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DILJA/1140: Gipfelgedanken - Für ihre Demaskierung sorgte die NATO schon 1999 (SB)


Ein Kriegsbündnis feiert sich selbst - NATO-Gipfel am 3./4. April 2009

Für ihre Demaskierung hat die vermeintliche Verteidigungsallianz 1999 mit ihrem Angriffskrieg gegen Jugoslawien selbst gesorgt


Am 2./3. Dezember 2008 tagten die Außenminister der NATO-Staaten in Brüssel. Neben ihren tagespolitischen Geschäften, so etwa der Fortsetzung der gegen Rußland, im zweiten Schritt jedoch auch China gerichteten Expansions- bzw. Einkreisungspolitik und dem daraus abgeleiteten Interesse, auch die Ukraine sowie Georgien baldmöglichst in das westliche Militärbündnis einzubinden, warf der nun beginnende NATO-Gipfel in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden seine Schatten voraus. Dabei hatten die NATO-Oberen schon ihrem 2008 in Bukarest abgehaltenen "größten NATO-Gipfel" der Geschichte historische Dimension verleihen wollen. Die Bedeutung des diesjährigen, ganz in das Zeichen des 60jährigen Bestehens des vorgeblichen Verteidigungsbündnisses gestellten Gipfels wird nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs, die sich zur Demonstration der von ihnen repräsentierten geballten westlichen Militärgewalt einfinden werden, den Vorjahresgipfel selbstverständlich noch überbieten.

Mit der zur klassischen Rechtfertigung und Letztbegründung für die Bereitstellung wie auch den Einsatz militärischer Gewalt aufgestellten Kernbehauptung, sämtliche Anstrengungen dienten einzig und allein Verteidigungszwecken, hat die heutige NATO weniger denn je zu tun. Zu den am 3. und 4. April abgehaltenen Gesprächen und Konsultationen wurde der russische Präsident Dmitri Medwedew mit voller Absicht nicht eingeladen, obwohl dieser unlängst Vorschläge für eine neue Sicherheitsstruktur in Europa vorgelegt hatte. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hatte zur Begründung beim Außenministertreffen in Brüssel angeführt, der Gipfel in Strasbourg/Kehl sei diesmal eine "Familienangelegenheit".

In diesem Schachzug liegt keineswegs nur ein diplomatischer Tritt vors russische Schienbein. Die transatlantische "Familie", die sich in östlicher und südöstlicher Richtung in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten bereits so weit und systematisch ausgedehnt hat, daß der Nordatlantik als Namensgeber zu Irritationen führen könnte, könnte ebensogut als Militär- und Kriegsallianz zur Durchsetzung westlich imperialistischer Hegemonialinteressen bezeichnet werden. Doch da Täuschen und Trügen untrennbar mit dem Kriegsgeschäft verbunden sind, wäre es eine grobe politische Dummheit gewesen, hätten die zwölf westlichen Gründungsstaaten - die Weltkriegssieger- und Atommächte Frankreich, Britannien und USA sowie Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Dänemark, Island, Norwegen, Italien, Portugal und Kanada - nicht der im damaligen Nachkriegseuropa vorherrschenden antimilitaristischen Stimmung entsprochen und sich am 4. April 1949 als reines "Verteidigungsbündnis" konstituiert.

Der tatsächlich mit der NATO-Gründung verfolgte Zweck läßt sich unschwer durch die Frage herleiten, warum die westlichen Staaten und insbesondere die ehemaligen westlichen Alliierten zu glauben behaupteten, sich durch einen militärischen Zusammenschluß gegen welchen potentiellen Feind auch immer schützen zu müssen, obwohl wenige Jahre zuvor mit den Vereinten Nationen und dem Weltsicherheitsrat internationale Gremien geschaffen worden waren, die keinem anderen Zweck als dem der Friedenssicherung und Konfliktlösung dienen sollten. Immerhin gehörte auch die Sowjetunion zu den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges. Ihrer Armee hätte angesichts ihres großen Anteils an der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus und damit der Beendigung des Krieges der besondere Dank auch der westlichen Welt zugesprochen werden können - doch weit gefehlt.

