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LAIRE/1231: "Surrogates - Das zweite Ich" - Ein Leben in der Hölle (SB)


Von der Ersatzwelt zum Leben in der Ersatzwelt vermeintlich befreit

Bruce Willis kämpft mal wieder für seine Familie


Häufig enden Kinofilme an einer Stelle, an der die eigentliche Geschichte, die das Leben für die Menschen normalerweise bereithält, erst beginnt. Insofern "eigentlich", als daß nach der Bewältigung diverser Herausforderungen, die der Held übersteht, am Ende im Film die echten Probleme gar nicht angesprochen werden. Hat der muskelbepackte Krieger (wahlweise: der schüchterne brille-tragende Buchhalter) nach meist 90 Minuten alle Fährnisse und Unfairness des Lebens leidlich überstanden und die gutaussehende, blonde Frau erobert (wahlweise: die graue Maus, die selbstverständlich nur darauf wartet, "entdeckt" zu werden - aber der Richtige muß es sein!), kommt der Abspann. [1]

Man steht auf, verläßt den Kinosaal, und wird zurückgeworfen in den Alltag, dem man für kurze Zeit zu entfliehen gehofft hatte. "Und sie lebten fortan glücklich bis an ihr Lebensende" - viele Filme vermitteln unausgesprochen diese Botschaft. Doch wie sieht der Alltag eines Rambo-Typs aus, der, sagen wir, die Tochter eines einheimischen Rebellenführers ergattert hat? Macht er anschließend einen auf Familie und sie auf Hausfrau? Wie lange wird das wohl gutgehen? Falls es eine Sequel gibt, wird diese Frage vermieden. In der Zwischenzeit ist sie gestorben, er deswegen dem Suff verfallen, kriegt sich aber wieder ein, übernimmt eine bedeutende Aufgabe - je nachdem: für einen alten Freund, für die Nation, für die Menschheit -, lernt eine interessante Frau kennen, etc. pp ... Der Kreislauf des Lebens eben.

Was mit dieser umwegigen Einleitung gesagt werden soll: Nach dem Abspann der Filmwelt trifft mensch irgendwann auf den Abspann im wirklichen Leben. Womit wir beim Thema sind, dem Film "Surrogates - Mein zweites Ich". Darin verlassen die meisten Menschen nicht mehr ihre Wohnungen, sondern leben das Leben von künstlichen Ersatzmenschen, den Surrogates. Über gezielt gesteuerte Hirnwellen können die menschlichen Operatoren aus ihren Sesseln heraus nicht nur ihre Surrogates steuern, sondern auch deren Empfindungen spüren. Gefahrlos für das eigene Leben und viel intensiver.

In sich nicht schlüssig wird in dem Film behauptet, daß die Mordrate auf Null zurückgegangen sei, seitdem die Menschen ihre Surrogates lenken. In einer Szene wird jedoch der Versuch einer Vergewaltigung gezeigt. Es ist nicht plausibel, warum die Menschen nicht mehr morden sollten. Bei dieser einen Ungereimtheit bleibt es nicht in dem Versuch, eine Welt im Jahr 2017 zu beschreiben. Darauf kommt es mir nicht an, entscheidend an dem durchaus spannenden und actionreichen Film ist die Botschaft: Ein vereinzelter Mensch kämpft für seinen Wunsch nach einer heilen Ehe.

Der FBI-Agent Tom Greer (Bruce Willis) und dessen Partnerin Agent Peters (Radha Mitchell), bzw. deren Surrogate, sollen einen Fall aufklären, bei dem ein Unbekannter mit einer geheimnisvollen Waffe zwei Surrogate zerstört hat. In eben diesem Atemzug hatten auch deren menschlichen Operatoren ihr Leben ausgehaucht. Eine solche Rückwirkung galt bislang als ausgeschlossen.

Greer findet heraus, daß das Militär eine Waffe zur Ausschaltung von Surrogaten entwickelt, das Projekt aber wegen der unliebsamen Nebenwirkung nicht weiter verfolgt hatte. Eine einzige Waffe aus diesem Projekt war übriggeblieben und in die falschen Hände geraten. Am Ende schließt der Surrogate des querschnittsgelähmten Erfinders dieser Technologie, der zuvor von seiner fiesen Firma VSI verstoßen worden war, die letzte dieser Waffen an das landesweite System an, um sämtlichen Surrogaten den Saft abzudrehen. Der echte FBI-Agent Greer verhindert das, weil sonst alle angeschlossenen Menschen gleichfalls sterben, und das will er nicht. Er sorgt dafür, daß die Menschen gerettet und die Surrogate stillgelegt werden. Somit befreit er die Menschen im allgemeinen und seine Ehe im besonderen. Hatte sich doch seine Frau Maggie nach dem Verlust des gemeinsamen Sohnes vollständig in die Surrogatwelt geflüchtet.

