein paar Euro beheben. In mehreren Ex-Sowjetrepubliken installierte man Despoten als »Präsidenten«, die stets bereit sind, westliche Stiefel zu lecken. In der Ukraine finanzierte man ein ganze »Orangene Revolution«, die allerdings kläglich scheiterte, und nun bekommt einer der Klitschko-Boxer eine neue Partei finanziert. Für Weißrußland wurden erst letzte Woche frische EU-Millionen freigegeben, um den renitenten Präsidenten Lukaschenko zu Fall zu bringen.

Aber in Ägypten und in den anderen arabischen Ländern ist man nicht vorbereitet. Es gibt einfach keine dem Westen hörige Opposition. Also verbreitet man das Gespenst von der drohenden Islamisierung. Mit demokratischen Wahlen hatte man nämlich in Gaza schlechte Erfahrungen gemacht, dort haben die Leute einfach die Gruppierung gewählt, die am wenigsten korrupt war. Die Erfahrungen mit »freien Wahlen« im Irak und in Afghanistan sind ja auch nicht die besten, und nicht einmal im Herzen der EU, in Belgien, hat man acht Monate nach einer Wahl eine einigermaßen funktionsfähige Regierung basteln können...


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2011