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STANDPUNKT/614: Die Araber waren es (Uri Avnery)


Die Araber waren es

von Uri Avnery, 3. Dezember 2016


ALS MEINE Eltern kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, in Deutschland heirateten, war unter den Geschenken ein Dokument, das bescheinigte, dass in ihrem Namen ein Baum in Palästina angepflanzt worden sei.

Mein Vater war ein früher Zionist. Ein volkstümlicher jüdischer Witz in Deutschland lautete damals: "Ein Zionist ist ein Jude, der von einem anderen Juden Geld haben will, um einen dritten Juden in Palästina anzusiedeln." Mein Vater plante zu dieser Zeit gewiss nicht, selbst nach Palästina zu gehen.

Palästina war in jener Zeit ein Land ohne dekorative Bäume. Die arabischen Bewohner kultivierten Olivenbäume, mit deren Hilfe sie ein karges Leben führten. Zu jener Zeit wurden Zitrusbäume eingeführt. Die Olivenbäume waren einheimische Bäume: schon in der biblischen Geschichte Noahs brachte die Taube einen Olivenzweig als ein Zeichen des Lebens zur Arche.

Einer beliebten Legende zufolge ließ die türkische Regierung während des Krieges die Bäume fällen, um eine Eisenbahnlinie durch die Sinai-Halbinsel zu bauen und die Briten vom Suez-Kanal zu vertreiben. Stattdessen überquerten die Briten den Sinai in der anderen Richtung und eroberten Palästina.


NACH JENEM Krieg begannen die Zionisten in Massen ins Land zu kommen. Unter anderem begannen sie damit, Bäume in großer Menge anzupflanzen. Ganze Wälder wuchsen heran, doch verglichen mit russischen oder europäischen Wäldern waren sie bescheiden.

Die Zionisten fragten sich nicht, warum das Land so wenige Baumarten hatte. Die offensichtliche Antwort war, dass sich die Araber nicht darum kümmerten. Das ist eben ihre Art. Keine Liebe für das Land, keine Liebe für Bäume.

Die zionistische Bewegung war voller Selbstvertrauen. Sie konnten alles tun, was sie sich in den Kopf setzten. Sie hassten die palästinensische Landschaft, wie sie war. Sie wollten ein anderes Land schaffen. Als David Ben-Gurion, ein 20jähriger Jugendlicher, 1906 in Jaffa landete, war er völlig angewidert: "Ist dies das Land unserer Vorväter?" rief er.

So begannen die Zionisten, die Landschaft zu verändern. Sie importierten schöne Bäume aus aller Welt und legten Wälder an, wo immer sie konnten: entlang der Straße von Tel Aviv nach Jerusalem, auf dem Berg Karmel und an vielen anderen Orten. Sie waren wunderschön.

Die neuen Einwanderer fragten sich nicht, warum in dem Land, das seit Anbeginn der Zeiten bevölkert war und es bis heute blieb, derartige Bäume nicht wuchsen. Offensichtlich war es die Schuld der Araber.

Tatsächlich gibt es einen ganz anderen Grund. Palästina leidet an einem extremen Mangel an Regen. Alle paar Jahre gab es eine Trockenphase: das Land trocknete aus und überall brach Feuer aus. Die Bäume, die nicht an dieses Klima gewöhnt sind, brennen ab.

Vor sechs Jahren gab es eine Warnung. Ein sehr großes Feuer brach auf dem Berg Karmel aus. Es verbrannte große Teile des Waldes und tötete 47 Polizisten, die vom Feuer eingeschlossen wurden, als sie dabei waren, ein Gefängnis zu evakuieren.

Vor zwei Wochen geschah es wieder. Acht Monate lang fiel kaum ein Regentropfen. Ein starker, heißer, Ostwind blies von der Wüste her. Das Land trocknete aus. Jeder kleine Funken hätte ein großes Feuer entzünden können.


PLÖTZLICH BRANNTE das Land. Etwa 150 einzelne Feuer brachen aus, viele davon in der Nähe von Haifa, Israels drittgrößter Stadt. Haifa ist wunderschön, fast wie Neapel und einige seiner Vororte sind von Bäumen umgeben. Keiner hatte bei der Anpflanzung an Sicherheitsabstände gedacht.

Mehrere Vororte brannten. Fast 80.000 Einwohner mussten evakuiert werden. Viele Wohnungen wurden vom Feuer zerstört. Es war herzzerreißend.

Die Feuerwehrleute taten ihr Bestes. Sie arbeiteten rund um die Uhr. Es gab keine Toten. Mit Wasserschläuchen vom Boden aus und mit leichten Feuerlösch-Flugzeugen in der Luft brachten sie das Feuer nach und nach unter Kontrolle.

Wie brachen die Feuer aus? Unter den herrschenden klimatischen Bedingungen genügte ein kleiner Funke, der eine große Katastrophe auslösen konnte. Ein nicht sauber gelöschtes Lagerfeuer, eine brennende Zigarette aus einem vorbeifahrenden Auto geworfen, eine umgefallene Wasserpfeife.

Aber das ist für die Medien und erst recht für die Politiker nicht dramatisch genug. Sehr bald war das Land voller Anklagen: die Araber seien schuld. Natürlich. Wer noch? Das Fernsehen war voller Leute, die tatsächlich Araber gesehen hätten, die die Wälder in Brand setzten.

Dann erschien Benjamin Netanjahu auf dem Bildschirm. Gekleidet in einen modischen Kampfanzug und umringt von seinen Lakaien, erklärte er, dass dies alles das Werk arabischer Terroristen sei. Es sei eine Feuer-Intifada. Zum Glück habe Israel einen Retter: nämlich ihn. Er hatte die Kontrolle übernommen. Er ließ ein amerikanisches Super-Löschflugzeug kommen und noch andere ausländische Lösch-Flugzeuge. Die Israelis konnten nach Hause gehen und schlafen.

