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DILJA/1200: 11. September 2009 - Umsturz- und Putschgefahr von rechts in Lateinamerika (SB)


Putsch- und Umsturzgefahren von rechts in Lateinamerika

Der 11. September 1973 gemahnt an überwunden geglaubte Gefahren


Heute auf den Tag genau vor 26 Jahren putschte das chilenische Militär unter General Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Dem Putsch folgte eine lange Zeit der Militärdiktatur, in der in den Jahren zwischen 1973 und 1990 Tausende Menschen ermordet, Zehntausende gefoltert und Hunderttausende ins Exil gezwungen worden waren. Doch nicht nur in Chile wurde der Versuch einer demokratisch legitimierten Regierung, die Gesellschaftsutopie "Sozialismus" in gesellschaftliche Realität umzusetzen bzw. einen darauf abzielenden Umwandlungsprozeß in Gang zu bringen, mit brutalster Gewalt "beantwortet". Für ihre Grausamkeit nicht minder berüchtigt waren neben den Chargen Pinochets in ganz Lateinamerika und darüber hinaus die Handlanger der Operation Condor, eines strukturellen Zusammenschlusses von Polizei- und Geheimdienstkräften militärdiktatorisch regierter Regime Lateinamerikas, zu denen neben Chile Argentinien, Uruguay, Paraguay, Bolivien, Brasilien wie auch Ecuador und Peru gehörten und die in ganz Lateinamerika Linksoppositionelle verfolgten, verschleppten, folterten und töteten.

Vor diesem Hintergrund könnte der 11. September als der Tag gelten, an dem mit dem Militärputsch im Chile des Jahres 1973 der Beweis erbracht wurde, daß die demokratische Legitimation eines gewählten Präsidenten militärische Machthaber und ihre internationalen Komplizen nicht im mindesten davon zurückhält, mit blutigster Gewalt eine ihnen nicht genehme politische Entwicklung zu zerstören. Am diesjährigen 11. September dieser historischen Bezüge zu gedenken, ist vor allem deshalb angezeigt und geboten, weil in Lateinamerika abermals eine Zuspitzung einer solchen politischen Auseinandersetzung nicht nur einzusetzen droht, sondern in ihren ersten Schritten bereits vollzogen wurde. So herrscht seit dem 28. Juni 2009 in dem kleinen mittelamerikanischen Staat Honduras eine mit einem scheindemokratischen Tarnanstrich nur notdürftig kaschierte Militärjunta, die sich, wie das Chile Pinochets, der klammheimlichen Unterstützung einflußreicher westlicher Staaten erfreuen kann, wie einem Zitat aus der damaligen bundesdeutschen Presse zu entnehmen ist [1]:

Den Versuch, einen dogmatisch-doktrinären, marxistischen Sozialismus auf demokratischem Wege einzuführen, hat Chile mit schweren wirtschaftlichen und politischen Schäden teuer bezahlen müssen. Anarchie und Chaos breiteten sich in den letzten Wochen immer schneller aus. Im Augenblick der höchsten Gefahr konnten sich die Streitkräfte ihrer Verantwortung nicht mehr länger entziehen. Die politischen Spannungen, die Allendes mißglücktes Volksfrontexperiment in Chile erzeugt hatten, drängten mit Macht zur Entladung.

Nach offiziellen Angaben wurden im Chile Pinochets in 17 Jahren über 3.000 Regierungsgegner getötet. Und so, wie vor über einem Vierteljahrhundert in Chile sowie den besagten befreundeten Staaten in aller Offenheit behauptet wurde, der Staatsstreich der Generäle habe das Land "vor dem Kommunismus" gerettet, beanspruchen auch die derzeitigen Machthaber in Honduras für sich das Recht, durch ihre Maßnahmen das Land "vor dem Chavismus" gerettet zu haben. Sollte es der honduranischen nationalen Widerstandsfront, die sich unter Beteiligung von bis zu einhundert Basis- und sozialen Organisationen umgehend formiert hat, wie nach über zwei Monaten zu befürchten steht, auf absehbare Zeit nicht gelingen, eine Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya zu erzwingen, könnten auch weiteren Staaten in Zentral-, aber auch Südamerika, in denen ein Linksrutsch oder auch nur eine Linksentwicklung zu verzeichnen ist, akute Putsch- bzw. Umsturzgefahren drohen, weil reaktionäre Kräfte in Politik und Militär sich an die Einhaltung demokratischer Gestaltungsregeln nicht gebunden fühlen.

Die rechte Reaktion scheint, tatkräftig unterstützt durch westliche Staaten, bei denen es sich im wesentlichen um dieselben handelt, die den Putsch sowie die anschließenden langen Jahre der Militärdiktatur in Chile begrüßt und gerechtfertigt haben, in dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez so etwas wie den Gravitationspunkt einer Linksentwicklung entdeckt zu haben. Die Versuche, mit den in den 1970er bis 1990er Jahren noch erfolgreichen Mitteln, zu denen neben offen diktatorischen Regimen auch politische Morde zu zählen sind, die von Chávez nicht unwesentlich mitinitiierte "bolivarische Revolution" zu beenden, erwiesen sich bei dem 2002 durchgeführten Militärputsch als ineffizient. Die Reaktion sattelte, da sich das Militär Venezuelas nicht als das Machtmittel erwiesen hat, das sich auf Geheiß regierungs- und Chávez-feindlicher Kräfte bzw. Befehlshaber nach Belieben einsetzen ließ, auf "zivilere" Mittel um.

