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LAIRE/1289: UN-Sondertribunal spricht Liberias Ex-Präsident Charles Taylor schuldig - einige Fragen bleiben ... (SB)


Siegerjustiz statuiert ein Exempel

Niemand ist vor Strafverfolgung sicher, der nicht dazugehört ...



Der frühere Präsident Liberias, Charles Taylor, wurde vom UN-Sondertribunal für Sierra Leone in allen elf Anklagepunkten für schuldig befunden. Er soll die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht persönlich begangen haben, aber von Liberia aus daran beteiligt gewesen sein, daß sie von den Rebellen der AFRC (Armed Forces Revolutionary Council) und, wichtiger noch, der RUF (Revolutionary United Front) verübt wurden. [1] Als Gegenleistung unter anderem für Munition und Waffen, mit denen er diese beiden Gruppen belieferte, habe er Blutdiamanten erhalten. Taylor ist der erste ehemaliger Staatsführer nach den Nürnberger Prozessen, als sich der kurzzeitige Hitler-Nachfolger Admiral Karl Dönitz gerichtlich verantworten mußte, der von einem internationalen Tribunal verurteilt wurde. Das Strafmaß wird voraussichtlich am 30. Mai 2012 bekanntgegeben.

Während die westlichen Medienvertreter, Politiker und Funktionseliten nahezu einhellig Genugtuung über den Schuldspruch zum Ausdruck bringen [2], wird er in Afrika mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Wieder einmal werde ein afrikanischer Führer von einem internationalen Gericht verurteilt, lauten mit Blick auf die Anklageerhebungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), das wie das Sondertribunal für Sierra Leone in Den Haag angesiedelt ist, einige der Bedenken. Oder auch: Was ist mit seinen Verbrechen in Liberia? [3]

Obwohl Taylor alles andere als ein Sympathieträger ist, um es wohlwollend zu formulieren, stellen sich im Zusammenhang mit der Anklage und Verurteilung Fragen. So hat der mit Hilfe der USA und Vereinten Nationen an die Macht gebrachte vormalige Warlord sogenannte "Blut-"Diamanten für seine Unterstützung der Rebellen erhalten. Die alluvial geschürften Diamanten Sierra Leones gelten als besonders schön und wertvoll, weshalb man folgern kann, daß viele von ihnen vermutlich nicht zu industriellen Produkten, sondern zu Schmuck verarbeitet wurden. Wessen Finger, Handgelenk, Hemdsärmel, Hals, Ohr oder Revers schmücken die von Taylor in den Welthandel eingeschleusten blutigen Steine heute? Welche Königin oder welcher Geschäftsmann ziert sich mit ihnen und badet sich in ihrem funkelnden Licht?

Blutdiamant ist ein Begriff, der zunächst gegen den Diamanten-Monopolisten DeBeers aufkam, dann aber von ihm aufgegriffen und selber verbreitet wurde, um die wachsende Konkurrenz durch "illegale" Diamantenschürfer wie jene in Sierra Leone niederzuhalten. In den neunziger Jahren und auch noch im vergangenen Jahrzehnt hatte das Unternehmen erhebliche Marktanteile abgeben müssen, die es sich anschließend mit Hilfe des sogenannten Kimberley-Prozesses - einem Zertifizierungssystem für vermeintlich "saubere" Diamanten - zurückzuerobern begann.

Zweitens wird bei der Verwendung des Begriffs "Blutdiamanten" gern der entscheidende Teil der gesamten Produktionskette, die der Endkunden, unterschlagen. Wenn niemand Diamanten kaufte, wäre ein Diamantenabbau in Sierra Leone gar nicht erst entstanden. Dann hätten die Rebellen der RUF auch nicht die Diamantenfelder erobert und keine sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnisse aufgebaut. Kurzum, es wäre für die Diamanten kein Blut geflossen.

