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DILJA/1152: Die Ereignisse von 1949 feiern? Anmerkungen zur Entstehung des Grundgesetzes (SB)


Auch 60 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik ist die frühe Nachkriegsgeschichte kein Grund zum Feiern

Kritisch-historische Anmerkungen zur Entstehung des Grundgesetzes


In Politik und Medien wird derzeit das 60jährige Bestehen von Grundgesetz und Bundesrepublik als eine Erfolgsgeschichte, so der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder, gefeiert. Das Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 vom damaligen Parlamentarischen Rat, der von den drei westlichen Alliierten, nicht jedoch der sowjetischen Siegermacht beaufsichtigt und von den elf Ministerpräsidenten der in den drei Westzonen neugegründeten Bundesländer bestimmt wurde, beschlossen. Am 23. Mai 1949 trat es, ohne daß die deutsche Bevölkerung über seine Annahme abgestimmt hätte, in Kraft. Der Mangel an direkter Demokratie läßt sich nicht nur aus diesem unmittelbaren Entstehungszusammenhang ablesen, sondern zieht sich wie eine rote Linie durch den Verfassungstext, der im übrigen mit gutem Recht für sich in Anspruch nehmen kann, im Vergleich zu den vorherigen deutschen Verfassungen von 1848, 1871 und 1919 die freiheitlichste und inzwischen auch die am längsten währende zu sein.

Angesichts der an Jubeleuphorie grenzenden Feierlichkeiten - so kamen in Berlin am Samstag zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor rund 750.000 Menschen anläßlich des 60. Jahrestages der Unterzeichnung des Grundgesetzes zu einem Massenerlebnis zusammen - sind einige kritische Anmerkungen zum historischen Entstehungszusammenhang von Grundgesetz und Staatsgründung durchaus angezeigt. Diese sind am allerwenigsten Bestandteile der Geschichte Deutschlands, das nach der Beendigung des verbrecherischen Zweiten Weltkrieges, an der die Sowjetarmee einen weitaus größeren Anteil hatte, als ihr von der westlich dominierten Geschichtsschreibung gemeinhin zugebilligt wird, als eigenständiger Staat zu existieren aufgehört hatte. Die 1949 mit der Verabschiedung des Grundgesetzes vollzogene Gründung eines deutschen Teilstaats auf dem Territorium der drei westlichen Besatzungszonen stellte keineswegs den Anfang einer Demokratisierung Deutschlands dar, sondern ist das Ergebnis politischer Entwicklungen und Auseinandersetzungen weltpolitischen Ausmaßes, die wenig später als "Kalter Krieg" in die Geschichte eingehen sollten.

Kaum ein Jahr nach Kriegsende, im März 1946, hatten die USA mit der Verkündung der "Truman-Doktrin" ihren Anspruch auf Führerschaft in der westlich-kapitalistischen Welt untermauert. Da im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges der Einflußbereich der von der Sowjetunion kontrollierten Sphäre realsozialistischer Staaten ausgeweitet und der direkte Grenzverlauf zwischen den antagonistischen Systemen mitten durch Europa verlief, war es aus Sicht Washingtons eine Selbstverständlichkeit, die Entwicklung in ganz Europa und insbesondere auch in Deutschland nicht sich selbst, das heißt den europäischen Völkern "in Eigenregie" zu überlassen, sondern selbst in die Hände zu nehmen. Der Marshall-Plan von 1947 diente keineswegs nur dem Zweck, durch Wiederaufbauhilfen für das kriegszerstörte Europa US-amerikanischen Unternehmen Absatzmärkte zu beschaffen - in erster Linie sollte und wurde die politische Zugehörigkeit und Anbindung der nicht-sozialistischen Staaten zu bzw. an die USA damit sichergestellt.

