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STANDPUNKT/122: UNO unter NATO-Diktat - Vollversammlung entzog Libyens Regierung das Mandat (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 20. September

UNO unter NATO-Diktat
Vollversammlung entzog Libyens Regierung das Mandat

von Uli Brockmeyer


Noch während in Libyen die bewaffneten Gaddafi-Gegner verzweifelt versuchen, die Städte Bani Walid und Sirte zu stürmen, und von den Verteidigern mehrmals zurückgeschlagen wurden, hat die Vollversammlung der Organisation der Vereinten Nationen der Regierung Libyens das Mandat aberkannt, das Land in der UNO zu vertreten. Das Gremium beschloß am vergangenen Freitag mit einfacher Mehrheit, daß der sogenannte »Nationalen Übergangsrat« als Vertreter Libyens in der UNO agieren darf.

In den Berichten der bürgerlichen Medien über diesen skandalösen Vorgang wird die Tatsache verschwiegen, daß diesem Beschluß eine Debatte vorausging, in der Vertreter mehrerer Staaten sich vehement gegen das Diktat der NATO aussprachen und einen entsprechenden Resolutionsentwurf einbrachten. Dieser Antrag wurde nach einer heftigen Debatte mit 107 gegen 22 Stimmen bei 12 Enthaltungen abgelehnt.

114 von 193 Mitgliedstaaten, darunter alle NATO und EU-Länder, folgten schließlich der Empfehlung des Mandatsprüfungsausschusses der UNO zur Übergabe des UNO-Sitzes an die demokratisch nicht legitimierte Gruppe von Gaddafi-Gegnern, die sich lediglich auf verschiedene bewaffnete Gruppen von Libyern berufen kann, die in den vergangenen sechs Monaten mit Unterstützung der NATO in Libyen Krieg führen.

Gegen die Empfehlung stimmten lediglich 17 Staaten, darunter Angola, Bolivien, Kuba, DR Kongo, Ecuador, Kenia, Namibia, Nicaragua, Südafrika, Tansania, Venezuela, Sambia und Simbabwe. 15 Staaten enthielten sich der Stimme, darunter Algerien, El Salvador, Indonesien, Mali, Mauretanien, Nepal, Saudi Arabien, Uganda und Uruguay. Die Vertreter von 47 Staaten zogen es vor, nicht an der Abstimmung teilzunehmen, darunter Belarus, Kambodscha, die KDVR, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Laos, Mocambique, Niger, Nigeria, Ruanda, Sierra Leone und Somalia.

In der Debatte stellte der Vertreter Angolas »das Verfahren, die Legalität und die Grundsätze« des Mandatsprüfungsausschusses in Frage. Die UNO sollte eine Organisation bleiben, die sich von Grundsätzen der Gesetzlichkeit leiten läßt, betonte der Botschafter. Mit seinem Vorgehen habe der Ausschuß die Geschäftsordnung des Vollversammlung verletzt, in der klar festgelegt sei, daß Anträge auf die Vertretung in der UNO durch den Staats- oder Regierungschef oder mindestens den Außenminister des betreffenden Staates an den Generalsekretär der UNO zu übergeben sind. Im Falle Libyens stelle sich die Frage, wer den entsprechenden Antrag unterzeichnet und an den Mandatsprüfungsausschuß übergeben hat, und ob die Unterschrift den Regeln der Vollversammlung entspricht.

Selbst wenn der »Übergangsrat« das Land kontrollieren sollte, sei er nicht die Regierung Libyens, stellte der angolanische Botschafter klar. Im Namen mehrerer afrikanischer Länder forderte er die Schaffung einer Einheitsregierung für Libyen. Der »Übergangsrat« habe bisher keine Anstrengungen unternommen, um eine Regierung zu bilden oder eine Verfassung des Landes zu erarbeiten.

Die strikte Nichtanerkennung der Übergangsbehörden wurde in der Debatte auch durch die Botschafter weiterer Staaten zum Ausdruck gebracht. Die Vertreter Venezuelas und Kubas erklärten, daß sie jegliche Versuche ablehnten, Libyen zu einem Protektorat der NATO oder des UNO-Sicherheitsrates zu machen. Der venezolanische Botschafter verurteilte in seiner Rede die Militäroperationen zugunsten eines Regimewechsels in Libyen, die eine Verletzung der Sicherheitsratsresolution 1973 darstellten. Die Vollversammlung werde nun aufgefordert, eine Gruppierung anzuerkennen, die unter Anleitung der USA und der NATO agiere und die keinerlei moralische oder legale Autorität besitze, zu entscheiden, wer das Land regiert.

Das militärische Eingreifen der NATO sein zudem eine Verletzung der Grundsätze der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines dritten Staates. Die Verantwortlichen für derartige Verbrechen sollten vor Gericht gestellt werden, forderte der venezolanische Botschafter. Die Anerkennung des sogenannten Übergangsrates durch die UNO-Vollversammlung verletze elementare Prinzipien des Völkerrechts.

Der Vertreter Kubas wies darauf hin, daß die Einmischung und die militärische Aggression der NATO den Konflikt in Libyen verschärft hätten. Kuba und andere Länder hätten den Sicherheitsrat der UNO aufgefordert, Schritte für einen Verhandlungslösung ohne ausländische Einmischung zu unternehmen, sagte er. Dies konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da die NATO ihre Intervention fortsetzt, mit der Begründung, einen »Präventivkrieg« zu führen, der jedoch in Wirklichkeit den politischen und wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Staaten diene.

Es sei hinlänglich bekannt, betonte der kubanische Botschafter, daß die NATO unter dem Vorwand des »Schutzes der Zivilbevölkerung« einen Regimewechsel herbeigebombt habe, wobei Tausende unschuldige Männer, Frauen und Kinder getötet und verletzt wurden. Der Kriegspakt habe auch die Versuche der Afrikanischen Union und anderer regionaler Bündnisse vereitelt, den Konflikt durch eine Verhandlungslösung zu beenden. Kuba bestehe auf seiner Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und der unverzüglichen Beendigung der Bombenangriffe durch die NATO.

Der Vertreter Boliviens wies darauf hin, daß bisher nicht einmal die Zusammensetzung des »Übergangsrates« bekannt sei. Das libysche Volk habe keinerlei Möglichkeit bekommen, seine Meinung zu äußern und eine Regierung zu wählen, die seine Interessen vertritt. Im Ergebnis der ausländischen Intervention sei auch die territoriale Integrität Libyens gefährdet.

Die Vertreterin Nicaraguas forderte, daß das Schicksal Libyens vom libyschen Volk bestimmt werden müsse, und nicht durch die NATO. Sie unterstützte die Position der Afrikanischen Union und deren Initiative zu einer Verhandlungslösung ohne ausländische Einmischung. Die Okkupation des Sitzes Libyens durch eine von NATO-Kommandeuren installierte Gruppierung werde von Nicaragua entschieden zurückgewiesen.

Hauptredner der Befürwortung der Übergabe des UNO-Sitzes Libyens an das von der NATO unterstützte Gremium war ausgerechnet der Vertreter Ägyptens, also eines Landes, in dem seit dem Sturz von Mubarak bisher keine demokratisch legitimierte Regierung gebildet wurde und eine Militärregierung den Kurs des Landes bestimmt.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek vom 20.09.11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011