Die Anti-Hitler-Allianz erwies sich - wie sonst hätte es so bald nach Kriegsende zum sogenannten "Kalten Krieg" kommen können? - als eine Mogelpackung globalhistorischen Ausmaßes, und so stellt die 1949 unter Ausschluß der Sowjetunion vollzogene Gründung eines aus ausschließlich kapitalistischen Staaten bestehenden Militärbündnisses eine Zäsur da. Die vorherige Taktik gegenüber der Sowjetunion, in der seit der Oktoberrevolution von 1917 aus westlicher Sicht der ärgste Klassenfeind regierte, diese in ihrem Kern unaufhebbare Klassenfeindschaft durch ein vorgeblich gegen den verrückten deutschen Diktator geschmiedetes Zweckbündnis zu kaschieren, wurde nun fallengelassen. Es war nicht gelungen, die Sowjetunion durch einen militärischen Aggressor, sprich Hitler-Deutschland, den die westlichen Alliierten zu diesem Zweck in seiner Ostexpansion hatten gewähren lassen, militärisch vernichtend zu schlagen oder vollständig ausbluten zu lassen.

Ein Plan B mußte her. Dieser bestand in einer kombiniert wirtschaftlichen und militärischen Drohkulisse, bei der ein tatsächlicher Schlagabtausch wegen des vorhersehbaren Risikos der Vernichtung auch der westlichen Staaten verhindert werden sollte, wofür die Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat die Gewähr zu bieten hatten. Unterhalb dieser Schwelle allerdings wurden nicht nur (Stellvertreter-) Kriege geführt, sondern ein Wett- bzw. Totrüsten entfacht, das ursächlich für den in den Jahren 1989 und 1990 scheinbar wie aus dem Nichts heraus entstandenen Zusammenbruch des Sowjetsystems gewesen sein dürfte. Wäre die 1949 gegründete NATO ein Militärbündnis gewesen, das sich gegen einen äußeren Feind, bei dem es sich eigentlich nur um einen sozialistischen Systemgegner hätte handeln können, hätte verteidigen wollen, hätte sie sich nach der Selbstauflösung der Sowjetunion ihrerseits selbst auflösen können.

Tatsächlich stichhaltig war dieser Begründungszusammenhang ohnehin nicht. Schließlich hatte es die Sowjetunion vor der Gründung der NATO bereits seit 32 Jahren gegeben, ohne daß je ein westlicher Staat von ihr angegriffen oder auch nur bedroht worden wäre. Die Aggression ging von seiten des Westens aus, zumal der spätere Widerpart der NATO, der von der Sowjetunion dominierte Warschauer Pakt, erst 1955, also volle sechs Jahre später, gegründet wurde. Die NATO hingegen dachte nach 1990 gar nicht daran, sich selbst aufzulösen - im Gegenteil, sie trieb ihre Anstrengungen, Rußland als den Nachfolgestaat der verfeindeten Supermacht Sowjetunion in politischer, wirtschaftlicher und auch militärischer Hinsicht in die Zange zu nehmen, mit großer Eile voran. Aus den ursprünglich zwölf waren längst 16 NATO-Staaten geworden, nachdem in den 1950er Jahren die Türkei und Griechenland (1952) sowie die Bundesrepublik Deutschland (1955) und schließlich 1982 auch Spanien aufgenommen worden waren.

1999 wurden die ersten ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn zu NATO-Staaten. Ihre Aufnahme solle eigentlich beim damaligen 50. Jahrestag der NATO-Gründung auf einem Gipfeltreffen gebührend gefeiert werden. Zu diesem Zeitpunkt allerdings befand sich die NATO mitten im Krieg, hatte sie doch am 24. März 1999 damit begonnen, die Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren. Kein einziger NATO-Staat - Grundlage der Allianz ist die gegenseitige Beistandsverpflichtung, die jedes Mitglied zur militärischen Unterstützung in dem Fall zwingt, daß ein Angriff auf einen NATO-Staat vorliegt - hatte vor, während oder nach diesem Krieg je behauptet, von Jugoslawien oder auch nur einer jugoslawischen Teilrepublik, etwa Serbien, angegriffen oder auch nur bedroht worden zu sein.

