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STANDPUNKT/318: Die wirkliche Bombe (Uri Avnery)


Die wirkliche Bombe

von Uri Avnery, 28. September 2013



VOR JAHREN enthüllte ich eines der größten Geheimnisse des Iran. Mahmoud Ahmadinejad war ein Agent des Mossad.

Plötzlich ergaben alle die seltsamen Einzelheiten seines Verhaltens einen Sinn. Seine öffentlichen Phantasien über das Verschwinden Israels. Seine Leugnung des Holocaust, was bis dahin nur typisch für einen Verrückten war. Sein Prahlen mit Irans nuklearen Fähigkeiten.

Cui bono? Wem nützt es? Wer hatte Interesse an all dem Unsinn?

Da gibt es nur eine vernünftige Antwort: Israel.

Sein Sich-in-Pose-werfen stellte den Iran als einen Staat dar, der beides war, lächerlich und unheimlich. Es rechtfertigte Israels Weigerung, den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen oder die Chemiewaffen-Konvention zu ratifizieren. Es lenkte die Aufmerksamkeit von Israels Weigerung ab, über die Besatzung der palästinensischen Gebiete zu diskutieren und sinnvoll Friedensverhandlungen durchzuführen.


FALLS ICH Zweifel an diesem internationalen Knüller gehegt hätte, hat sich dieser jetzt aufgelöst.

Unsere politischen und militärischen Führer beklagen fast offen das Ende von Ahmadinejad.

Offensichtlich entschied der Oberste Führer Ali Khamenei, dass ich Recht hatte, und hat diesen Clown beseitigt.

Es ist noch schlimmer: er hat seine tödliche Feindschaft mit der zionistischen Entität bestätigt, indem er eine Person wie Hassan Rohani in den Vordergrund schob.

Rohani ist das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Wenn der Mossad gebeten worden wäre, den schlimmstmöglichen iranischen Führer, den sich Israel vorstellen könnte, zu skizzieren, dann hätte er jemanden wie ihn vorgeschlagen.

Ein Iraner, der den Holocaust anerkennt und verurteilt! Ein Iraner, der eitel Freud und Sonnenschein verbreitet! Ein Iraner, der sich Frieden und Freundschaft mit allen Nationen wünscht - und sogar andeutet, Israel miteinzubeziehen, wenn wir nur die besetzten Gebiete aufgeben!

Könnte man sich irgendetwas Schlimmeres vorstellen?



ICH MACHE keinen Witz. Ich meine es todernst!

Ja, noch bevor Rohani nach seiner Wahl den Mund öffnen konnte, wurde er rundweg von Benjamin Netanyahu verurteilt.

Ein Wolf im Schafspelz! Ein wirklicher Anti-Semit. Ein Betrüger, der die ganze Welt täuscht! Ein hinterhältiger Politiker, dessen teuflisches Ziel es ist, einen Keil zwischen Israel und die naiven Amerikaner zu treiben!

Dies ist die wirkliche iranische Bombe, bei weitem bedrohlicher als die Atombombe, die hinter einer Nebelwand von Rohanis freundlicher Rede gebaut wird.

Eine Atombombe kann durch eine andere Atombombe abgeschreckt werden. Aber wie kann man einen Rohani abschrecken?

Yuval Steinitz, unser gescheiterter früherer Finanzminister, der gegenwärtig für unsere 'strategischen Angelegenheiten' verantwortlich ist (Ja, wirklich!), rief in Verzweiflung aus, dass die Welt vom Iran getäuscht werden wolle. Benjamin Netanyahu nannte es eine 'Honigfalle'. Kommentatoren, die 'offiziellen Kreisen' aus der Hand fressen (d.h. dem Büro des Ministerpräsidenten) behaupten, dass er eine existentielle Bedrohung darstelle.

All dies, bevor er ein Wort geäußert hatte.


ALS ROHANI schließlich seine große Rede bei der UN-Vollversammlung hielt, haben sich alle verheerenden Vorahnungen als richtig erwiesen.