Der Grundstein mit der 1949 im letzten Schritt vollzogenen Teilung Deutschlands wurde weit früher, spätestens 1946/47, gelegt. Da die Rote Armee in ihrer Gegenoffensive, die im Mai 1945 zum Kriegsende führte, nun einmal "bis Berlin" gekommen war, ließ sich die vorherige Absicht der USA, aus ganz Deutschland ein antikommunistisches Bollwerk zu machen, angesichts der durch die Kriegsentwicklung geschaffenen Faktenlage nicht mehr realisieren. Die einzig denkbare Alternative unter Beibehaltung dieser Parameter lag deshalb in der Teilung Deutschlands in einen antikommunistischen Frontstaat BRD, dem mit der DDR ein Bruderstaat des sozialistischen Lagers gegenüberstand, das die Teilung Deutschlands nicht favorisiert, sondern zwangsläufig nachvollzogen hatte, nachdem die maßgeblichen Kräfte innerhalb der drei Westzonen wie auch die Westalliierten den Weg in den Teilstaat BRD im Alleingang beschritten hatten.

Dabei mag auf westlicher Seite die Befürchtung Pate gestanden haben, die Zulassung allgemeiner Wahlen oder Referenden in Deutschland über die politische Zukunft aller vier Zonen könne womöglich eine Hinwendung zum Sozialismus zur Folge haben. Vordergründig wird jedoch, und daran hat sich bis heute nichts geändert, der Eindruck zu erwecken versucht, man habe mit dem im Grunde undemokratischen Weg zu Grundgesetz und Bundesrepublik ein Wiederaufleben des Faschismus verhindern wollen, was allerdings kein stichhaltiges Argument ist. Wäre es den Alliierten, die aufgrund ihres Besatzerstatus' auch die Modalitäten etwaiger allgemeiner Wahlen oder Verfassungsreferenden hätten bestimmen können, allein darum gegangen, das Wiederaufleben der NSDAP oder etwaiger Nachfolgeparteien des Hitler-Faschismus zu unterbinden, hätten sie gezielte Parteienverbote verhängen können.

Unmittelbar nach Ende eines solch verbrecherischen Krieges und zu einer Zeit, in der "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Faschismus" weit eher dem Denken und Fühlen sehr vieler Menschen auch in Deutschland entsprach als die Fortsetzung von Führerstaat und NS-Terror hätten die damalige KPD oder auch etwaige neue Parteien der Linken nicht geringe Chancen gehabt, bei Fragen der politischen Zukunftsgestaltung in keineswegs marginaler Weise mitzubestimmen. Doch darauf hätten es die westlichen Führungsstaaten unter der unangefochtenen Vormachtstellung der USA niemals ankommen lassen, und so mußten aus ihrer Sicht gerade in der Zeit, in der Deutschland "noch am Boden lag", Weichenstellungen vollzogen werden, die die Möglichkeit einer solchen Entwicklung von vornherein ausschlossen.

Carlo Schmid, der als SPD-Politiker im Parlamentarischen Rat an den Vorarbeiten zum Grundgesetz teilgenommen hatte, sollte später erklären: "Wir sind bei der Errichtung dieses Notbaues nur zum Teil Herren unserer Entschlüsse gewesen. Die Besatzungsmächte haben uns Auflagen erteilt. ... Das ist nicht gut gewesen." [1] Auf Weisung der westlichen Alliierten hatte in den drei Westzonen im September 1948 der Parlamentarische Rat seine Arbeit, die alternativlos zur Gründung der Bundesrepublik und damit der Teilung Deutschlands führen sollte, aufgenommen. Damit sollten und wurden anderweitige Bemühungen, die politische Zukunft Deutschlands neu zu gestalten, zunichte gemacht. Im März desselben Jahres hatten rund zweitausend Menschen im Ostteil Berlins am zweiten "Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" teilgenommen. 512 der Teilnehmer waren aus den drei Westzonen gekommen. Auf diesem Kongreß wurde die Durchführung eines Volksbegehrens zur Vorbereitung eines Volksentscheides über die Einheit Deutschlands und die Grundsätze der deutschen Wirtschaft beschlossen - doch dazu kam es nicht.

