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DILJA/1115: CSU-Politiker stellt sogar Kinder unter Terrorverdacht (SB)


Nach Unionsvorstellungen könnten Zwölfjährige "Terrorverdächtige" sein

Vorschlag des CSU-Innenpolitikers Hans-Peter Uhl zur Ausweitung geheimdienstlicher Befugnisse stellt den Terrorbegriff als repressives Mittel bloß


Vor zwei Wochen einigte sich die große Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD auf weitere Verschärfungen sicherheitspolitischer Gesetze, ohne daß dies in der Öffentlichkeit ein nennenswertes Echo hervorgerufen hätte. Wie verlautbart wurde, soll der Bundesnachrichtendienst in Zukunft in Notfällen auch die Telefonanschlüsse von im Ausland befindlichen Deutschen abhören dürfen. Desweiteren werden die Überwachungskompetenzen des Auslandsgeheimdienstes auf "besonders schwere und strategisch bedeutsame Fälle der illegalen Schleuserkriminalität" ausgeweitet. Ein weiterer Vorstoß der Union, nämlich dem Auslandsgeheimdienst die Verknüpfung seiner Datenbanken mit denen des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Polizei zu genehmigen, scheiterte - noch - an Bedenken der SPD.

Nach Informationen des Tagesspiegel vom 9. Februar schwebt dem CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl desweiteren vor, dem Bundesnachrichtendienst die Erlaubnis zu erteilen, die Daten Jugendlicher zu speichern, damit auch "minderjährige Dschihad-Propagandisten" erfaßt werden können. Gegenüber der Berliner Zeitung erneuerte Uhl am vergangenen Freitag diesen Vorschlag. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte demnach den sogenannten "Anti-Terror-Kampf" auf Kinder und Jugendliche ausweitet sehen. Konkret schlägt er vor, für den Verfassungsschutz die Altersgrenze für die Speicherung personenbezogener Daten von derzeit 16 auf 14 oder auch 12 Jahre herabzusenken, um, wie Uhl gegenüber der Berliner Zeitung zur Begründung anführte, eine "bessere Überwachung von terrorverdächtigen Minderjährigen" zu erreichen.

Bei dieser Begründung bleibt das Postulat, nämlich die Behauptung, es gäbe minderjährige "Terrorverdächtige" im Alter zwischen 12 und 15 Jahren, unhinterfragt. Dabei offenbart schon die Verwendung des Begriffs "Verdächtiger", daß es sich hier im Kern um Mutmaßungen, Spekulationen und pauschalste Bezichtigungen handelt. Diese können von seiten der Sicherheitsbehörden mit großer Leichtigkeit gegen jeden Menschen erhoben werden; sie sind jedoch von denjenigen, die durch die Verhängung eines solchen Vorab-Urteils zum Teil schwersten Repressalien ausgesetzt sind, aufgrund der rein spekulativen Natur der Beschuldigung nur schwer zu entkräften und schon gar nicht vollständig auszuräumen. Uhl unternimmt bei seinem Bemühen, diesen weiteren Vorstoß auf dem sich seit langem abzeichnenden Weg der Bundesrepublik in einen Überwachungsstaat zu erläutern, bezeichnenderweise gar nicht erst den Versuch, Kinder und Jugendliche unter den Verdacht zu stellen, eine Terrortat - was immer dies sein möge - zu begehen ganz so, als habe er nur zu gut gewußt, wie lächerlich und unglaubwürdig er sich mit einer solchen Behauptung machen würde.

Gleichwohl erschien es ihm offensichtlich nicht als zu dumm, das bislang sattsam bekannt Feindbild "islamischer Terrorist" um eine weitere Variante, nämlich die des "minderjährigen Dschihad-Propagandisten", auszuweiten. Die Frage, ob nach den Zielsetzungen der Union deutsche Geheimdienste auf Kinderspielplätzen und Schulhöfen Präsenz zeigen, am heimischen PC den Kids auflauern, ihren Spuren im Internet nachforschen oder/und ihre sonstigen Kommunikationswege erfassen und überwachen sollen, ist keineswegs so witzig, wie sie sich im ersten Moment anhören könnte. Ein Verdächtiger, gleich welchen Alters, wird logischerweise erst durch den gegen ihn erhobenen Verdacht zu einem solchen gemacht. Und da, anders als bei rechtskräftig Verurteilten, bei einem solchen Verdacht keine nach bestimmten rechtsstaatlichen Regeln durchgeführte Beweiserhebung oder ein sonstiger Schuldnachweis vorliegen muß, ist die Anwendbarkeit verdachtsbegründeter repressiver Mittel ihrer Natur nach nahezu unbegrenzt.

Die Ausweitung der Altersbegrenzung auf Jugendliche im Alter unter 16 Jahren bedeutet keineswegs nur eine quantitative, sondern, so seltsam dies anmuten mag, auch eine qualitative Zuspitzung. Wenn schon Zwölfjährige im Fadenkreuz deutscher Geheimdienste stehen können, wie wollen dann Erwachsene sich ihrer Überwachung noch erwehren? Wenn schon Jugendliche, halbe Kinder noch, unter einen solchen Generalverdacht gestellt werden - und etwas anderes als ein Generalverdacht kann es gar nicht sein, da niemand mit der Aufschrift "Terrorverdächtiger" geboren wird -, wie will dann irgendein Mensch, so auch er unter den Pauschalverdacht gestellt wurde, diesen entkräften können?

Wer nun einwendet, dies sei weit übertrieben, weil doch ohnehin nur sehr wenige Menschen, zumeist mit "islamistischem" Hintergrund, in Betracht kommen könnten, verkennt, daß es bei der propagandagestützten Ausweitung des bereits bestehenden Überwachungs- und Repressionsapparats womöglich keineswegs um die Bekämpfung angeblich realexistierender "Terrorgefahren", sondern um die Umkehrung des bisherigen Strafverfolgungssystems in ein generalpräventives handeln könnte. Bei einem solchen System vorauseilender Polizeiarbeit würde jegliche Abweichung vom genormten Idealverhalten zum Anlaß, Vorwand und gleichermaßen Gegenstand ordnungspolitischer Regulation genommen werden können.

Der Anpassungsdruck, unter dem insbesondere Schüler und Jugendliche ohnehin stehen, erfährt durch das Rechtskonstrukt eines "minderjährigen Terrorverdächtigen" einen Qualifizierungssprung, da nun nahezu jedes Anzeichen jugendlichen Aufbegehrens oder auch nur ernsthaften Infragestellens vorgegebener und verordneter Werte und Anforderungen von den gesellschaftlichen Instanzen - von Elternhaus und Schule bis hin zu Jugendamt und Polizei - registriert und gemaßregelt werden könnte mit unabsehbaren Folgen für die allgemeinen Lebensverhältnisse einer nach eigenem Anspruch demokratischen Republik.

23. Februar 2009