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DILJA/1193: Kleine Rechtskunde aus Honduras - Der Verfassungsbruch der Putschisten (SB)


Durchsichtige Rechtfertigungsversuche der Putschregierung Micheletti

Die Verfassung von Honduras erlaubt weder einen Staatsstreich noch eine Verschleppung des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya


Durch wiederholtes Wiederkäuen kann eine faktisch unzutreffende Behauptung inhaltlich nicht aufpoliert werden; gleichwohl verfehlt das ebenso systematische wie zielgerichtete manipulative Arrangieren propagandistischer Instrumente nicht seine Wirkung. Im Fall des mittelamerikanischen Staates Honduras, in dem vor fast zwei Monaten der rechtmäßig gewählte Präsident Manuel Zelaya durch einen Staatsstreich entmachtet, vom Militär festgesetzt und gewaltsam außer Landes verbracht wurde, ließe sich die Probe aufs Exempel machen. Die von den Putschisten um den ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti in Umlauf gebrachte und von ihren westlichen De-facto-Verbündeten im wesentlichen als begründet und zutreffend behandelte Behauptung, Zelaya habe durch seine Initiative, die Bevölkerung bei den im November bevorstehenden Wahlen auch über die Frage abstimmen zu lassen, ob eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen werden solle, die geltende Verfassung verletzt, hält einer näheren Überprüfung keineswegs stand.

Gleichwohl würden auf der Basis dieser auch von den hiesigen Mehrheitsmedien kolportierten Bezichtigung nicht eben wenige Menschen diese Auffassung übernehmen. Und so gibt es den Lippenbekenntnissen nahezu aller westlichen Politiker zufolge eine international ausnahmslose Verurteilung des Staatsstreiches, ohne daß dies zu irgendwelchen aufgeregten Reaktionen geführt hätte oder zu Zwangsmaßnahmen, um den angeblich so einhellig verurteilten Zustand zu beenden. Keine Frage - auf der Agenda der sogenannten internationalen Gemeinschaft, die sich ihre Hände längst blutig gemacht und einen militärischen Interventionismus auf ihrer Seite verankert hat, der die Bestimmungen der UN-Charta vollends zur Makulatur verkommen ließ, stellt der Putsch in Honduras so etwa wie einen "Staatsstreich light" dar, der zwar nicht gutgeheißen werden darf, im Kern jedoch voll und ganz den Zielvorgaben der westlichen Interessengemeinschaft entspricht.

Die fundamentale Diskrepanz zwischen behaupteter Kritik und faktischer Akzeptanz läßt sich an der Frage, wer wann und inwiefern die geltende Verfassung von Honduras mißachtet, verletzt oder gänzlich gebrochen hat, besonders anschaulich nachzeichnen. Die Putschisten und ihre Unterstützer vertreten die Auffassung, Präsident Zelaya habe durch die rechtlich unverbindliche Volksbefragung, die am Tag des Putsches von dem in Honduras für die Umsetzung der Wahlen zuständigen Militär durchgeführt werden sollte, die Verfassung gebrochen, was einen Militärputsch rechtfertigen würde. Immer und immer wieder wurde Zelaya im In- und Ausland der Vorwurf gemacht, durch eine Verfassungsänderung seine Amtszeit verlängern zu wollen - was ausgemachter Unsinn ist und wider besseren Wissens von Zelayas mächtigen, weil in der gesamten Oberschicht des Landes zu verortenden Gegnern in die Welt gesetzt wurde, um den inzwischen gestürzten Präsidenten in Mißkredit zu bringen.

Manuel Zelaya hat sich vielmehr bester demokratischer Prinzipien befleißigt, indem er den von der Verfassung vorgesehenen Weg einleitete, um die Bevölkerung darüber abstimmen zu lassen, ob sie sich in dem von der Verfassung dafür vorgesehenen Rahmen, also durch eine aus gewählten Delegierten bestehende Verfassungsgebende Versammlung, eine neue Verfassung geben möchte oder nicht. Dem demokratisch gewählten Präsidenten eines demokratischen Landes das Recht absprechen zu wollen, eine solche Frage an die Bevölkerung und damit den eigentlichen Souverän zu richten, wirft ein bezeichnendes Licht auf diejenigen, die solch einen Vorwurf erheben und es noch dazu für gerechtfertigt halten, den angeblich verfassungsuntreuen Präsidenten gewaltsam zu stürzen.

