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STANDPUNKT/679: Schöne neue Digitalisierung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Schöne neue Digitalisierung
Warum dahinter eine Gefahr für unsere Demokratie steckt

von Marie-Luise Abshagen


Digitalisierung - das ist eines dieser Trendworte, die in Politik und Gesellschaft gerade besonders viel genutzt werden. Es geht um eine Veränderung der Gesellschaft basierend auf Informationstechniken hin zur digitalen Vernetzung unserer Lebensräume und Infrastrukturen, zunehmender Nutzung digitaler Medien im Privaten und Beruflichen genauso wie die Automatisierung von Arbeitsprozessen. Die oft als "Vierte industrielle Revolution" bezeichnete Entwicklung stößt in Politik und Wirtschaft vornehmlich auf Begeisterung. Zurecht?


Dass sich die Politik endlich mit den Veränderungen in einer zunehmend von Internet und digitaler Vernetzung geprägten Gesellschaft befasst, ist sinnvoll und wichtig. Denn genau diese Trends sind eben nicht "Neuland" für die meisten Menschen, sondern Realität. Von der Art, wie wir kommunizieren oder einkaufen, über die elektronische Steuererklärung bis hin zu Wirtschaftssektoren, die sich nur mit digitalen Produkten befassen - wir leben bereits in einer digitalen Welt. Viel zu selten wird allerdings die Frage gestellt: Wollen wir das überhaupt?


Digitalisierung von Regierung

Effektivere und moderne Verwaltung, Sicherheit durch intelligente Videoüberwachung, VerbraucherInnenschutz durch Entfernen von Hasskommentaren - mit ihrer digitalen Agenda und einem ressortübergreifenden Steuerungskreis will die Bundesregierung "digitalen Wandel mitgestalten". Diese Einbindung verschiedener Ministerien ist begrüßenswert, betrifft doch die Digitalisierung nicht nur das Regieren selber, sondern viele verschiedene Arbeitsbereiche der Regierung.

Ein Feld, da sind sich ExpertInnen(1) einig, wird allerdings auf beunruhigende Weise kleingeredet: Datenschutz. Seit 2016 tritt in Erklärungen der Bundesregierung der Begriff der "Datensouveränität" auf, das sich gegen ein "Zuviel an Datenschutz" und für "Datenreichtum statt Datensparsamkeit" ausspricht. Dahinter stecken das umfassende Sammeln von Daten durch die öffentliche Verwaltung, der bessere Austausch dieser Daten zwischen Behörden und der Ausbau von personenidentifizierender Videoüberwachung.

Vieles hiervon ist bereits Realität, das zeigen die Veröffentlichungen von Edward Snowden oder Wikileaks. Zivilgesellschaftliche Organisationen befürchten mit der im April 2017 in Kraft getreten Novelle des Datenschutzrechts eine Einschränkung der Prinzipien der Datenminimierung und Zweckbindung sowie von Betroffenenrechten. Selbst die unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder betonen, Datenschutz sei ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsgarantie. Umso problematischer ist der vor Kurzem - mitten in der Nacht - verabschiedete Gesetzentwurf zur automatischen Aktivierung des elektronischen Personalausweises. Dadurch sollen Behördengänge online erfolgen; das Gesetz befähigt jetzt aber auch die sämtlichen Sicherheitsbehörden, künftig jederzeit biometrische Lichtbilder für Personalausweis und Pass bei den Meldeämtern automatisiert abrufen zu können.


Digitalisierung von Macht

Schon ist man beim Knackpunkt der Digitalisierungsdebatte: der Machtfrage. Einerseits können der Zugang und die Nutzung von Computern und Internet selbstverständlich zum Machtausgleich beitragen. Das Internet gibt Menschen Spielräume, die sie in der realen Welt möglicherweise nicht haben. In China beispielsweise zeigte sich vor einigen Jahren ein interessanter Trend, dass sich Protest an der Regierung, freie Meinungsäußerung oder Dokumentation von verbrecherischen Aktivitäten von BürokratInnen im Internet bildete. In vielen Fällen führte dies sogar zu Konsequenzen in der realen Welt.

Der Raum für Aktivismus im Virtuellen gleicht allerdings einem Katz-und-Maus-Spiel, das im Fall von China extrem restriktive Gesetze gegenüber Internetprotest zur Folge hat. Ähnliche Dynamiken konnte man beim Arabischen Frühling beobachten, bei welchem soziale Medien zur Kommunikation des Protests dienten, bis die Staatsmacht darüber AktivistInnen verfolgte oder das Internetnetz einfach abstellte. Und auch in Deutschland lässt die Allgegenwärtigkeit anonymer Hasskommentare und deren Auswirkung auf gesellschaftliche Debatten am Mehrwert dieses neuen Diskursraums für eine freiheitliche Gesellschaft zweifeln.

