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STANDPUNKT/512: Neue Forschung unterstreicht Notwendigkeit Atomwaffen zu ächten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2015

Abrüstung: Neue Forschung unterstreicht Notwendigkeit Atomwaffen zu ächten

ein Gastkommentar von Jayantha Dhanapala *


Bild: ICAN

Titelseite der jüngsten Publikation
Bild: ICAN

KANDY, SRI LANKA (IPS/IDN) - In unserer heutigen Welt mit unzumutbar hohen Rüstungsausgaben, die tödliche Konflikte, Zerstörungen und die Vertreibung von Millionen von Menschen verursachen, sollten wir uns immer an die weisen Worte von Präsident Dwight Eisenhower erinnern - eines im Zweiten Weltkrieg ausgezeichneten Militäroffiziers, der später in zwei Amtsperioden als Präsident die USA regierte. In seiner Abschiedsrede an die Nation am 17. Januar 1961 sagte Eisenhower, den ich 1957 als Gaststudent in den USA persönlich kennenlernen durfte:

"Diese Verbindung zwischen einem immensen Militärapparat und einer großen Waffenindustrie ist in den USA neu. Der totale Einfluss - auf ökonomischer, politischer und sogar auf geistiger Ebene - ist in jeder Stadt, jedem Parlament, jedem Büro der föderalen Regierung spürbar. Wir erkennen die zwingende Notwendigkeit dieser Entwicklung. Dennoch müssen wir auch ihre schwerwiegenden Auswirkungen begreifen. Unsere Arbeit, Ressourcen und Existenzgrundlagen sind davon betroffen, ebenso wie die Grundstruktur unserer Gesellschaft.

In den Regierungsgremien müssen wir verhindern, dass die Rüstungsindustrie unberechtigten Einfluss erlangt, sei es willentlich oder unbeabsichtigt. Das Potenzial für eine katastrophale Zunahme unangemessener Macht existiert bereits und wird auch fortdauern.

Wir dürfen niemals zulassen, dass diese beklemmende Verbindung unsere Freiheiten und demokratischen Verfahren gefährdet. Wir sollten nichts für selbstverständlich halten. Nur ein wachsamer und gut informierter Bürger kann eine angemessene Verzahnung von Großindustrie und dem riesigen militärischen Verteidigungsapparat mit unseren friedlichen Vorgehensweisen und Zielsetzungen erzwingen, auf dass Sicherheit und Freiheit gemeinsam gedeihen mögen."


USA haben Anteil von 40 Prozent an globalen Militärausgaben

Eisenhowers Worte haben eine unmittelbare Relevanz nicht nur für die USA, auf deren Konto 40 Prozent der globalen Militärausgaben gehen, sondern auch für alle anderen Länder mit einem ähnlich aufgebauten industriellen Rüstungssektor. Das weltweit anerkannte 'Stockholm International Peace Research Institute' (SIPRI) schätzte die globalen Militärausgaben im Jahr 2014 auf 1,8 Billionen US-Dollar. Diese Summe muss dem Elend von mehr als einer Milliarde Mitmenschen gegenübergestellt werden, die mit einem Einkommen von weniger als 1,25 Dollar täglich unterhalb der Armutsgrenze leben.

Die 70 Jahre alte UN-Charta gibt den Nationalstaaten die Möglichkeit zur Selbstverteidigung und appelliert zugleich an die internationale Gemeinschaft, Streitigkeiten auf friedlichem Weg beizulegen und in den internationalen Beziehungen auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten.

Das Recht auf Selbstverteidigung muss zudem aus einer ethischen Perspektive betrachtet werden. Daher unterscheiden wir traditionell zwischen konventionellen Waffen und Massenvernichtungswaffen. Unter die letztere Kategorie fallen atomare, biologische und chemische Waffen.

Außerdem sind auch Laserwaffen, binäre Kampfstoffe, Antipersonenminen und Cluster-Munition verboten, weil sie eindeutig gegen universelle humanitäre Werte verstoßen. Ebenso müssen autonome Waffensysteme (LAWS) und Roboterwaffen geächtet werden. Diese Sichtweise wird auch von allen Weltreligionen geteilt.

Von all diesen Massenvernichtungswaffen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, haben wir bisher nur erreicht, dass biologische und chemische Waffen gesetzlich verboten wurden. Atomwaffen hingegen sind noch nicht verboten, obwohl wir längst wissen, dass es sich um die Waffen mit der größten Zerstörungskraft handelt, deren Einsatz katastrophale Auswirkungen hinsichtlich der Zahl der Opfer und der langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt haben würde.


Reduzierung der Zahl von Atomwaffen reicht nicht aus

Immerhin hat es bereits Fortschritte gegeben. Die Zahl der nuklearen Sprengköpfe wurde auf derzeit 15.850 reduziert, die im Besitz von neun Staaten sind. Der Atomwaffensperrvertrag hat den Kreis der Länder, die Kernwaffen besitzen dürfen, eingeschränkt. Das von dem noch nicht in Kraft getretenen Kernwaffenteststopp-Vertrag (CTBT) vorgesehene Atomtestmoratorium wird künftige atomare Explosionen in Friedenszeiten verhindern. Nachdem weltweit atomwaffenfreie Zonen festgelegt worden sind, hat sich die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes dieser Waffen signifikant verringert.