An dieser Stelle könnte der Einwand erhoben werden, daß der Oberste Gerichtshof von Honduras die Absetzung Zelayas doch angeordnet habe und somit kein Putsch, sondern eine reguläre Absetzung des Präsidenten stattgefunden habe. Dem wäre - und zwar aus juristischer und verfassungsrechtlicher Sicht - entgegenzuhalten, daß in keinem einzigen denkbaren Fall das Militär zur Festnahme einer Person befugt ist; dies ist in Honduras, wie es sich für einen demokratischen Staat gehört, allein Sache der Polizei. Erschwerend kommt hinzu, daß der vom Obersten Gerichtshof ausgestellte Festnahmebefehl gegen Präsident Zelaya nachträglich erlassen wurde und insofern nichts an der Tatsache des völlig rechts- und verfassungswidrigen Staatsstreichs zu ändern vermag. Wie Dixon Herrera, ein honduranischer Staatsanwalt, im dem Onlinemagezin Telepolis [1] erläuterte, war in den Medien erst am 30. Juni, also zwei Tage nach dem Putsch, von einem solchen Haftbefehl gegen den Präsidenten die Rede. Herrera begründete den von ihm erhobenen Vorwurf, putschunterstützende Staatsanwälte und Mitglieder des Obersten Gerichtshofs hätten auf diese Weise "einen juristischen Ausweg aus dem Dilemma gesucht", folgendermaßen:

Die Manipulation lässt sich eindeutig nachweisen. Im Sekretariat des Obersten Gerichtshofes wird jede eingehende Anklage handschriftlich in einem Buch festgehalten. Angeblich sollte gegen Präsident Zelaya schon am 25. Juni ein Haftbefehl erlassen worden sein. Allerdings tauchte dieser in der Liste nicht auf. Weil nach diesem Datum schon weitere Fälle vermerkt wurden, konnte er auch nicht nachgetragen werden. Also wurde kurzerhand ein neues Buch angelegt. Einziger Eintrag: Der Fall Zelaya.

Angesichts der internationalen Proteste, und mögen sie auch noch so halbgar gewesen sein, bemühte sich das Micheletti-Regime um größtmögliche Legitimität, um den wohl fundamentalsten aller Rechts- und Verfassungsbrüche, nämlich den gewaltsamen Sturz einer demokratisch gewählten Regierung und damit eine völlige Außerkraftsetzung demokratischer Spielregeln, in ein besseres Licht zu stellen. Dazu war ihm jedes - und sei es juristisch unzutreffendes - Argument recht. So würde zum Beispiel behauptet, Präsident Zelaya hätte ein Rücktrittsgesuch unterzeichnet, was dieser natürlich sofort korrigierte. Wenige Stunden nach dem Putsch wurde dem Nationalkongreß ein - gefälschtes - Dokument vorgelegt, das zudem noch schlecht gefälscht worden war, da es als vermeintliches Rücktrittsdatum den 25. und nicht den 28. Juni, an dem der Putsch dann tatsächlich stattfand, enthielt.

Dieses Versehen ist wohl nicht zufällig entstanden, da der Staatsstreich womöglich ursprünglich für den 25. Juni terminiert worden war. Staatsanwalt Herrera vertritt ohnehin die Auffassung, daß der Sturz Zelayas eigentlich schon am 25. Juni stattgefunden habe, und begründete dies so [1]:

An diesem Tag weigerte sich der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Romeo Vásquez Velásquez, die für den 28. Juni geplante Meinungsumfrage bezüglich eines Plebiszits über eine verfassunggebende Versammlung logistisch zu unterstützen. Sie müssen wissen: Überwachung und Verteilung des Wahlmaterials ist in Honduras Aufgabe der Armee. Präsident Zelaya setzte Vásquez Velásquez daraufhin ab.

Der Oberste Gerichtshof erklärte diese Entscheidung für nichtig - obwohl er das de jure gar nicht darf. In diesem Moment, am 26. Juni, hatte der gewählte Präsident de facto keine Macht mehr. Er sah sich einem "technischen Staatsstreich" gegenüber. Seine Verschleppung zwei Tage später hatte nur noch symbolischen Wert. Von dem Geschehen an diesem Tag ging eine eindeutige Nachricht der mächtigen Oberschicht unseres Landes aus: "Wir setzen hier die Präsidenten ein", lautete diese Nachricht, "und wir setzen sie auch wieder ab."

Für bundesdeutsche Verhältnisse wäre ein solches Vorgehen vollkommen inakzeptabel und nahezu unvorstellbar. Wenn der oberste Befehlshaber der Generalität der Bundeswehr Anordnungen der Bundesregierung mißachten würde, wäre dies ein Staatsstreich, der alle Demokraten auf die Barrikaden bringen müßte zur Verteidigung von Verfassung und Republik. Und wenn, um den Faden noch einmal weiterzuspinnen, Richter des Bundesverfassungsgerichts der Bundeswehr den "Befehl" erteilten, die gewählte Bundeskanzlerin festzusetzen und außer Landes zu bringen, würde dies nicht ein Jota an der völligen Unrechtmäßigkeit und Verfassungswidrigkeit eines solchen Vorgehens ändern. Was für die Bundesrepublik Deutschland ein absurdes Szenario darstellt, ist in Honduras längst Realität, obwohl die dortige Verfassung ebensowenig wie das deutsche Grundgesetz dazu eine Handhabe liefert.