Während Ahmedinejad eine Massenflucht der Delegierten aus der Halle verursachte, füllte Rohani sie. Diplomaten aus aller Welt waren neugierig auf den Mann. Sie hätten die Rede ein paar Minuten später lesen können, aber sie wollten ihn selbst sehen und hören. Sogar die USA sandte Abgeordnete, um anwesend zu sein. Keiner ging hinaus.

Keiner d.h. mit Ausnahme der Israelis.

Die israelischen Diplomaten waren von Netanyahu angewiesen worden, die Halle demonstrativ zu verlassen, wenn der Iraner zu sprechen anfange.

Das war eine dumme Geste. So vernünftig und effektiv wie der Wutanfall eines kleinen Jungen, wenn ihm das Lieblingsspielzeug weggenommen wird.

Dumm, weil dies Israel als Spielverderber darstellte, und zwar zu einer Zeit, in der die ganze Welt nach den jüngsten Ereignissen in Damaskus und Teheran von Optimismus ergriffen ist.

Dumm auch, weil es die Tatsache bestätigt, dass Israel zur Zeit total isoliert ist.


ÜBRIGENS, HAT jemand bemerkt, wie Rohani während seiner halbstündigen Rede ständig seine Stirne abgewischt hat? Der Mann hat offensichtlich gelitten. Ist ein anderer Mossad-Agent in den Wartungsraum der UN geschlichen, um die Klimaanlage abzuschalten? Oder war es nur die schwere Garderobe?

Ich wurde niemals Priester, nicht nur, weil ich ein Atheist bin (gemeinsam mit vielen Priestern, vermute ich), sondern auch wegen der Verpflichtung, die entsprechenden schweren, geistlichen Gewänder zu tragen, wie es in allen Religionen gefordert wird. Dasselbe gilt auch für Diplomaten.

Schließlich sind alle Priester und Diplomaten auch Menschen (Wenigstens viele von ihnen).


NUR EIN israelisches Kabinettsmitglied wagte offen das Verhalten der israelischen Delegation zu kritisieren: Yair Lapid. Was ist in ihn gefahren? Nun, Umfragen zeigen, dass der aufgehende Stern nicht weiter aufsteigt. Als Finanzminister war er gezwungen worden, sehr unpopuläre Schritte zu tun. Da er nicht über Dinge wie Besatzung und Frieden spricht, wird er als oberflächlich angesehen. Er ist fast zur Seite geschoben worden. Seine unverblümte Kritik an Netanyahu könnte ihn zurück ins Zentrum bringen.

Jedenfalls hat er den Finger auf eine wichtige Tatsache gelegt: Netanyahu und seine Mannschaft verhalten sich genauso, wie die arabischen Diplomaten es eine Generation zuvor getan haben. Was bedeutet, dass sie in der Vergangenheit steckengeblieben sind. Sie leben nicht in der Gegenwart.

In der Gegenwart zu leben, heißt, dass Politiker etwas tun müssen, was sie nicht gern tun: wieder nachdenken.

Die Dinge ändern sich, langsam, sehr langsam, aber spürbar.

Es ist viel zu früh, um über den Niedergang des amerikanischen Imperiums zu sprechen, aber man braucht keinen Seismographen, um einige Bewegung in diese Richtung zu bemerken.

Die syrische Affäre war ein gutes Beispiel. Vladimir Putin mag gern in Judo-Haltung fotografiert werden. Beim Judo nützt man den Schwung des Gegners, um ihn zu Fall zu bringen. Das ist genau das, was Putin tat. Präsident Obama hat sich selbst in die Ecke getrieben. Er stieß kampflustige Drohungen aus und konnte nicht zurück. Aber die US-Öffentlichkeit ist in keiner kriegerischen Stimmung. Putin befreite ihn aus diesem Dilemma. Das hatte aber seinen Preis.

