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DILJA/1236: Mit der Lizenz zu töten? Gerüchte um US-Mordauftrag in Hamburg (SB)


Von "Find, fix und finish" will niemand etwas gewußt haben

Mutmaßlicher Tötungsauftrag der US-Söldnerfirma Blackwater von 2004 gegen in Hamburg lebenden Deutsch-Syrer produziert Erklärungsnöte


Am 4. Dezember 1975 wurde im Sheraton-Hotel in Washington eine denkwürdige Veranstaltung abgehalten. Senator Frank Church stellte die Ergebnisse eines US-Senatsausschusses vor, der unter seiner Leitung und aus Mitgliedern der seinerzeit regierenden Republikaner wie auch oppositioneller Demokraten gebildet worden war, um in monatelanger Kleinarbeit die Interventions- und Einmischungspolitik der CIA im Ausland zu untersuchen. Kurz zuvor war der 350 Seiten umfassende und die umfangreichen Mordkomplotte der CIA darlegende Untersuchungsbericht veröffentlicht worden, in dem schwarz auf weiß, wie Senator Church sich ausdrückte, der "Sumpf der amerikanischen Außenpolitik" nachzulesen ist. All dies, so beeilte sich der Senator zu betonen, sei ohne Wissen und Einverständnis des Kongresses geschehen. Er geißelte die geheime US-Mordpolitik gegen mißliebige ausländische Politiker und weitere völkerrechtswidrige CIA-Operationen mit klaren Worten: "Assassination ist nichts Geringeres als ein Akt des Krieges, und unsere Zielscheiben waren Führer von kleinen, schwachen Ländern, die wahrscheinlich die Vereinigten Staaten nicht bedrohen konnten." [1]

Der Untersuchungsbericht wie auch die Veröffentlichung seiner Ergebnisse führte zu Korrekturmaßnahmen seitens des damaligen US-Präsidenten Gerald Ford, der wenige Monate später ein Verbot politischer Morde durch die CIA oder andere US-Geheimdienste im Ausland erließ ganz so, als seien die von US-Diensten vorgenommenen gezielten Tötungen zuvor legal gewesen. Das von Ford erlassene Verbot wurde in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten von allen nachfolgenden US-Präsidenten übernommen, wobei die Frage, ob dies tatsächlich zu einem Einschnitt oder gar einer Beendigung der CIA-Tötungspolitik geführt habe, selbstverständlich noch überhaupt nicht aufgeworfen, geschweige denn beantwortet wurde. Das offizielle Verbot blieb bestehen bis zu den Ereignissen vom 11. September 2001, die ihrerseits in dem bis heute nicht ausgeräumten Verdacht stehen, mit Wissen oder gar Wollen der politisch Verantwortlichen in einem das Ausmaß vorheriger Operationen weit übersteigenden Geheimdienstkomplott inszeniert worden zu sein, um die USA in einen zeitlich wie räumlich unbegrenzten Kriegführungsstatus zu manövrieren.

Das Versprechen des CIA-Chefs William Colby von 1975, die seinerzeit aufgedeckten Enthüllungen über die Tötungspraxis der CIA seien "Angelegenheiten der Vergangenheit, Dinge, die ein neuer Geheimdienst ausgerottet und korrigiert hat" [1] sind damit endgültig null und nichtig geworden, ebenso Colbys Vision einer "neuen Rolle für Geheimdienste, die moderne amerikanische Regeln und Werte widerspiegelt". Der renommierte US-Journalist Seymour Hersh, der 1969 als erster über die Kriegsgreuel amerikanischer Soldaten im Vietnamkrieg berichtet hatte, sorgte im Jahre 2004 abermals für aus Sicht Washingtons unliebsame Enthüllungen. In seinem Buch "Die Befehlskette. Vom 11. September bis Abu Ghraib" erinnerte Hersh nicht nur an das "Phoenix"-Programm der CIA sowie der US Special Forces, durch das in Vietnam zwischen 1968 und 1972 knapp 41.000 Menschen ermordet wurden wegen des Verdachts, mit dem kommunistischen Norden zu kooperieren, sondern stellte klar, daß die Bush-Regierung nach 2001 abermals ein Programm ins Leben gerufen habe zur Tötung tatsächlicher oder auch nur vermeintlicher Gegner der USA in allen Teilen der Welt.