Hinzu kommt, dass weltweit fast alle konsumentInnenbasierte ITNutzung auf der Soft- und Hardware einer überschaubaren Anzahl von Unternehmen basiert. Immerhin hatten laut statista Mitte 2016 49 Millionen Deutsche ein Smartphone,(2) und diese sind fast immer von Apple oder Google betrieben. Mit diesen Daten machen genannte Konzerne ein gutes Geschäft, bezahlen aber gleichzeitig bekanntermaßen für ihre Gewinne so gut wie keine Steuern. Und obwohl das Silicon Valley als eines der Vorbilder von Innovation gilt, bleibt gerade der IT-Sektor hochgradig ungerecht. Amazon-Chef Jeff Benzon gehört - neben den Chefs von Facebook und Microsoft - zu den 8 reichsten Menschen (allesamt Männer) der Welt und besitzt bizarrerweise ein eigenes Raumschiffunternehmen. Frauen und Minderheiten sucht man bei Twitter, Yahoo und Google lange. 2016 waren in diesen Unternehmen beispielweise unter 2 Prozent der US-Angestellten schwarz.(3)

Regulierungen gegen die Monopolbildung dieser riesigen Unternehmen sucht man allerdings bisher vergeblich. Ein neuer Ansatz der Bundesregierung im Kontext der G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) zur Schaffung internationaler Standards für die digitale Wirtschaft könnte ein Hoffnungsschimmer sein. Bisher ist darüber allerdings wenig bekannt, und ob die G20 derzeit zu einem solchen Beschluss kommen können, ist ohnehin fraglich.


Digitalisierung und der Arbeitsmarkt

Dabei muss die Macht- und Gerechtigkeitsfrage unbedingt gestellt werden. Dies zeigt sich im besonders heiß diskutierten Thema der Auswirkungen von Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt. Dabei geht es um den Ausbau der Robotik, ebenso wie um die Ersetzung logistischer Tätigkeiten durch Computer. Unter dem Stichwort Arbeit 4.0 wird derzeit so der Umbau der Arbeitswelt vorangebracht. Die Idee: Monotone Arbeit wird zukünftig von Maschinen erledigt, die diese im Zweifelsfall sowieso besser können als der Mensch. Dieser kann sich stattdessen auf Arbeit konzentrieren, die das menschliche Wesen braucht und fördert: Arbeit mit Kreativität, Empathie und Selbstbestimmung. So entsteht ein völlig neu gedachtes Verständnis von Arbeit, das diese nicht als Erwerbstätigkeit, sondern als Sinnstiftung begreift. Effizientere Arbeitsabläufe lassen zudem mehr Zeit für Familie und Freizeit. Arbeitsplatzverluste werden durch Weiterbildungen und kluge Sozialpläne aufgefangen.(4)

Erfahrungen mit anderen Arten von Strukturwandel, beispielsweise im Kohlesektor, zeigen aber, wie schwierig es ist, Arbeitsplatzverluste zu bewältigen und gerecht zu gestalten. Mit einer einfachen Umschulungsstrategie ist es eben nicht getan. In einer Studie fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vielmehr Beteiligung und Mitbestimmung der Beschäftigten, insbesondere bei Einführung neuer Technologien, beispielsweise im Industriesektor. Beunruhigend ist auch die Aufweichung von Arbeitsrechten, wie der 40-Stunden-Woche, welche die Digitalisierung besonders im Dienstleistungssektor mit sich gebracht hat. Dort hat eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung durch mobile Arbeitsorte vor allem die Tendenz eines "Arbeiten auf Abruf" hervorgerufen, bei welcher lediglich der Arbeitseinsatz bezahlt, das wirtschaftliche Risiko hingegen komplett auf die Beschäftigten verlagert wird. Der DGB fordert in diesem Zusammenhang unter anderem die Notwendigkeit eines Rechts zum "Log off" (Abschalten) für Arbeit außerhalb des Büros.


Digitalisierung und Rohstoffe

Ein Thema wird schließlich bei der Diskussion um Digitalisierung fast immer komplett ausgeblendet: Woher kommen die Rohstoffe dafür? Computer, Kabel, Smartphones, Router, Maschinen - alles in der digitalen Welt braucht Rohstoffe. Sehr viele Rohstoffe. Bis auf eine vage Ankündigung von Apple, in der Zukunft Smartphones recyceln zu können, und Nischenprodukte für faire Elektronik, wie das Fairphone, beruht unsere Informationstechnologie auf menschenrechtsverletzenden und umweltschädigenden Abbau- und Herstellungspraktiken in Ländern des Globalen Südens. Alle wissen das. Möglicherweise werden bald sogar Rohstoffe aus der Tiefsee abgebaut, ein absurd teures Unterfangen, das zwangläufig zu weiteren Umweltund Menschenrechtskrisen führen wird. Effektive Regulierungen zu Kreislaufwirtschaft, Umweltsteuern, Werbungsbegrenzung oder Verbote eines vorsätzlichen Einbaus minderwertiger Ersatzteile fordern Verbände schon lange.


Macht die digitale Welt unser Leben wirklich besser?

Die Digitalisierung ist längst Realität und wird sicherlich noch weitere Bereiche unserer Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verändern. Blinde Technikverweigerung ist deswegen keine Lösung, vor allem auch um illegalen und gefährlichen Aktivitäten im Internet nicht schutzlos gegenüberzustehen. Die Art und Weise, auf die Digitalisierung jedoch derzeit vor allem von Seiten der Politik diskutiert wird, schwankt zwischen naiv, markthörig und opportunistisch. Es ist nun an uns, als BürgerInnen und Zivilgesellschaft für unser Recht auf eine demokratische und umweltfreundliche Digitalisierung einzutreten.


Die Autorin ist Referentin für nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Anmerkungen:

(1) Siehe beispielsweise http://www.dgb. de/presse/++co++fa60abcc-04a3-11e7-93aa-525400e5a74a.

(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/198959/umfrage/anzahl-der-smartphonenutzer-in-deutschlandseit-2010/.

(3) http://www.deutschlandfunkkultur.de/its-a-white-mens-world-frauen-und-minderheiten-im-silicon.979.de.html?dram:article_id=359787

(4) Siehe hierzu beispielsweise BMWi und BMIV.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 26-27
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2017

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