In Wirklichkeit war dies alles Unsinn. Die tapferen Feuerwehrmänner und Polizisten hatten die Arbeit bereits getan. Netanyahus Einmischung war überflüssig, ja sogar schädlich.


WÄHREND DES letzten großen Feuers vor sechs Jahren auf dem Karmel hatte Netanjahu dieselbe Rolle gespielt. Er ließ ein riesiges amerikanisches Feuerlösch-Flugzeug kommen. Es hatte gute Arbeit über dem Wald geleistet. Nahe den bewohnten Ortsteilen konnte es dieses Mal nichts tun. Der Supertanker war nutzlos. Netanjahu ließ ihn kommen, ließ sich mit ihm fotografieren - und das war es dann.

Die Anschuldigung, die arabischen Bürger seien für die Katastrophe verantwortlich, war schlimmer. Als Netanjahu sie erhob, glaubten ihm viele.

Der halbfaschistische Bildungsminister Naftali Bennett behauptete, dass das Feuer ein Beweis dafür wäre, dass das Land den Juden gehöre, da die Araber es angezündet hätten.

Viele arabische Bürger wurden verhaftet und verhört. Die meisten wurden entlassen. Am Ende schien es so, dass vielleicht zwei Prozent der Feuer von arabischen Jugendlichen als Racheakt gelegt worden waren.

Haifa ist eine gemischte Stadt mit einer großen arabischen Bevölkerung. Im Allgemeinen sind die Beziehungen zwischen den Arabern und Juden dort gut, zuweilen sogar herzlich. Die beiden Gemeinschaften standen der neuen Gefahr gemeinsam gegenüber, arabische Dörfer öffneten ihre Wohnungen für jüdische Flüchtlinge. Auch Mahmoud Abbas, der Chef der palästinensischen Behörde in den besetzten Gebieten, schickte seine Feuerwehrleute nach Israel, um mitzuhelfen.

Netanjahu's Brandreden, in denen er wilde (und völlig unbewiesene) Anklagen gegen die arabischen Bürger und gegen die arabischen Arbeiter aus den besetzten Gebieten erhob, fanden keinen Anklang.

Dieses politische Feuer wurde zum Schweigen gebracht, bevor es zu viel Schaden anrichtete. Während die Tage vergingen, schwanden die Anschuldigungen, aber der Schaden, den sie anrichteten, bleibt.

(Als ich vor langer Zeit in der Armee diente, wurde meine Kompanie mit dem Ehrentitel "Simson's Füchse" ausgezeichnet. Simson, der biblische Held, befestigte brennende Fackeln an den Schwänzen der Füchse und jagte sie in die Felder der Philister).



DAS FEUER sollte uns nachdenklich machen.

Falls Netanjahu und seine Lakaien recht haben und "die Araber" beabsichtigen, uns mit allen Mitteln - einschließlich Feuer - aus dem Land zu werfen, was können wir dagegen tun?

Die einfache Antwort wäre: Werft stattdessen sie aus dem Land.

Logisch, aber unpraktisch. Es gibt jetzt mehr als 6,5 Millionen arabische Palästinenser in Groß-Israel - dem eigentlichen Israel, der Westbank (einschließlich Ost-Jerusalem) und dem Gazastreifen. Die Zahl der Juden ist etwa dieselbe. In der heutigen Welt kann man eine solch große Anzahl an Menschen nicht einfach vertreiben.

Also sind wir verurteilt zusammenzuleben - entweder in zwei Staaten, (ein Vorschlag, den Netanjahu ablehnt) - oder in einem Staat, der entweder ein Apartheidstaat oder ein bi-nationaler Staat sein wird.

Wenn man wie Netanjahu und seine Annhänger glaubt, dass jeder Araber ein potentieller "Brandstifter-Terrorist" ist - wie könnte man in einem gemeinsamen Staat in der Lage sein, nachts zu schlafen.

Nur wenige Araber haben Waffen. Nur einige haben ein Auto, mit dem sie Juden überfahren können. Nur einige können Explosiv-Stoffe herstellen. Aber jeder hat Streichhölzer. Wenn es eine trockene Saison gibt, ist der Himmel die Grenze.

Übrigens rein zufällig sah ich in dieser Woche ein deutsches Fernsehprogramm über ein Schweizer Dorf hoch oben in den Alpen. Von Zeit zu Zeit weht dort ein heißer Wind, den man Föhn nennt, vom Süden darüber hinweg. Zweimal ist es während der Lebenszeit der dortigen Bewohner bereits abgebrannt. Alles ohne einen einzigen Araber in Sicht.


IN ISRAEL ist die Feuerwehr den lokalen Behörden unterstellt, die die Schirmherrschaft haben und den Feuerwehrleuten das Gehalt zahlen.

Im Juni 1968 kam ich als junges Mitglied der Knesset mit einem revolutionären Vorschlag: alle lokalen Feuerwehr-Abteilungen aufzuheben und einen vereinigten, nationalen Feuerwehrdienst einzurichten, so wie die Polizei. Eine solche Kraft, behauptete ich, könnte sich auf alle möglichen Fälle vorbereiten, eine angemessene Ausrüstung anschaffen und die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.

Im Gegensatz zu ihrer Gewohnheit, meine Vorschläge zu schmähen, nahmen meine Gegner diesen Vorschlag ernst. Der zuständige Minister erkannte, dass dies eine gute Idee war, fügte aber hinzu, dass "ihre Zeit noch nicht gekommen sei".

Nun, 48 Jahre später, ist die Zeit offensichtlich noch immer nicht gekommen.

Stattdessen kam das große Feuer.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 03.12.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2016

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