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DILJA/1141: Gipfelgedanken - Wer fragt nach der "nuklearen Teilhabe" Deutschlands? (SB)


Ein Kriegsbündnis feiert sich selbst - NATO-Gipfel am 3./4. April 2009

Nicht ohne Grund ein Tabuthema - die Beteiligung Deutschlands an atomwaffengestützter westlicher Weltmachtspolitik


Der Atomwaffensperrvertrag (Nonproliferationsvertrag/NPT) verpflichtet die fünf Atomstaaten USA, Britannien, Frankreich, China und Rußland, die zugleich Vetomächte im Weltsicherheitsrat sind, in Artikel 1 dazu, Atomwaffen oder die Verfügungsgewalt über Atomwaffen "an niemanden unmittel- noch mittelbar weiterzugeben". In Artikel 2 wiederum wird allen übrigen sogenannten Nichtkernwaffenstaaten, die den Vertrag unterzeichnet haben, bindend auferlegt, Kernwaffen, sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt über solche Waffensysteme von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen. Nachdem die USA als bislang einziger Staat der Welt Kernwaffen im Krieg eingesetzt haben, was ihre in der westlichen Welt führende Position in der sogenannten Nachkriegsordnung mitbegründet haben dürfte, sind die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki allgegenwärtig und stellen, zumal die nukleartechnologische Weiterentwicklung in der Nachkriegszeit noch weitaus höhere Overkill-Kapazitäten hervorgebracht hat, ein extremes militärisches Bedrohungspotential und damit politisches Druck- und Erpressungsmittel dar.

Die einzig konsequente Antwort auf die Saat zu Unterwerfung, Willkür und womöglich einem weiteren militärischen Inferno hätte in der bedingungs- wie ausnahmslosen Abrüstung und Verschrottung sämtlicher nuklearer Waffensysteme bestanden, was selbstverständlich eine politisch hochnaive Forderung darstellt, weil sie außer acht läßt, daß die nach Weltherrschaft strebenden, technologisch wie auch wirtschaftlich am weitesten entwickelten westlichen Staaten diese in ihren Auswirkungen bis dahin beispiellose Vernichtungstechnik entwickelt haben, um sich eine uneinholbare und unangreifbare Weltmachtsposition zu verschaffen. Die Sowjetunion und die ihr angegliederten sozialistischen Staaten hätten wohl kaum politisch so lange überleben können, wäre es ihnen nicht gelungen, in kurzer Zeit nachzuziehen und ihrerseits Atomwaffen zu produzieren, mit denen sie dem Westen im Angriffsfall einen ebenso verheerenden Zweitschlag zufügen könnten.

Der Atomwaffensperrvertrag ist eine Bestätigung und Festschreibung des Status quo, der selbstverständlich die fünf Nuklearmächte der Nachkriegszeit gegenüber allen anderen begünstigt, weil er ihnen den Besitz von Atomwaffen zubilligt, von allen anderen jedoch verlangt, auf die Entwicklung eigener Systeme im Vertrauen darauf, daß die fünf offiziellen Atommächte ihre Atomwaffen schon nicht einsetzen werden, dauerhaft zu verzichten. Der Vertrag sichert den Nichtkernwaffenstaaten die Nutzung der zivilen Atomenergie zudem nur unter strengen Kontrollen zu. Auch dies begünstigt die Position der Kernwaffenstaaten, weil diese sich mittels der Wiener Atomaufsichtsbehörde (IAEO) davon vergewissern können, daß keiner der Nichtkernwaffenstaaten heimlich "die Bombe" entwickelt und damit ihre militärische Oligopolstellung eines Tages in Frage stellen könnte.

Der Treppenwitz der Geschichte besteht nun darin, daß alle Welt weiß, was kein Verantwortungsträger westlicher Staaten oder internationaler Gremien je zugeben würde: Der Vertrag wurde längst durch einen Staat aufs Gröbste verletzt, der über 200 Atomsprengköpfe verfügen soll, was für seine Nachbarstaaten eine extreme Bedrohung darstellt. Die Rede ist selbstverständlich von Israel, doch auch zwei weitere pro-westliche Staaten, die offiziell im Status eines Nichtkernwaffenstaates stehen, nämlich Indien und Pakistan, sind inzwischen Atommächte geworden. Der Atomwaffensperrvertrag sowie sein Aufsichtsgremium, die Wiener Kontrollbehörde, sind damit eigentlich seit langem diskreditiert und als politische Instrumente in der Hand der führenden westlichen Staaten entlarvt.

Dies zeigte sich insbesondere an der seit Jahren aufgebauten Drohkulisse gegenüber dem Iran, der nichts anderes tut als das ihm als Vertragsstaat zustehende Recht auf Nutzung der zivilen Atomenergie in Anspruch zu nehmen - und dazu auch die Kontrollen durch die IAEO zugelassen hat. Die NATO-Staaten und Israel, die im Iran einen Regimewechsel herbeiführen wollen und zu diesem Zweck - wie schon die westlichen Staaten im Irak - auch Krieg zu führen bereit sind, benutzen seit Jahren die Instrumente des Atomwaffensperrvertrags, um den Iran, dem die ihm unterstellte Absicht, Kernwaffen entwickeln zu wollen, niemals nachgewiesen werden konnte, durch die an diese Vorwürfe geknüpfte Kriegsandrohung zu einer politischen Kapitulation zu zwingen.

