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DILJA/1116: Der Fall Berlusconi und das beredte Stillschweigen der EU-Staaten (SB)


Wo bleibt der antifaschistische Aufschrei Europas?

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi verhöhnt ungestraft die politischen Mordopfer der argentinischen Diktatur


Der argentinische Diktator ist seine Gegner losgeworden, indem er sie in einem Flugzeug mit einem Fußball in die Luft brachte und dann die Tür öffnete und sagte: "Es ist ein schöner Tag, geh' raus spielen".

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi soll, wie die junge Welt am 20. Februar unter Berufung auf afp berichtete, bei einer Veranstaltung auf Sardinien diesen Satz gesagt und mit den Worten, dies sei "lustig, aber dramatisch" kommentiert haben. Eine solche Äußerung ist keineswegs eine sprachliche Entgleisung oder eine politisch unbedachte Äußerung, sondern offenbart die Grundeinstellung des Präsidenten eines EU- und NATO-Mitgliedslandes und ist als solche vor allem deshalb interessant, weil das Stillschweigen der übrigen EU- und NATO-Staaten und ihrer Repräsentanten seinerseits Bände spricht. Berlusconi hat sich als führender Repräsentant der italienischen Rechten ohnehin längst einen diesbezüglichen Namen gemacht und durch seine offene Bewunderung für den Duce, den früheren Diktator Italiens, dafür gesorgt, daß im In- wie Ausland sein Wahlsieg mit der Gefahr eines neuen Faschismus assoziiert wird.

Tatsächlich dürfte Italien in der Militarisierung der eigenen Gesellschaft im europäischen Vergleich federführend sein. Was in der Bundesrepublik Deutschland derzeit politisch (noch) nicht durchsetzbar ist, beispielsweise der ständige Einsatz der bewaffneten Streitkräfte im Innern des Landes, ist in Italien bereits Realität. Die Regierung Berlusconi verhängte im Sommer vergangenen Jahres einen landesweiten Notstand mit der Begründung, ansonsten der Flut illegaler Einwanderer nicht mehr Herr werden zu können. Wenige Tage nach der Erklärung des Staatsnotstandes veranlaßten die Ministerien für Inneres und Verteidigung die Stationierung von 3.000 Soldaten des italienischen Heeres in den Großstädten des Landes; auch dies wurde mit dem anhaltenden Flüchtlingsstrom zu begründen versucht. Der Europarat kritisierte umgehend die äußerst rigide Flüchtlingspolitik Italiens. Die EU hingegen blieb stumm, was niemanden verwundern kann, da die letzten Endes gewaltsame Abschottung der EU-Staaten vor den Hungerflüchtlingen der Armutsregionen ganz oben auf der Agenda Brüssels steht.

Doch auch zur Bekämpfung der "Straßenkriminalität" wurden in diesem zunächst auf sechs Monate befristeten Militäreinsatz Soldaten anstelle von Polizisten eingesetzt. Sie patrouillieren, schwer bewaffnet mit Pistolen und Maschinenpistolen, in den Straßen und U-Bahnen Roms, Neapels, Mailands und anderer Städte und erzeugen (Straßen-) Bilder, die zumindest die älteren Bürger Italiens an die dunkle Zeit des italienischen Faschismus erinnern müssen. Vor wenigen Tagen ging die Regierung Berlusconi noch einen Schritt weiter und legalisierte die Einrichtung sogenannter "Bürgerwehren", die zwar nicht selbst bewaffnet, so doch als zivile Hilfskräfte für Polizei und Justiz tätig werden sollen. Was im Norden Italiens bereits üblich ist, wurde damit landesweit auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und hat in Italien bereits zu Protesten geführt. So erklärten Sprecher der größten Gewerkschaft des Landes (CGIL), daß der Staat mit Bürgerwehren geschwächt werde und daß es bereits viele Freiwilligenverbände gäbe, die sich für die Sicherheit im Lande einsetzten - beispielsweise Zentren für Gewaltopfer.

Die naheliegende Vermutung, daß mit diesen Bürgerwehren Grundlagen für paramilitärische Verbände gelegt werden könnten, scheint auch der Globalisierungskritiker Francesco Caruso zu teilen: "Wenn die Regierung rassistische Bürgerwehren erlaubt, sehe ich nicht ein, warum man nicht antifaschistische Bürgerwehren einführen kann, die auf die zunehmenden Angriffe neofaschistischer Gruppen in den italienischen Städten reagieren können". Mahnende Worte aus anderen europäischen Hauptstädten blieben, wen wundert's, auch in diesem Punkt aus. Die keineswegs nur makabren und geschmacklosen Worte Berlusconis über die Mordopfer der argentinischen Junta führten unterdessen einzig und allein im Verhältnis zu Argentinien zu Verstimmungen. Die argentinische Regierung bestellte umgehend den italienischen Botschafter ins Außenministerium ein.

In Argentinien sind in der Zeit der Diktatur zwischen 1976 und 1983 etwa 30.000 Menschen entführt, gefoltert und getötet worden, um die politische Opposition des Landes auszuschalten. Menschen aus dem Flugzeug in den Tod zu stoßen, war in diesem Zusammenhang eine gängige Praxis. Schon damals gab es eine unheilige Allianz zwischen dem argentinischen Folterstaat und westlichen Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland, deren Auswärtiges Amt sich seltsam taub stellte, wenn es um die Rettung Deutscher und Deutschstämmiger wie beispielsweise Elisabeth Käsemanns, der Tochter des evangelischen Theologen Ernst Käsemann, vor den Mördern der Junta ging. Eine solche stillschweigende Interessengemeinschaft ist noch heute zu vermuten - wie anders wäre das beredte Stillschweigen nicht nur der deutschen, sondern auch aller übrigen europäischen Regierungen gegenüber der unsäglichen Äußerung Berlusconis zu erklären? An einem Mangel an Gelegenheit kann dies nicht gelegen haben, trafen doch erst am vergangenen Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy sowie der britische Premier Gordon Brown in Berlin mit Berlusconi zusammen, um die Konferenz der G-20-Staaten am 2. April in London vorzubereiten.

25. Februar 2009