Eine weitere Frage bleibt in der allgemeinen Berichterstattung über den Taylor-Prozeß ungestellt: Da das Verbrechen des ehemaligen Warlords und Präsidenten unter anderem in der Lieferung von Waffen an die Rebellen bestand - was geschieht mit all den anderen Waffen, die in den Rüstungsschmieden der Welt - allen voran denen der USA, Rußlands und Deutschlands - hergestellt werden? Sie verstauben nicht in irgendwelchen Bunkern, sondern werden regelmäßig eingesetzt, und zwar sowohl von staatlichen Akteuren als auch von Rebellen. Welcher Rüstungsproduzent oder Waffenhändler wird von einem internationalen Gericht angeklagt? Niemand. Vielleicht einzige Ausnahme: Victor Bout. Der russische Waffenhändler wurde in diesem Monat von einem US-Gericht zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er gehörte offenbar zur unliebsamen Konkurrenz und hat die "falschen" Leute beliefert ...

Eine letzte Frage: Nigeria, das im Jahr 2003 Taylor dazu bewegt hat, die von Rebellen bedrängte Hauptstadt Monrovia nicht bis zum letzten Mann verteidigen zu lassen, weil das enorme Opfer gefordert hätte, sondern statt dessen ins nigerianische Exil zu gehen, hat ihn drei Jahre darauf verhaftet und an Liberia ausgeliefert. Ist Verrat kein Verrat, wenn er an einem inzwischen verurteilten Kriegsverbrecher verübt wird?

Und eine allerletzte Frage: Der von der RUF forcierte Bürgerkrieg in Sierra Leone hat schätzungsweise 50.000 Menschen das Leben gekostet. Viele Einwohner wurden verstümmelt, vergewaltigt oder auf andere Weise mißhandelt und gequält. Der Wunsch nach Rache oder Gerechtigkeit ist verständlich, und Taylor ist für solche Gefühle und Anliegen zweifelsfrei eine der ersten Adressen. Aber was ist zum Beispiel mit Madeleine Albright? Die ehemalige UN-Botschafterin der Vereinigten Staaten und US-Außenministerin erklärte 1996 auf die Frage einer Journalistin, ob es sich gelohnt habe, daß eine halbe Million irakische Kinder als Folge der wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land gestorben sind, das sei eine schwierige Entscheidung, aber sie glaube, daß es sich gelohnt habe. Wohlgemerkt, gerechnet wurden nur die Kinder, nicht die Erwachsenen, und noch heute sterben Menschen im Irak als Folge der westlichen Interventionspolitik. Warum wird Albright nicht angeklagt und dafür verurteilt?

Nun, all diese Fragen sind längst beantwortet, und zwar von denen, die die Geschichte schreiben und sämtliche Vorteile auf ihrer Seite haben. So gilt die Knechtung von Arbeitern in Diamantenminen als legal, solange dies im Rahmen der vorherrschenden ausbeuterischen Produktionsbedingungen geschieht. Auch Waffenlieferungen an Aufständische gelten als rechtens, wenn es nur die eigenen Aufständischen sind. Und was zählen schon eine halbe Million irakische Kinder, wenn der westliche, weiße "Übermensch" die Staatenwelt nach seinen Wünschen zu formen beliebt?


Fußnoten:

[1]‍ ‍"Liberia: Charles Taylor Convicted On All 11 Counts - Sentencing Scheduled for 30 May", Special Court for Sierra Leone (Freetown), 26. April 2012
http://allafrica.com/stories/201204261153.html

[2]‍ ‍"Das Urteil ist nicht nur für diejenigen in Afrika ein Hoffnungsschimmer, die seine Verbrechen bezeugen, sondern für jedes Mitglied der globalen Gemeinschaft."
Jesse Jackson, US-Abgeordneter

"Die Anklage Taylors vor dem Sondergericht sendet eine starke Botschaft an alle, die Gräueltaten begehen, einschließlich derjenigen in den höchsten Positionen der Macht, daß sie zur Verantwortung gezogen werden."
US-Außenministerium

"Die Tage, an denen Tyrannen und Massenmörder (...) sich in einem anderen Land in ein Luxusleben zurückziehen konnten, sind vorbei."
Navi Pillay, UN-Menschenrechtskommissarin

[3]‍ ‍Stellvertretend für weitereQuellen:
"Sierra Leone: Charles Taylor Verdict - Competing Perspectives and Perceptions", Institute for Security Studies (Tshwane/Pretoria), 25. April 2012
http://allafrica.com/stories/201204261018.html

27.‍ ‍April 2012