Doch nicht nur im Nahen und Mittleren Osten erweist sich der Atomwaffensperrvertrag als politisches Druckmittel erster Klasse. Dies gilt für die NATO ganz generell und für die NATO-Staaten, die keine offiziellen Atommächte sind, aber in die "nukleare Teilhabe" im Rahmen der NATO eingebunden sind, noch viel mehr. Vor über zehn Jahren, 1998 und 1999, hatten über einhundert Vertragsstaaten des Atomwaffensperrvertrags die NATO aufgefordert, die "nukleare Teilhabe" aufzugeben, weil sie darin eine eklatante Verletzung der Artikel 1 und 2 des NPT sahen. Die Argumentation ist nur zu begründet und stichhaltig, beinhaltet die "nukleare Teilhabe", wie der Begriff schon sagt, die mittelbare oder auch unmittelbare Beteiligung nicht-nuklearbewaffneter NATO-Staaten, zu denen neben Deutschland auch die Niederlande, Belgien und Italien gehören, an der Stationierung wie auch dem möglichen Einsatz der auf ihren Territorien eingelagerten Waffen.

Für die NATO gilt ganz generell, daß sie ihren Anspruch, ein "Verteidigungs"-Bündnis zu sein, durch die nukleare Erstschlagskapazität selbst konterkariert hat, an der sie auch nach dem Niedergang des Sowjetsystems eisern festhielt. Für ein tatsächlich defensives Bündnis hätte die Zweitschlagskapazität ohnehin ausgereicht. Die NATO hingegen dehnte bereits 1999 die mögliche Anwendung ihrer atomaren Waffen sogar noch weiter aus. Während des sogenannten Kalten Krieges sah die NATO-Doktrin den atomaren Erstschlag für den Fall eines militärischen Konfliktes mit den Warschauer-Pakt-Staaten vor. In der strategischen Neukonzeption von 1999 wurde der nukleare Erstschlag jedoch auch auf Konflikte mit Nicht-Atomwaffenstaaten ausgedehnt, also auch all die Staaten, die sich von der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages einen wirksamen Schutz vor einer solchen Androhung und erst recht natürlich der Anwendung erhofft hatten.

Beim diesjährigen NATO-Gipfel, der derzeit in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden zelebriert wird, könnte nun eine strategische Neuausrichtung diskutiert und womöglich sogar beschlossen werden, die schon vor einem Jahr im Vorfeld des damaligen Gipfels in Bukarest von einer hochkarätigen Militärexpertenkommission im Auftrag der NATO erstellt worden war. Die unter den Titel "Towards a Grand Strategy for an Uncertain World" herausgegebene Studie war von fünf ehemaligen Stabschefs der NATO erarbeitet worden, unter ihnen auch der deutsche General a.D. Klaus Naumann. Dieses Papier enthielt den hochbrisanten Vorschlag, als Kriegsgrund im Rahmen der NATO nicht nur die Sicherung der vom Westen beanspruchten Energieressourcen festzuschreiben, sondern sogar jede Bedrohung der geopolitischen Dominanz des Westens und seiner Kultur. Die Einsatzschwelle atomarer Waffen soll nach diesem von fünf Spitzenmilitärs der NATO erstellten und in Kreisen der EU seit Januar 2008 kursierenden Papier noch weiter herabgesenkt werden, sprich ein Angriff gegen Nichtkernwaffenstaaten sogar dann möglich werden, wenn noch nicht einmal ein militärischer Konflikt überhaupt vorliegt - also der vollkommen "präventive" Atomschlag.

Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, daß die führenden europäischen NATO-Staaten im Rahmen des Bündnisses mit den USA, die sich das Recht zum atomaren Erstschlag ohnehin selbst erteilt haben, gleichziehen wollen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hinsicht auf den jetzigen Gipfel erklärt, es sei Zeit für eine neue strategische Konzeption der NATO, steht zu befürchten, daß die letzten militärischen und administrativen Voraussetzungen für die Durchsetzung einer letzten Endes durch die Androhung atomarer Verwüstungen durchgesetzten Weltordnung geschaffen werden sollen.

Allem Anschein nach wird die Bundesrepublik Deutschland, die seit Jahren ihre Weltmachtsambitionen wieder in aller Offenheit verfolgt, in diesen Fragen keineswegs auf die Bremse treten oder gar einer nuklearen Abrüstung oder einer Totalverschrottung solcher Waffen das Wort reden. Nicht ohne Grund wurde die von so vielen Vertragsstaaten des Nichtverbreitungsvertrages vorgebrachte und im Westen weitgehend verschwiegene Kritik an der NATO wie auch an dem "nuklearen Teilhabe"-Staat Deutschland nicht auf die offizielle Tagesordnung des Gipfels gesetzt.

3. April 2009