Dennoch werden Nukleararsenale weiterhin auf den neuesten Stand gebracht. Die Gefahr einer bewussten oder versehentlichen Verwendung von Atomwaffen durch Staaten und nicht-staatliche Akteure ist beängstigend real. Wir müssen daher der Abschaffung von Atomwaffen Priorität einräumen.

Im September dieses Jahres erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon: "Im Jahr 2015 wird der 70. Jahrestag des ersten und bisher letzten Einsatzes von Atomwaffen in einem Krieg begangen. Die Norm gegen die Verwendung von Kernwaffen - die zerstörerischsten Waffen, die jemals gebaut wurden und die einen nie dagewesenen Tribut an Menschenleben fordern könnten - wurde sieben Jahrzehnte lang konsequent eingehalten. Dennoch ist ihre vollständige Beseitigung die einzige absolute Garantie dafür, dass sie niemals wieder eingesetzt werden."

Dieses Ziel wurde bereits in der ersten UN-Resolution vom Januar 1946 als Priorität festgeschrieben. Die erste Sondersitzung der UNO zum Thema Abrüstung (SSOD I) im Jahr 1978, die Canberra-Kommission für die Beseitigung von Atomwaffen 1996, das ICJ-Gutachten von 1996, die Kommission für Massenvernichtungswaffen 2004 und andere multilaterale Erklärungen sind zu dem Schluss gekommen, dass Nuklearwaffen abgeschafft werden müssen. Diese Überzeugung wurde durch Beweise untermauert, die wir über die Klimafolgen selbst eines eingeschränkten Einsatzes von Kernwaffen gewonnen haben.

Deshalb unterstütze ich gern die bewundernswerte Arbeit der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die folgendes Statement herausgegeben hat:

"Herstellung, Unterhalt und Modernisierung von Nuklearstreitkräften ziehen öffentliche Finanzmittel in großem Umfang aus Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Klimaschutz, Katastrophenhilfe, Entwicklungshilfe sowie aus anderen lebenswichtigen Dienstleistungen ab. Global werden die jährlichen Ausgaben für Kernwaffen auf 105 Milliarden Dollar geschätzt. Dies entspricht zwölf Millionen Dollar pro Stunde. Im Jahr 2002 sagte die Weltbank voraus, dass jährlich 40 bis 60 Milliarden Dollar - etwa die Hälfte der derzeitigen Ausgaben für atomare Waffen - ausreichen würden, um bis Ende 2015 die international vereinbarten Millenniumsentwicklungsziele bei der Armutsbekämpfung zu erreichen."


Begrenzung des Zerstörungspotenzials unmöglich

Anders als in anderen Industriesektoren wie etwa bei der Tabakproduktion, die ebenfalls dem menschlichen Wohlergehen schaden, ist es bei Atomwaffen nicht möglich, Reformen und Regulierungen in Betracht zu ziehen, die die schlimmsten Folgen für das menschliche Leben abmildern könnten. Die einflussreichen Atommächte stellen sich entschlossen gegen eine Abschaffung dieser Waffen. Wir müssen also aus vorangegangenen Kampagnen Lehren ziehen, um die Arbeit der Zivilgesellschaft voranzubringen.

Ein herausragendes Beispiel ist etwa die 'Divestmentkampagne' der Anti-Apartheid-Bewegung, die dem abscheulichen Diskriminierungssystem in Südafrika den ersten Schlag versetzte. Würden wir nun Investitionsfonds für Firmen stoppen, die die Kernwaffenindustrie in Gang halten, kämen wir auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt weiter voran und würden einen Slogan in die Tat umsetzen. Die Fortschritte seit dem ersten Bericht 'Don't Bank on the Bomb' ist der Beweis dafür, dass wir das schaffen können. (Ende/IPS/ck/17.11.2015)

* Jayantha Dhanapala ist ehemaliger UN-Untergeneralsekretär für Abrüstungsfragen. 1995 führte er den Vorsitz bei der Konferenz zur Überprüfung und Erweiterung des Atomwaffensperrvertrags. Er war Botschafter Sri Lankas bei den Vereinten Nationen (1984 bis 1987) und in den USA (1995 bis 1998). Von 1987 bis 1992 leitete er außerdem das UN-Institut für Abrüstungsforschung (UNIDIR).

Der Artikel erschien zuerst als Vorwort zu 'Don't Bank on the Bomb - A Global Report on the Financing of Nuclear Weapons Producers', einer gemeinsamen Publikation der Organisation PAX und der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN).


Links:

http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/2555-new-research-stresses-need-for-banning-the-bomb
http://www.dontbankonthebomb.com/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2015

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