Dieser NATO-Krieg erfüllte alle Kriterien eines Angriffskrieges. Er war, wie namhafte Juristen wie beispielsweise der frühere US-amerikanische Justizminister Ramsey Clark oder der ehemalige Bundeswehradmiral Elmar Schmähling auf einem schon im Oktober 1999 abgehaltenen Hearing deutlich machten, weder durch die UN-Charta noch irgendeine andere völkerrechtliche Norm gerechtfertigt. Dieser Krieg stellte das erste Negativresultat des Niedergangs der Sowjetunion in Gestalt eines direkt auf europäischem Boden geführten Krieges dar, denn ganz offensichtlich hatte die NATO nun nichts und niemanden mehr zu fürchten, der in der Lage und willens gewesen wäre, einen solch fundamentalen Völkerrechtsbruch zu unterbinden oder zu ahnden. Da die NATO-Strategen geglaubt hatten, Jugoslawien durch einen dreitägigen Blitzkrieg besiegen bzw. zur Aufgabe zwingen zu können, dies jedoch nicht der Fall war, fiel die ganz große Siegesfeier inmitten des Bombenhagels allerdings aus. Wie Dr. Miodrag Zecevic, Vorsitzender einer antifaschistischen Veteranenorganisation in Belgrad, im Oktober 1999 auf dem Hearing ausführte, fielen in Jugoslawien dem Bombenkrieg der NATO 2000 Zivilisten zum Opfer, von denen 30 Prozent Kinder waren. Zehntausend weitere Menschen wurden verletzt, etwa 300.000 Kinder schwer traumatisiert.

Die Ausrede für diesen Krieg, nämlich Menschenrechtsverletzungen in der serbischen Provinz Kosovo verhindern zu wollen, so als ob Luftangriffe überhaupt in der Lage wären, etwaige am Boden verübte Gewalttaten zu unterbinden, hielt einer näheren Überprüfung nicht stand. Im November 1999 hatte der spanische Pathologe und Leiter eines im Kosovo eingesetzten gerichtsmedizinischen Teams, Emilio Perez Pujol, nach seiner Rückkehr aus dem Kosovo der spanischen Zeitung "El Pais" ein aufschlußreiches Interview gegeben. Seiner Einschätzung nach sind im Kosovo im gesamten Krieg rund 2.500 Zivilisten ums Leben gekommen, wobei viele der Todesfälle Resultat des Krieges gewesen seien. Er hätte mit seinem Team nicht ein einziges Massengrab gefunden, so der spanische Gerichtsmediziner, der seinen Auftrag, nämlich die Suche nach Massengräbern, als "eine semantische Pirouette der Propagandamaschinen des Krieges" verstanden wissen wollte.

Doch es gab und gibt keine wirksame juristische Plattform, auf der die mannigfaltigen juristischen Vorwürfe gegen die kriegführende NATO in einer für das vorgebliche Verteidigungsbündnis einschneidenden Weise hätten untersucht werden können. Die NATO-Staaten hatten sich die juristische Achse ihrer Kriegführung selbst geschaffen und dabei die Demontage der Vereinten Nationen um einen weiteren massiven Schritt vorangetrieben. Unter dem Dach bzw. Deckmantel der UN wurde der Internationale Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien eigens zu dem Zweck aus der Taufe gehoben, die Kriegspropaganda der NATO durch eine auch formaljuristische Schuldzuweisung an die serbischen bzw. jugoslawischen Kriegsgegner zu stützen. Noch während deutsche Kampfflugzeuge sein Land bombardierten, wurde vor diesem Gremium im Mai 1999 Anklage gegen den später gestürzten, nach Den Haag entführten und dort unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic erhoben.

Jamie Shea, damaliger Sprecher der NATO, hatte am 17. Mai 1999 das von der NATO eingerichtete und finanzierte Den Haager Tribunal in den höchsten Tönen gelobt: "Wie Sie wissen, gäbe es ohne die NATO-Länder keinen Internationalen Gerichtshof, und es gäbe auch keinen Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien." Mit den Worten "wir sind diejenigen, die das internationale Recht aufrechterhalten, und nicht diejenigen, die es verletzen", stellte Shea auch klar, daß das Jugoslawien-Tribunal selbstverständlich nicht gegen die NATO selbst ermitteln oder vorgehen wird. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und so gibt es, zumal die NATO mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, im Herbst vergangenen Jahres ein geheimgehaltenes Kooperationsabkommen geschlossen hat, kein juristisch relevantes Gremium, in dem die Verbrechen der NATO zur Sprache gebracht oder gar als solche bewertet werden könnten.

Die Frage, ob es sich bei dem westlichen Verteidigungsbündnis nicht um eine verkappte Kriegsallianz zur Durchsetzung westlicher Weltmachtsansprüche handeln könnte, anläßlich des diesjährigen Gipfeltreffens zu stellen, hieße vor diesem Hintergrund, die jüngste Geschichte der NATO zu ignorieren - schließlich hat diese schon vor zehn Jahren mit ihrem Bombenkrieg gegen Jugoslawien für ihre endgültige Demaskierung selbst gesorgt.

2. April 2009