Da sich die von der sogenannten Opposition, sprich der Unternehmerschaft und der Medienkonzerne, initiierten "wilden Streiks" oder vielmehr Aussperrungen zwar als wirtschaftlich schädigend, jedoch nicht regierungsstürzend auswirkten und auch die in der Verfassung verankerte Option, alle Amtsträger, also auch Präsident Chávez, nach der Hälfte der Amtszeit per Referendum abzuwählen, als nicht zielführend erwiesen hat, scheint nun auf das Umsturzkonzept sogenannter "bunter Revolutionen" zurückgegriffen worden zu sein. Mit diesem Begriff werden die von westlicher Seite mehr oder minder offen unterstützten Oppositionsbewegungen in ehemals sozialistischen Staaten bezeichnet, die sich im früheren Jugoslawien, in Georgien, Weißrußland und der Ukraine einen höchst zweifelhaften Ruf erworben haben und bei denen, zumeist unterhalb der Schwelle direkter Gewaltanwendung, aus westlicher Sicht unliebsame Regierungen zu Fall gebracht werden sollen.

In Venezuela ist eine für solche Zwecke zu instrumentalisierende "Opposition" ohnehin vorhanden, so daß deren Umsturzbemühungen nahtlos mit denen ausländischer Unterstützer verbunden werden können. Da im kommenden Jahr das Parlament, die Nationalversammlung, neu gewählt werden wird und laut Umfrageergebnissen des oppositionsfreundlichen privaten Meinungsforschungsinstituts Dananális der amtierende Präsident abermals mit einer Unterstützung der Bevölkerung von über 57 Prozent rechnen kann, scheint nach Ansicht in- wie ausländischer Regierungsgegner die Zeit reif zu sein für eine "bunte Revolution". Als in der Nacht zum 14. August nach zehnstündiger Beratung das neue Bildungsgesetz von der Nationalversammlung angenommen wurde, gab es in den Straßen von Caracas zum Teil heftige Auseinandersetzungen. Aus einem Protestzug regierungskritischer Demonstranten heraus wurde versucht, die Polizeisperren, die die "Chavistas" und die "Anti-Chavistas" voneinander fernhielten, zu durchbrechen. Nach Polizeiangaben wurden Steine und Feuerwerkskörper in Richtung der Beamten wie auch der linken Demonstranten geworfen.

Nach Angaben der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) wurden elf oppositionelle Aktivisten, die jugendliche Anhänger der PCV zuvor angegriffen hatten, verhaftet, woraufhin am 5. September abermals oppositionelle Demonstranten durch die Straßen Caracas' zogen und deren Freilassung forderten. Die Annahme, hier werde nach den bisherigen, zumeist osteuropäischen Anwendungsbereichen ein weiteres Mal nach einem unsichtbaren Drehbuch das Stück "bunte Revolution" aufgeführt, drängt sich auf, zumal die inländischen Proteste gegen die Regierung Chávez und das auf ihren Vorschlag hin von der Nationalversammlung verabschiedete neue Bildungsgesetz, das den Einfluß der katholischen Kirche auf den Bildungsbereich schmälern sowie den Zugang aller auch zur Hochschulausbildung sicherstellen soll, zeitlich koordiniert wurden mit Anti-Chávez-Demonstrationen in ausländischen Städten.

Das Zentrum dieser Koordination scheint im benachbarten Kolumbien zu verorten zu sein, einem Land, das durch die mit den USA getroffene Vereinbarung, den US-Streitkräften Zugang zu sieben Militärstützpunkten des Landes zu gewähren, ohnehin in die Rolle eines Vorstreiters anti-chavistischer Umsturzbestrebungen gerückt ist. Via Internet wurden Demonstrationen organisiert, die am 4. September zeitgleich bzw. zeitnah in Nord- und Südamerika, aber auch in Europa stattfanden und damit augenscheinlich den Eindruck einer weltweiten Protestfront gegen den zum "Diktator" erklärten Präsidenten Venezuelas zu erwecken suchten. "Zahlreiche" Menschen hätten, wie westliche Medien berichteten, in New York, Madrid, Paris, Brüssel, Hamburg und Toronto an diesem Tag gegen Chávez demonstriert; in Kolumbien protestierten, wie verlautbart wurde, "tausende" Menschen in über zwanzig Städten gegen den Linkspolitiker.

Daß diese weltweiten Proteste von einem "kolumbianischen Geschäftsmann mit Hilfe von Online-Netzwerken wie Facebook und Twitter" organisiert worden sein sollen erhärtet den Verdacht, hier seien, womöglich mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Westen, Umstürzler bestrebt, nach dem bewährten Muster "bunter Revolutionen" die politische Landschaft Venezuelas unter Umgehung der offiziellen Wahlen neu zu gestalten. Die Farbe der Opposition ist diesmal "weiß", also steht Weiß gegen das Rot der Chávez-Anhänger, oder, noch einfacher, reich gegen arm. Da die Regierung Chávez in den zurückliegenden zehn Jahren ihrer Amtszeit ihr Projekt, "bolivarische Revolution" genannt, nicht nur verteidigen, sondern zu einer erklärtermaßen sozialistischen Bewegung ausbauen konnte, ohne ihre Verankerung in der armen Mehrheitsbevölkerung des Landes zu verlieren, sind die Erfolgsaussichten ihrer Gegner, durch Provokationsstrategien einen "heißen Herbst" herbeizuführen, um die Regierung destabilisieren und letzten Endes die Verhältnisse nicht nur in Venezuela, sondern im ganzen, mehr und mehr linkslastigen Lateinamerika zum Tanzen bringen zu können, nicht eben groß.

[1] Frankfurter Allgemeine Zeitung am 12.09.1973, zitiert aus: Tod eines Mörders. Augusto Pinochet war nicht nur ein blutiger Diktator. Er bereitete auch dem Neoliberalismus den Weg, von Harald Neuber, telepolis, 11.12.2006

11. September 2009