Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1181: Honduras - Das Postulat der "Menschenrechte" bietet keinerlei Schutz (SB)


Massenverhaftungen, politische Morde und "verschwundene" Menschen

In Honduras herrscht eine De-facto-Diktatur, die dem internationalen Schutzversprechen der Menschenrechte Hohn spricht


Hielten "die Menschenrechte", was sie versprechen, hätten der Putsch in Honduras vom 28. Juni 2009, die gewaltsame Verschleppung des legitimen Präsidenten Manuel Zelaya, die Verhängung des Ausnahmezustandes sowie die Außerkraftsetzung der demokratischen Freiheitsrechte nicht stattfinden können. Für Fälle wie diese, nämlich daß es in einem demokratischen Staat zu einer Erhebung des Militärs gegen die rechtmäßige Regierung kommt und durch einen Staatsstreich eine De-facto-Diktatur errichtet wird, in der mit äußerster Repression gegen die Opposition im eigenen Lande vorgegangen wird, wurde das Postulat der Menschenrechte und ihrer internationalen Verankerung in wohlklingenden Erklärungen und völkerrechtlich verbindlichen Verträgen eigens ins Leben gerufen. In Lateinamerika, einem Kontinent, in dem fast alle Völker in ihrem kollektiven Gedächtnis üble Erinnerungen an die gar nicht so fernen Zeiten der Militärputsche und Folterregime wachhalten, wird der Glaube an das Schutzversprechen der internationalen Menschenrechte ohnehin nicht stark ausgeprägt sein können, hat sich doch ihre faktische Unwirksamkeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bereits erwiesen.

"Die Demokratie muß gelegentlich in Blut gebadet werden." Dieser Satz des chilenischen Putschisten und Diktators Auguste Pinochet ist keineswegs so zynisch, wie er sich anhört, da er auf die stillschweigende Interessenallianz zwischen westlichen Demokratien und den Putschregimen hinweist. General Pinochet hat die Erhebung des Militärs gegen die gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende damit begründet, die "Demokratie" retten zu wollen, die er und die durch ihn repräsentierte in- wie ausländische Interessenallianz durch die von der Regierung Allende begonnene gesellschaftliche Entwicklung im damaligen Chile "gefährdet" sah.

Es wäre zu kurz gegriffen, diese Pseudorechtfertigung des Putschgenerals als bloßes Hirngespinst aufzufassen, zumal die hintergründige und mehr oder minder inoffizielle Unterstützung der westlichen Führungsstaaten für die chilenischen Putschgeneräle heute längst kein Geheimnis mehr ist und die Annahme nahelegt, daß es in den Hauptstädten und Schaltzentralen der westlichen Welt eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, zu den Mitteln des Militärputsches zu greifen oder greifen zu lassen, sobald ein solcher Schritt zur Sicherung ihrer Herrschaftsinteressen für unvermeidlich gehalten wird.

In Honduras haben sich bereits wenige Tage nach dem für viele überraschend durchgeführten Putsch Menschenrechtsorganisationen zu Wort gemeldet. So hatten sich am 30. Juni das bischöfliche Hilfswerk Misereor und die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN in einem gemeinsamen Offenen Brief an Bundeskanzler Frank-Walter Steinmeier gewandt, um ihn zu bitten, sich für die Wiederherstellung der Demokratie sowie den Schutz der Menschenrechte in Honduras einzusetzen. "Minister Steinmeier muss sich gegen Verhaftungen und Repressalien gegen Regierungsmitglieder, führende Persönlichkeiten der sozialen Protestbewegung und Menschenrechtsverteidiger einsetzen und diesen über die Botschaft Schutzmaßnahmen zukommen lassen", so der Wortlaut der Forderung von Misereor und FIAN [1].

Martin Wolpold-Bosien, Mittelamerika-Referent von FIAN International, wurde noch konkreter und warnte in der zwei Tage nach dem Putsch veröffentlichten Erklärung [1]:

Die Lage spitzt sich zu. Das Regime agiert mit Verhaftungen, Gewalt und Zensur gegen die Protestbewegung. Die internationale Staatengemeinschaft muss schnell und entschieden handeln, um ein Blutbad in Honduras zu verhindern.

Inzwischen läßt sich zweifelsfrei feststellen, daß die "internationale Staatengemeinschaft", gemessen an der ungebrochenen Repression der Putschisten gegen die nationale Front der Putschgegner, weder schnell noch entschieden gehandelt hat. Während Lippenbekenntnisse die tatsächliche Kumpanei des Schreckens verbergen sollen, verüben die Militärmachthaber und ihre zivilen Mitputschisten unter den Bedingungen einer von ihnen gewaltsam durchgesetzten Aussetzung der Pressefreiheit ihr, wie zu befürchten steht, blutiges Handwerk. Am Sonntag erreichte eine Internationale Menschenrechtskommission, bestehend aus 19 Beobachterinnen und Beobachtern aus Europa und Lateinamerika, Honduras, um, wie es hieß, die Einhaltung der Menschenrechte durch die Putschregierung zu überprüfen. Erste Zeugenaussagen bestätigten, was eigentlich keiner Überprüfung mehr bedarf: Die Putschregierung unter Micheletti versucht die Protestbewegung gegen ihre Machtergreifung mit repressiven Mitteln zu unterdrücken.