So wurde auch in der westlichen Presse die Behauptung kolportiert, der Nationalkongreß in Honduras habe nach der "Absetzung" Zelayas Roberto Micheletti nach Artikel 205 der Verfassung zum "neuen Präsidenten" gewählt. Der Sinn und Zweck dieses Täuschungsmanövers liegt auf der Hand: Kann diese Behauptung international durchgesetzt werden, ist die faktische Anerkennung des Putsches und des Putschregimes nur noch ein weiterer Schritt. Auch hierzu stellte Staatsanwalt Herrera richtig:

In keinem der 45 Absätze des Artikels 205 der honduranischen Verfassung von 1982 wird der Nationalkongress ermächtigt, einen Präsidenten abzusetzen oder neu zu wählen. Dem Nationalkongress steht einzig und alleine zu, die Amtsführung des Staatschefs positiv oder negativ zu beurteilen. Ein negatives Urteil kann eventuell ein erster Schritt zu einer Amtsenthebung sein. Aber auch dafür gibt es ein klar definiertes Procedere.

Die ohnehin naheliegende Vermutung, durch den am 28. Juni durchgeführten Staatsstreich sollte nicht nur ein aus Sicht der Oligarchie des Landes aufgrund seines politischen Kurses untragbar gewordener Präsident entmachtet, sondern nicht zuletzt die Volksbefragung zur Einrichtung einer Verfassungsgebenden Versammlung verhindert werden, gewinnt weitere Substanz durch die Frage, warum Zelayas Gegner nicht, wie es verfassungsgemäß gewesen wäre, ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn angestrebt haben. Gesetzt den Fall, Zelaya (oder ein anderer Präsident) hätte tatsächlich einen Verfassungsverstoß oder eine sonstige Verfehlung begangen, hätte es Herrera zufolge gleich zwei Wege gegeben, um diese Vorwürfe prüfen und den Amtsträger gegebenenfalls seines Amtes entheben zu lassen:

Für diesen Fall gibt es zwei Möglichkeiten, die nicht nur für den Präsidenten, sondern auch für andere hohe staatliche Funktionäre gelten. Erstens kann die Justiz Anklage gegen den Präsidenten erheben. Erst wenn einem Verfahren stattgegeben wird, erfolgt eine Amtsenthebung. Das höchste Staatsamt wird dann - und zwar in dieser Reihenfolge - von dem Vizepräsidenten, dem Parlamentspräsidenten oder dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes übernommen. Das ist eines der Scheinargumente der Putschisten: Nach ihrer Darstellung war die Machtergreifung von Herrn Micheletti am 28. Juni "verfassungskonform", weil der Vizepräsident Elvin Santos wenige Wochen zuvor zurückgetreten war und Micheletti in der Hierarchie folgte. Das Problem dabei ist, dass die Amtsenthebung von vornherein illegal war. Damit entbehren auch alle weiteren Schritte der Legalität. Die zweite Möglichkeit hätte darin bestanden, den Staatschef von der Polizei festnehmen und zur Vernehmung verbringen zu lassen.

Warum nur wurden diese Wege nicht beschritten, wie es doch angezeigt und rechtsstaatlich geboten gewesen wäre, wäre es Zelayas Gegnern tatsächlich darum gegangen, die von ihnen behaupteten Verfassungsverstöße zu unterbinden? Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft hätten den Präsidenten außer Landes bringen können; das Militär schon - wenn auch unter Bruch der Verfassung, die ihren behaupteten Absichten zufolge vor Zelaya "geschützt" werden sollte. Artikel 81 und 102 der geltenden Verfassung verbieten die gewaltsame Verschleppung wie auch die Ausweisung honduranischer Bürger, also auch die Zelayas sowie die seiner Außenministerin Patricia Rodas, die einige Tage nach dem Putsch gegen ihren Willen nach Mexiko ausgeflogen wurde.

Das Desinteresse an all diesen Fragen und einer tatsächlichen Aufklärung über die juristischen und verfassungsrechtlichen Aspekte dieses Staatsstreiches sowie des nun bereits seit fast zwei Monaten irregulär regierenden Putschistenregimes in den westlichen Staaten und namentlich auch in der Bundesrepublik Deutschland, die besonders intensive politische Beziehungen zu Honduras unterhält, spricht Bände und konterkariert die von den internationalen Akteuren stets in Anspruch genommenen Absichten, für Freiheit und Demokratie in aller Welt eintreten zu wollen, aufs Überdeutlichste.

Anmerkung

[1] "In Honduras hat ein Putsch stattgefunden", Interview mit dem honduranischen Staatsanwalt Dixon Herrera, von Harald Neuber, Telepolis, 13.08.2009

25. August 2009