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STANDPUNKT/473: UN - Zirkel der Reichen und Mächtigen, Stimme der Zivilgesellschaft wird schwächer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015

UN: Zirkel der Reichen und Mächtigen - Stimme der Zivilgesellschaft wird schwächer

von James A. Paul (*)


NEW YORK (IPS) - Während sich die durch die neoliberale Wirtschaftspolitik geschwächten UN-Mitgliedstaaten von den Vereinten Nationen absondern und ihre Beiträge kürzen, macht sich innerhalb der Organisation eine Art Charity-Mentalität breit. Konzerne und Superreiche nutzen die Gunst die Stunde, um stillschweigend Einfluss auf das politische Handeln der UN zu nehmen und diese nach ihren eigenen Interessen zu formen.

Die strategische Initiative 'UN Global Compact', die im Zeitraum 1999 bis 2000 von dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufen wurde, um für die 'Verantwortung' von Unternehmen zu werben, war das erste Anzeichen dafür, dass die Vereinten Nationen künftig mit Firmen zusammenarbeiten und ihnen genau zuhören würden.

Kritiker geben zu bedenken, dass sich Unternehmen dadurch Markenvorteile und beträchtlichen Einfluss sichern können, ohne ihr Verhalten groß ändern zu müssen. Die UN freuten sich jedoch, den Zaren der Weltwirtschaft Prestige zu verleihen, um sie näher an sich heranzuholen. Das Weltwirtschaftsforum, das die Konferenzen in Davos organisiert, installierte kurz darauf in den Büros führender UN-Beamter als Bilderrahmen getarnte Bildschirme, damit Spitzenvertreter von Konzernen mit ihnen spontane Gespräche führen konnten.

Ted Turners gewaltige Spende von einer Milliarde US-Dollar an die UN im Jahr 1997 war keine spleenige, einmalige Aktion, sondern ein frühes Signal dafür, dass das Großkapital in das Visier der Vereinten Nationen gerückt ist. Heute pflegt die Weltorganisation eine Vielzahl 'öffentlich-privater Partnerschaften' und vertrauliche Beziehungen mit der Geschäftswelt. Pepsico und BP werden beispielsweise als 'Partner' hochgehalten. Die politischen Optionen haben sich entsprechend verlagert.

Während die Stimmen der Wirtschaft bei den Vereinten Nationen immer deutlicher zu vernehmen sind, sind die Stimmen der Zivilgesellschaft es nicht. Die großen globalen Konferenzen, die sich in den 1990er Jahren mit Begeisterung Themen wie Umwelt, Frauenrechte und sozialer Entwicklung widmeten, zogen Tausende Vertreter unabhängiger Organisationen, Journalisten und Protagonisten der Graswurzelbewegungen an. Breit angelegte Konsultationen brachten die Regierungen zu fortschrittlichen und sogar inspirierenden Stellungnahmen. Doch vor allem Washington war nicht glücklich darüber, dass Bürger bei wichtigen Staatsangelegenheiten mitreden konnten.


Breite Bürgerbeteiligung gilt als 'Extravaganz'

Im neuen Jahrhundert wiesen sie die UN warnend darauf hin, dass sie nicht mehr für "nutzlose Extravaganzen" zahlen würden. Die Führung der Weltorganisation verkleinerte also ihre Konferenzen und begann stattdessen einen Dialog mit sorgfältig ausgewählten Gesprächspartnern. Die einflussreichsten Regierungen haben sich ihre dominante Position im politischen Prozess dadurch bewahrt, dass sie wichtige Diskussionen von den Vereinten Nationen an 'alternative Orte' verlegen. Nur geladene Gäste sind dort zugelassen.

Die G7-Treffen waren bereits Vorboten dieser Entwicklung. Dann folgten die Zusammenkünfte der G 20 sowie private Initiativen unter Beteiligung von Unternehmen wie das Weltwirtschaftsforum. Heute werden die Nationen weniger als Institution, die über Gesetze entscheidet, wahrgenommen, sondern als Ort, an dem internationale Interessensvertreter miteinander ins Gespräch kommen. Die UN suchen 'Wettbewerbsvorteile', so als müssten sich öffentliche Politikinstitutionen nach den Prinzipien des freien Marktes richten. Dieser Abwärtswettlauf ist höchst gefährlich.

Denn die Vereinten Nationen sind eine permanente Institution mit gesetzgeberischen Vollmachten, mit Möglichkeiten, neue Regelungen umzusetzen und mit einem universellen Mitgliederkreis. Sie können und sollten wie eine Regierung agieren und mehr sein als nur ein Debattierclub oder ein Ort für Geheimverhandlungen. Inmitten all der Aufregung über 'Demokratie' auf der Welt achten die Mächtigen wenig auf dieses dringend zu behebende Demokratiedefizit.