Fian, die Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht, sich zu ernähren, teilte in einer Pressemitteilung vom 20. Juli [2] unter Berufung auf einen Bericht honduranischer Organisationen mit, daß seit dem Staatsstreich bereits 1046 Menschen verhaftet, 59 verletzt und drei getötet wurden. In einer ersten Stellungnahme forderte die Internationale Menschenrechtskommission, die eine Woche lang in Honduras bleiben und ihre Untersuchungen durchführen will, die Freilassung der Inhaftierten und eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung; an die Adresse der Staatengemeinschaft gerichtet wurden "internationaler Druck" und "Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung" verlangt. Wolpold-Bosien forderte zudem den Weltsicherheitsrat auf, sich umgehend einzuschalten, "um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern".

Vor einem Bürgerkrieg warnt unter anderem auch der bislang erfolglos gebliebene Vermittler, der Präsident Costa Ricas, Oscar Arias, der seine Warnungen bezeichnenderweise nicht mit dem gewaltsamen Vorgehen des Militärs und der Polizei begründete, sondern mit der Gegenwehr, die dem Putschregime eines vielleicht gar nicht mehr so fernen Tages entgegengebracht werden könnte: "In Honduras haben sehr viele Leute Waffen", so Arias. Nach Angaben der Außenministerin der rechtmäßigen Regierung Zelaya, Patricia Rodas, wird der gestürzte Präsident am Ende dieser Woche nach Honduras zurückkehren und sich an die Spitze einer "gewaltigen Offensive" stellen, die durch einen von den drei führenden Gewerkschaftsverbänden für Donnerstag und Freitag ausgerufenen unbefristeten Generalstreik noch verstärkt werden soll. Zelaya selbst kündigte am Dienstag seine baldige Rückkehr mit folgenden Worten [3] an:

Es gibt eine lange Grenze mit El Salvador, eine Grenze mit Guatemala und eine Grenze mit Nicaragua. Die Annäherung ist durch die Luft, zu Lande oder zu Wasser möglich, und der Zeitpunkt ist ab Donnerstag offen, wenn die 72 Stunden vorbei sind, die der Vermittler erbeten hat.

Mit einer weiteren Eskalation der gewaltsamen Unterdrückung der Opposition durch Militär und Polizei muß im Hinblick auf die bevorstehende Rückkehr Zelaya gerechnet werden. Für die internationalen Institutionen, die sich den Schutz der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben haben, wäre es jetzt allerhöchste Zeit, den wohlfeilen Erklärungen Taten folgen zu lassen, zumal das bisher schon bekannt gewordene Ausmaß der Repression begründeten Anlaß zu größter Sorge liefert. Die ersten, von der Internationalen Menschenrechtskommission aufgenommenen Zeugenaussagen bestätigten übereinstimmend, daß die Aktivisten der nationalen Widerstandsfront und der an ihr beteiligten Organisationen systematisch eingeschüchtert und sogar mit dem Tode bedroht werden. Zusätzlich zu den über eintausend aus politischen Gründen bereits erfolgten Verhaftungen soll es eine nicht genau bezifferbare Zahl von Verschleppungen geben, womit Fälle gemeint sind, bei denen Menschen von Polizei- oder Militäreinheiten verhaftet werden und anschließend verschwinden - sie tauchen in keinem Gefängnis wieder auf.

Was dies in einem Land wie Honduras heißt, dessen militärische Führung noch zur Zeit der letzten Diktatur als junge Offiziere in gewaltsamer Aufstandsbekämpfung sicherlich nicht nur theoretisch ausgebildet wurde, liegt auf der Hand. Erschwerend kommt hinzu, daß von einem "Schutz", den in einer Demokratie eine freie Presse als vierte Gewalt im Staate bieten soll, in Honduras überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Das Putschregime unterbindet nicht nur jede Berichterstattung über den Putsch (Sendern wird mit der Abschaltung gedroht, sobald sie nur das Wort "Putsch" verwenden) und suggeriert den Menschen ein völlig virtuelles Bild von den Verhältnissen im Lande, es versucht auch die Kommunikation von Mensch zu Mensch auf technischem Wege zu unterbinden, wie Anhänger der Widerstandsfront berichteten, deren Telefon- und E-mail-Verbindungen immer wieder unterbrochen worden sind.

Zu welchen Ergebnissen die Internationale Menschenrechtskommission, die nach dieser Woche einen Abschlußbericht vorlegen will, auch immer kommen wird - ein faktischer Schutz für die Menschen vor Ort wird daraus nicht erwachsen können, weil die derzeitigen Machthaber in Tegucigalpa sich der stillschweigenden Rückendeckung jener westlichen Staatenelite sicher sein können, die über wirksame Druckmittel zur Disziplinierung von aus ihrer Sicht mißliebigen Staaten und Regierungen verfügt. Dabei sitzt diese internationale Interessengemeinschaft auch an den Hebeln eines Menschenrechtsbezichtigungsmechanismus, dessen Ergebnisse nur dann in Sanktionen und sonstige Disziplinierungsmittel übergeführt werden, wenn es der Durchsetzung der Interessen dieser Staatenelite zweckdienlich ist.

Anmerkungen

[1] Honduras: Verhaftungen und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger. MISEREOR und FIAN fordern entschlossenes Handeln von Minister Steinmeier, Pressemitteilung von MISEREOR und FIAN, 30. Juni 2009

[2] UN-Sicherheitsrat muss Bürgerkrieg in Honduras verhindern, Fian-Pressemitteilung vom 20.07.2009

[3] Über die Grenze. Zelaya will heute nach Honduras zurückkehren. Gewerkschaften unterstützen rechtmäßigen Präsidenten mit Generalstreik. Von André Scheer, junge Welt, 23.7.2009, S. 7

23. Juli 2009