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DILJA/1121: USA - Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung nicht ausgeschlossen (SB)


Ermächtigungsgesetze aus der Ära Bush sorgen in den USA für Aufregung

Hoffnungsträger Obama müßte um seiner Glaubwürdigkeit willen das Vorgehen seines Amtsvorgängers für illegal erklären


Wie die junge Welt [1] unlängst unter Berufung auf Dokumente, die infolge einer von der "Amerikanischen Union zur Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten" (ALCU) angestrengten Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz Anfang vergangener Woche freigegeben wurden, berichtete, waren in den USA in der Ära Bush die juristischen und faktischen Weichenstellungen für einen offen faschistischen Staat, in dem das Militär gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden kann und im dem massenhafte Internierungen unliebsamer US-Bürger möglich sind, vollständig vollzogen worden. Damit haben diesbezügliche Gerüchte, denen von den offiziellen Medien wie auch dem Kongreß wohlweislich bislang nicht nachgespürt worden war, einen schwerlich zu bestreitenden Realitätswert erfahren, liegen doch nun offizielle Dokumente vor, die dies eindeutig belegen.

Kernstück dieser administrativen Vorarbeit für den Übergang in eine offene Diktatur, in der nicht nur die bürgerlichen Freiheitsrechte, wie infolge der Patriot-Act-Pakete geschehen, zur Disposition gestellt, sondern die Kriegführung im Innern ermöglicht wird, stellt ein 37seitiges Ermächtigungsgesetz vom 23. Oktober 2001 dar, das die "Befugnis zum Einsatz von Militär zur Bekämpfung von Terrorismus innerhalb der Vereinigten Staaten" regeln soll. Die Geheimgesetze sollen, von Bush unterschrieben, fertig und jederzeit einsetzbar in der Schublade gelegen haben, was in den USA nun, nach ihrer Veröffentlichung, zu einer gewissen Unruhe geführt hat infolge der Auffassung, womöglich nur knapp dem Übergang in ein faschistisches Regime entgangen zu sein.

Die Geheimgesetze hätten, wären sie in Kraft getreten, dem damaligen US-Präsidenten eine von Verfassung und Parlament vollkommen losgelöste Herrschaft ermöglicht. Das Weiße Haus hatte sich die Rechtsauffassung des US-Justizministeriums, daß im Falle einer akuten Bedrohung die Verfassung der Vereinigten Staaten außer Kraft gesetzt werden können müsse, zu eigen gemacht. Zur Inkraftsetzung dieser Geheimgesetze hätte es der Zustimmung des Kongresses nicht bedurft. Ebensowenig hätte die Öffentlichkeit über diesen Schritt informiert werden müssen oder auch nur können, weil, so die Begründung, dessen Bekanntgabe die Sicherheit der USA gefährdet hätte. US-Präsident Bush hätte sich eigenhändig zum Alleinherrscher ernennen können mit der Folge, daß die US-Armee im Innern des Landes gegen die eigene Bevölkerung hätte eingesetzt werden können, wozu eigens der vierte und fünfte Verfassungszusatz, die staatliche Übergriffe auf Leib, Leben und Privatsphäre der US-Bürger ohne richterliche Genehmigung untersagen, aufgehoben worden wäre.

Mit einem solchen Schritt, der nicht mehr erfordert hätte als das Herausziehen der Dokumente aus besagter Schublade, wäre die Demokratie endgültig zu Grabe getragen worden. Das Recht bzw. die Verpflichtung des Kongresses, den jeweils amtierenden Präsidenten zu kontrollieren und gegebenenfalls seines Amtes zu entheben, wäre damit endgültig gegenstandslos geworden. Die Bestrebungen, um in einer Stunde X den letzten Schritt zu einer jeglicher demokratischen Kontrolle entzogenen Geheimexekutive vollziehen und dem Präsidenten die Kriegführung im Innern zu ermöglichen, waren jedoch nicht nur administrativ-abstrakter Natur, sondern haben in den zurückliegenden Jahren zu umfangreichen Vorbereitungen für Masseninternierungen geführt. So sollen für einen solchen Bürgerkrieg speziell ausgebildete militärische Eliteeinheiten gebildet und dem Pentagon unterstellt worden sein. Desweiteren sollen überall in den USA Massengefängnisse aus alten Militärbasen errichtet worden sein, um in der Stunde X auf die Internierung von sehr großen Mengen politisch unzuverlässiger Menschen vorbereitet zu sein.