Schon Ende 1947 hatten sich auf Initiative der SED Delegierte aus allen vier Besatzungszonen zu einem ersten Volkskongreß versammelt. Mit dem im März 1948 vom Zweiten Volkskongreß entwickelten Volksbegehren sollten die Oberbefehlshaber der Alliierten aufgefordert werden, per Gesetz zu beschließen, daß Deutschland eine unteilbare demokratische Republik sei, in der den Ländern der Weimarer Verfassung von 1919 vergleichbare Rechte zustünden. Mit anderen Worten: Die demokratische Zukunft eines (ungeteilten) Deutschlands hätte auf diesem Wege sichergestellt werden können. In der französischen wie auch der amerikanischen Zone wurde die Durchführung dieses Volksbegehrens durch die Militärregierungen untersagt, in der britischen Zone wurde sie formal zugelassen, doch durch schikanöse Bestimmungen erschwert.

Die Haltung der Sowjetunion war eine andere. Ihr primäres Interesse bestand darin, nach zwei verheerenden Weltkriegen, die von deutschem Boden aus gegen sie bzw. das vorherige Rußland geführt worden waren, sicherzustellen, daß nicht noch ein dritter Angriffskrieg von Deutschland aus gegen sie erfolgen könne. Nach den Vorstellungen der Sowjetunion hätte nach dem Krieg - unter internationaler Aufsicht - aus Deutschland, an dessen Teilung aus Sicht Moskaus kein Interesse bestand, ein Staat werden sollen, in dem die Macht des monopolistischen Großkapitals gebrochen sei. Die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien hätte nach sowjetischer Ansicht eine hinreichende Garantie geboten, um der Gefahr weiterer Angriffskriege zu begegnen. Eine solche Verstaatlichung hätte zudem, und daran mag aus Sicht konservativ-kapitalistischer Kräfte innerhalb Deutschlands sowie der westlichen Alliierten die allergrößte Gefahr solcher Pläne bestanden haben, unter der damaligen Bevölkerung auf große Zustimmung gestoßen.

Da viele Menschen nach dem Krieg den Zusammenhang zwischen den Interessen des Großkapitals, dem Hitlerfaschismus und dem Vernichtungs- und Eroberungskrieg herstellt hatten, wäre eine "sozialistische" Entwicklung Deutschlands ohne Interventionen der westlichen Allierten nicht unwahrscheinlich gewesen. Die "Stimmung" gegen Großkonzerne und Kapital, die nicht ohne Grund für die Katastrophe Krieg verantwortlich gemacht wurden, war so allgemein und weitverbreitet, daß die Parteidelegierten, die in der "Trizone" an der Arbeit des das Grundgesetz und damit die Teilung Deutschlands vorbereitenden Parlamentarischen Rat teilgenommen hatten, ausnahmslos der Aufnahme des Artikels 14, der in Abs. 3 die Möglichkeit der Enteignung "zum Wohle der Allgemeinheit" ausdrücklich einräumt, zustimmten.

Die in Abs. 2 niedergelegte Verpflichtung, das in diesem Artikel garantierte Eigentum solle "zugleich" dem Wohle der Allgemeinheit dienen, stellte so etwas wie eine Mogelpackung dar, um die Weichenstellung zur kapitalistischen Gesellschaftsform, die mit dem Grundgesetz zementiert werden sollte, gegenüber einer durchaus kapitalismuskritischen Bevölkerung akzeptanzfähig zu machen. Das Grundgesetz als eine Erfolgsgeschichte zu bewerten und zu begreifen, ist vor diesem historischen Hintergrund sicherlich nachvollzieh- und begründbar. Einen Grund zum Feiern werden darin jedoch in erster Linie all diejenigen sehen, die aus dieser nun schon seit 60 Jahren beibehaltenen Gesellschaftsordnung ihre Vorteile zu ziehen wissen oder, ungeachtet gegenteiliger Erfahrungen, noch immer ihre Hoffnung darauf setzen, eines Tages der in Aussicht gestellten Teilhaberlöhne gewahr zu werden.

[1] zitiert aus: "Davor - Dabei - Danach. Ein ehemaliger Kommandeur der Grenztruppen der DDR berichtet", von Hans Fricke, 1. Auflage Dezember 1993, S. 39

26. Mai 2009