Ich weiß nicht, ob Putin solch ein guter Spieler ist, dass er sich auf eine Nebenbemerkung John Kerrys stürzte, Bashar Assad habe die Chance, auf seine Chemiewaffen zu verzichten. Ich vermute eher, dass schon alles vorbereitet war. So oder so, Obama war aus dem Schneider und Putin war wieder im Spiel.

Ich habe hinsichtlich Putins sehr gemischte Gefühle. Er hat seinen tschetschenischen Bürgern das angetan, was Assad seinen sunnitischen Bürgern jetzt antut. Sein Umgang mit Dissidenten wie der Pussy-Riot-Band ist abscheulich.

Aber auf der internationalen Bühne ist Putin jetzt der Friedensstifter. Er hat den Stachel aus der Chemiewaffenkrise gezogen; und er könnte möglicherweise die Initiative ergreifen, in dem fürchterlichen Bürgerkrieg ein politisches Abkommen zu erreichen.

Der nächste Schritt könnte sein, eine ähnliche Rolle in der iranischen Krise zu übernehmen. Falls Khamenei zu der Schlussfolgerung kommen sollte, sein nukleares Programm wiege die durch die Sanktionen verursachte wirtschaftliche Misere nicht auf, könnte er es den USA verkaufen. In diesem Fall könnte Putin eine lebenswichtige Rolle spielen: zwischen zwei knallharten Unterhändlern zu vermitteln, die eine Menge zu verhandeln haben.

(Es sei denn, Obama verhält sich wie der Amerikaner, der in einem persischen Bazar einen Teppich kaufte. Der Verkäufer verlangte 1000 $, und der Amerikaner bezahlte, ohne zu feilschen. Als ihm gesagt wurde, dass der Teppich nicht mehr als hundert Dollar wert sei, antwortete er: 'Ich weiß, aber ich wollte ihn bestrafen. Jetzt wird er nicht schlafen können und sich verfluchen, dass er nicht 5000 $ verlangt hat.)


WIE PASSEN wir Israelis in diese sich verändernde Szenerie?

Zunächst mal müssen wir anfangen nachzudenken, auch wenn wir es lieber vermeiden würden. Neue Umstände fordern neue Gedanken.

In seiner Rede in den USA stellte Obama eine deutliche Verbindung zwischen der iranischen Bombe und der israelischen Besatzung her. Dieser Zusammenhang ist nicht von der Hand zu weisen. Das sollten wir begreifen!

Die USA sind heute etwas weniger bedeutsam, als sie gestern waren. Russland ist etwas bedeutsamer, als es gestern war. Wie AIPACs sinnloser Angriff auf den Kapitol-Hügel während der syrischen Krise zeigt, ist auch diese Organisation heute ein bisschen weniger mächtig.

Denken wir noch einmal über den Iran nach. Es ist zu früh, um schon zu erkennen, wie weit sich Teheran bewegen wird, wenn überhaupt. Aber wir müssen es versuchen. Räume zu verlassen, ist keine Politik, sie zu betreten ist Politik.

Wenn wir einige unserer früheren Beziehungen mit Teheran wieder herstellen könnten oder eben nur der gegenwärtigen den Stachel nähmen, wäre dies ein sehr großer Gewinn für Israel. Dies mit einer wirklichen Friedensinitiative gegenüber den Palästinensern zu verbinden, wäre sogar noch besser.

Unser gegenwärtiger Kurs führt uns in die Katastrophe. Die gegenwärtigen Veränderungen auf der internationalen und der regionalen Bühne könnten einen Kurswechsel möglich machen.

Helfen wir Präsident Obama, die amerikamische Politik zu verändern, anstatt AIPAC dazu zu nutzen, den Kongress dazu zu treiben, blind eine überholte Politik gegenüber dem Iran und den Palästinensern zu unterstützt. Strecken wir vorsichtig die Fühler in Richtung Russland aus. Verändern wir unsere öffentliche Haltung, wie die iranischen Führer es erfolgreich tun.

Oder sind sie klüger als wir?


Copyright 2013 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion.

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Quelle:
Uri Avnery, 28.09.2013
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2013