So groß wie das Erschrecken zumindest in dem potentiell kritischen Teil der US-Bevölkerung angesichts der Veröffentlichung dieser Dokumente auch sein mag, so wenig plausibel ist die Annahme, dies würde ausschließlich die nun abgewählte Bush-Administration betreffen. Es mag zutreffen, daß die entsprechenden Papiere, zumal sie die Unterschrift vom Obamas Amtsvorgänger tragen, nun keine Rechtsgültigkeit mehr aufweisen. Doch wie kann ausgeschlossen werden, daß die neue Administration, die sich entgegen ihrer im Wahlkampf bekundeten "Wechsel"-Absichten in vielen hochsensiblen Bereichen bereits als eine politische Kraft erwiesen hat, die - lediglich mit einer besseren Außendarstellung versehen - die Politik ihrer Vorgänger fortzusetzen im Begriff steht, nicht ihrerseits derartige Vorkehrungen für die Stunde X getroffen hat?

Präsident Obama hätte auf die Veröffentlichung der Geheimpapiere der Ära Bush unmittelbar reagieren, diese für unrechtmäßig und verfassungswidrig erklären und öffentlich die Frage aufwerfen können, wie der kaum auszulotende Vertrauensverlust in das gesamte US-Regierungssystem nach diesem schier irreparablen Schaden wiederaufgebaut werden könne. Wie sollen US-Bürger nun noch darauf vertrauen können, daß ein solcher Staatsstreich von oben, also die vollständige Außerkraftsetzung sowohl der Verfassung als auch des Parlamentes, unter keinen wie auch immer gearteten Umständen oder Voraussetzungen jemals wieder auch nur in die Nähe seiner Realisierung gebracht werden könnte? Wenn, wie sich jetzt nach der Freigabe der geheimgehaltenen Dokumente herausgestellt hat, zum elementaren Kernbereich einer solchen Diktatur im Wartestand die vollständige Geheimhaltung auch dieser vorbereitenden Schritte gehört, wie kann dann in Gegenwart und Zukunft die Möglichkeit, daß sich die US-Administration nach eigenem Ermessen in ein diktatorisches Geheimregime verwandeln könnte, noch ausgeschlossen werden?

Präsident Obama wäre gut beraten, zu dieser hochbrisanten Frage dezidiert Stellung zu beziehen und seinen eigenen Standpunkt offenzulegen, will er nicht Gefahr laufen, als Etikettenschwindler entlarvt zu werden. Dabei wird er die Beantwortung der Frage, ob er das nun dokumentierte Vorgehen der Bush-Administration, das mindestens bis auf das Jahr 2001 zurückgeht, für rechtmäßig und verfassungskonform hält oder nicht, schwerlich umgehen können. Aller Voraussicht nach wird der neue Präsident dies tunlichst vermeiden, zumal es schon vor den jüngsten Veröffentlichungen ausreichend Anhaltspunkte gegeben hätte, um in der äußerst prekären Frage, ob die USA auf eine Präsidialdiktatur zusteuern, initiativ zu werden.

Schließlich gibt es schon seit dem 17. Oktober 2006 ein Gesetz, das es dem Präsidenten erlaubt, das US-Militär auch innerhalb der USA einzusetzen. "Um öffentliche Unruhen zu unterdrücken" könnte der Präsident somit nach seinem Ermessen den Staatsnotstand aufrufen mit der Folge, die Streitkräfte und die Nationalgarde gegen die eigene Bevölkerung aufmarschieren lassen zu können. Ein weiteres Gesetz vom selben Tag ermöglicht es dem Präsidenten, nicht nur Ausländer, sondern auch US-Bürger zu "unrechtmäßigen feindlichen Kämpfern" zu erklären mit der Folge, daß sie die ihnen aus Gesetz und US-Verfassung zustehenden Rechte verlieren und auf unbegrenzte Zeit interniert werden können.

Schon zu dieser Zeit hielten sich hartnäckig Gerüchte über die Errichtung größerer Internierungslager für politische Gegner. Doch weder die Alarmsignale früherer noch die heutiger Tage werden Barack Obama veranlassen können, eine streitbare Lanze für die Einhaltung der US-amerikanischen Freiheitsrechte zu brechen - schließlich wäre er mit derartigen, in Hinsicht auf die vorgeblichen Sachzwänge US-amerikanischer Weltmachtsbestrebungen kontraproduktiven Ambitionen niemals Präsident oder auch nur Präsidentschaftskandidat geworden.

[1] "Notstand aus der Schublade. Erst jetzt gelangen Staatsstreichpläne aus der Ära Bush in die US-Öffentlichkeit, von Rainer Rupp, junge Welt, 06.03.2009, S. 6

9. März 2009