Auch wenn die UN generell den Eindruck von Schwäche und Handlungsarmut vermitteln, gibt es zumindest ein robustes und aktives Organ: den Sicherheitsrat. Er tritt fast kontinuierlich zusammen und befasst sich mit zahlreichen der strittigsten Sicherheitsfragen auf der Welt. Doch auch der Rat hat viele Schwachstellen und wird zudem auf despotische Weise von den fünf ständigen Mitgliedern dominiert. Praktisch haben fast ausschließlich die USA und Großbritannien das Sagen. Die zehn für jeweils zwei Jahre gewählten nicht-ständigen Mitglieder haben dagegen kaum Einfluss und in der Regel auch wenig Interesse daran, den Status Quo in Frage zu stellen.

Viele Beobachter sehen in dem UN-Sicherheitsrat ein Machtmonopol, das kaum für Frieden und dauerhafte Sicherheit sorgen kann. Wenn bisher weniger einflussreiche Ratsmitglieder die Kriegspläne Washingtons und Londons hinterfragen wollten, wie sie es überraschenderweise während der Debatten über den Irak-Krieg 2003 taten, werden ihre Entscheidungen ignoriert.

Trotz aller Rückschläge sind allerdings auch Fortschritte hervorzuheben - etwa bei der Aushandlung wichtiger Menschenrechtsabkommen, der Seerechtskonvention oder der Kinderrechtskonvention. Das Montréal-Protokoll hat zu einer erfolgreichen Reduzierung von FCKW geführt und dem Ozonloch Aufmerksamkeit verschafft.

Die Gremien, die über die Umsetzung der Abkommen wachen, sind aber häufig schwach und nicht in der Lage, die Staaten zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. Mächtige Länder missachten regelmäßig das Völkerrecht, ohne dass sie zur Rechenschaft gezogen werden. Selbst Grundsätze wie die Ächtung von Folter, die einst als unverletzlich galten, werden mit Füßen getreten.

Rechtsgelehrte hinterfragen die Sinnhaftigkeit dieser Normen, wenn diese nicht umgesetzt werden. Das ist ein irritierendes Problem, das das UN-System von innen her aushöhlt.

Auch wenn die Vereinten Nationen die schwierigen jahrhundertealten Probleme nicht zu lösen vermochten, konnten sie immerhin einige gute Gedanken zu den Themen 'Entwicklung' und menschliches Wohlergehen beisteuern. In diesem Zusammenhang wäre der berühmte Bericht über die menschliche Entwicklung zu nennen. Außerdem gibt eine Reihe kreativer UN-Forschungsprogramme wie das UN-Forschungsinstitut für soziale Entwicklung, die UN-Universität und das UN-Forschungsinstitut WIDER. Sie haben kreative und einflussreiche Berichte hervorgebracht und gut ausgerichtete Strategien entwickelt.

Leider wurden exzellente und kluge UN-Initiativen aufgrund von Interessenkonflikten eingestampft. 1993 schloss der UN-Generalsekretär das innovative Zentrum über transnationale Konzerne, das unternehmerisches Kalkül und wirtschaftliches Fehlverhalten auf internationaler Ebene untersucht hatte.

Drohungen des US-Kongress nötigten das Büro für Entwicklungsstudien beim UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) dazu, ein Projekt über globale Steuern einzustellen. Finanzieller und politischer Druck gingen auch zu Lasten der Originalität und Vitalität des UN-Entwicklungsberichts. Die Etats dieser Einrichtungen wurden regelmäßig gekürzt und die Forschung ausgelagert.

Das 70-jährige Dienstjubiläum der Vereinten Nationen rechtfertigt sicherlich kein Selbstlob und noch nicht einmal die Äußerung, das Glas sei halb voll. Obwohl viele UN-Organisationen, Fonds und Programme wie das Weltkinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation WHO eine wichtige und unverzichtbare Arbeit leisten, ist die Richtung, die die UN eingeschlagen haben, nicht gerade ermutigend, und die abnehmende finanzielle Basis gibt Anlass zu großer Sorge.

Während sich der Klimawandel in naher Zukunft verschärft und Massenmigration, politischer Instabilität, Gewalt und Nahrungsmittelengpässen den Boden bereitet, wird der Ruf der Menschen, dass es endlich zu handeln gilt, immer lauter werden.

Die Öffentlichkeit könnte sogar die Stärkung einer UN verlangen, damit sie Nothilfemaßnahmen durchführen. Es fällt jedoch schwer, sich vorzustellen, dass die UN größere Verantwortlichkeiten ohne umfassende und möglicherweise längere Reformen übernehmen könnten.

Anstatt abzuwarten, bis sich die Katastrophen zu voller Größe ausbilden, sollten die Bürger eine funktionale, effektive und starke Weltorganisation einfordern, die demokratisch und proaktiv ist und die die Umwelt schützen, den Frieden voranbringen und im Interesse der Menschheit handeln kann. (Ende/IPS/ck/29.06.2015)


Anmerkung:
(*) James A. Paul war 19 Jahre lang Exekutivdirektor der Organisation 'Global Policy Forum', die die Vereinten Nationen beobachtet.


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/06/the-u-n-at-70-united-nations-disappoints-on-its-70th-anniversary-part-two/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2015

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