Während die ausgeknipsten Surrogate auf den Gehwegen Bostons herumliegen und Autos ineinander verkeilt zum Stillstand kommen, öffnen sich erst zaghaft hier und da, dann immer mehr die Türen der Häuser, und heraustreten die wahren Menschen. Sie sind ziemlich verschlufft, in Bademäntel gekleidet und mit Pantoffeln an den Füßen. Der "Schlaf" wird abgestreift. Die Menschen blicken sich um, atmen die Luft, lernen die Welt neu kennen, der sie, von einer machtgierigen Firma verführt, den Rücken gekehrt hatten. Endlich frei.

Aber - hier hebt der Film den Zeigefinger - was die Menschen daraus machen, wird sich noch zeigen. Aaah, der ur-amerikanische Mythos, die "zweite Chance", sie durfte natürlich nicht fehlen. Dieses Thema wird in Hollywood-Filmen fast so häufig bedient wie das des Vater-Sohn-Konflikts, nicht selten, daß beide Klischees in eins fallen.

Wäre eine Welt ohne robotische Surrogates eine Welt ohne jeglichen Ersatz, also ohne das Vorgaukeln von Flucht-Räumen? In der Schlußszene halten sich Tom und seine Frau Maggie in den Armen. Schnitt. Abspann. Aber was kommt danach? Endlich zusammen und dann? Sicherlich nicht noch einmal ein zweites Ich leben. Keine Surrogate. Sondern statt dessen arbeiten, seine Freizeit gestalten, andere Menschen treffen, ein gemeinsames Hobby anfangen und dazu vielleicht noch eines, wo jeder mal was "für sich" macht. Essen, trinken, schlafen. Sieben Tage die Woche, ein Monat nach dem anderen, bis zum echten finalen Abspann, der nicht ausbleiben wird und vor dem mensch die ganze Zeit davongelaufen ist, ohne ihm entkommen zu können.

Ob auf der Schwelle zu diesem finalen Abspann das ganze Leben wie ein Surrogat erscheint, und die Versuche, sich in der sogenannten Wirklichkeit eine gesellschaftliche Existenz aufzubauen, als nicht verschieden von dem im Film dargestellten Versuch, mit einem zweiten Ich dem Verhängnis entkommen zu können?

Bezeichnenderweise fiel den Filmmenschen auch nichts anderes ein, als ihre Surrogates das machen zu lassen, was Menschen sowieso immer tun und heute bereits in virtuellen Welten wie Second Life nachstellen: Brav der Arbeit nachgehen, sich Schönheitsoperationen unterziehen, als Soldat in den Krieg marschieren, eine Discothek aufsuchen, miteinander schlafen, Familienleben nachspielen, sich vergnügen, für Abwechslung sorgen, sich ablenken.

Die möglicherweise von den Filmemachern als Anflug von Gesellschaftskritik gemeinten Aspekte - Kritik am Streben nach Reizsteigerung, an der Macht einzelner Konzerne und irgendwo auch an der Überwachungsgesellschaft - fallen am Ende dem Weichspüler zum Opfer: Maggie und Tom haben sich wieder, der Kampf von Stirb-langsam-Willis um seine Familie war wie immer kompliziert und erfolgreich.

Hier nun ein Vorschlag für ein alternatives Ende, mit dem auch diese Zeilen zum Abschluß gelangen sollen: Boston, ein Jahr später. Es gibt keine Surrogates mehr. Straßenszene. Geschäftiges Treiben. Alle machen das, was sie auch als Surrogates gemacht haben. Kein Unterschied. Die unausgesprochene Botschaft: Die Surrogates, das sind wir selbst. Es bedarf keines robotischen Ersatzes, damit das System am Laufen bleibt. Der vergesellschaftete Mensch funktioniert, er funktioniert perfekt. Er hat sogar die Idee von Befreiung vergessen. Abspann.


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Anmerkung:

[1] Ein Tribut an die "political gender-correctness": Ersatzweise für das verwendete Mann-gewinnt-Frau-Klischee hätte hier auch das umgekehrte Szenario gewählt werden können von der überaus selbstbewußten, intelligenten und erfolgreichen Firmeninhaberin (die vermutlich eine stille Schönheit hinter ihrer Geschäftstüchtigkeit ausstrahlt - auf keinen Fall darf ihr Gesicht "entstellt" sein), die einen charmanten, gut aussehenden Dozenten (kein Bierbauch!) für englische Literatur des 17. Jahrhunderts kennenlernt, der seeeehr einfühlsam ist und - wie schön! - Kinder lieb hat ... Aber wäre das wirklich weniger machistisch als das Rambo-Klischee?

9. Mai 2010