Hersh zufolge muß der Präsident den Kongreß über diese Aktivitäten der Special Forces nicht einmal informieren. Im Budget des Verteidigungsministeriums waren für das Jahr 2004 für diesen Posten 6,5 Milliarden US-Dollar ausgewiesen worden, was eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 34 Prozent bedeutete. Seinem Werk zufolge hat Präsident George W. Bush Ende 2001 oder Anfang 2002 ein "als streng geheim eingestuftes Dokument unterzeichnet", durch das das Pentagon ermächtigt wurde, "eine geheime Sondereinheit aus Angehörigen der Special Forces und anderen Elitesoldaten zu bilden", die mit der Aufgabe betraut wurden, unbeeinträchtigt von internationalen rechtlichen Vereinbarungen oder diplomatischen Anforderungen Feinde der USA, tituliert als hochrangige Al-Qaida-Mitglieder, aufzuspüren und zu töten. Dieses Dokument soll die Errichtung geheimer Verhörzentren in anderen Ländern, in denen die US-Ermittler an keine gesetzlichen Vorschriften gebunden seien, eingeschlossen haben, was angesichts dessen, was inzwischen über geheime Folterlager der CIA auch in Europa sowie die illegalen Folterflüge quer durch Europa bereits bekannt geworden ist und von offizieller Seite dokumentiert wurde, kaum noch bezweifelt werden kann.

Vor diesem Hintergrund dürften die Enthüllungen, die, basierend auf einer Veröffentlichung in der jüngsten Ausgabe des US-Magazins Vanity Fair, eigentlich nicht ein so großes Erstaunen und Entsetzen hervorrufen, wie sie es insbesondere bei bundesdeutschen Verantwortungsträgern allem Anschein nach getan hat. In einem mehrseitigen Bericht wird in dem Magazin dargelegt, daß die CIA im Jahre 2004 in einer geheimen Operation die Ermordung des deutsch-syrischen Kaufmanns Mamoun Darkazanli in Hamburg geplant und vorbereitet haben soll. Zu diesem Zweck sei eine Kommandotruppe der wegen ihrer Kriegsbeteiligung im Irak berüchtigten US-Söldnerfirma Blackwater - inzwischen in Xe-Services umbenannt - in die Hansestadt entsandt worden. Vanity Fair zufolge sei der Mordauftrag streng geheim gewesen, nicht einmal die CIA in Deutschland, geschweige denn deutsche Stellen, seien über das Blackwater-Kommando informiert gewesen.

Einer CIA-Quelle zufolge sei der Auftrag "find, fix and finish" letztendlich nicht ausgeführt worden, weil der politische Wille gefehlt habe. Gegen das potentielle Mordopfer hatte die Bundesanwaltschaft ihre eingeleiteten Ermittlungen im Juli 2006 eingestellt, weil kein hinreichender Tatverdacht gegen Darkazanli vorlag. Hätte es außer den Beschuldigungen, die schon Jahre zuvor gegen Darkazanli erhoben worden waren, konkrete Hinweise oder Indizien gegeben, hätten die deutschen Behörden ihre Ermittlungen sicherlich nicht eingestellt. Die CIA allerdings hatte den Deutsch-Syrer, weil er Kontakte zu den mutmaßlichen Attentätern vom 11. September wie auch zu den Drahtziehern der 1998 auf US-amerikanische Botschaften in Ostafrika verübten Anschläge gehabt haben soll, zu einen Al-Qaida-Finanzier erklärt. In Spanien wurde im September 2004 vom Amtsgericht Madrid ein Europäischer Haftbefehl gegen ihn erlassen, der allerdings nicht zur Auslieferung Darkazanlis führte, weil das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zur Umsetzung des EU-Haftbefehls 2005 für nichtig erklärte. Darkazanli, der neun Monate lang in Abschiebehaft genommen worden war, wurde, zumal ihm nichts nachgewiesen werden konnte, daraufhin freigelassen.

Die Vanity-Fair-Veröffentlichung beruht im wesentlichen auf Angaben des Blackwater-Söldnerchefs Erik Prince, der allem Anschein nach seine Loyalität gegenüber der US-Regierung aufgegeben und über geheime Operationen geplaudert haben soll. Demnach habe Blackwater zunächst sehr eng mit der CIA zusammengearbeitet und sei nach dem 11. September mit Kampfeinsätzen, Folterungen, Entführungen und gezielten Tötungen beauftragt worden. 2004 sei das Programm schließlich ganz auf Blackwater übertragen worden, sodaß von nun an nicht mehr CIA-Agenten, sondern private Killer im Auftrag der CIA tätig waren. Prince behauptet, Operationen des Killerprogramms aus eigener Tasche vorfinanziert zu haben und erst hinterher von der CIA bezahlt worden zu sein. Gegenüber Journalisten soll er erklärt haben, daß es darum gegangen sei, einen Kommandotrupp zu haben, der der US-Regierung nicht zugeordnet werden könne, und so hätte er sich bei etwaigen Problemen auch nicht an die US-Behörden wenden können.

Naturgemäß sind Behauptungen dieser Art ebenso schwer zu bestätigen wie zu widerlegen. Auf bundesdeutscher Seite wird die Veröffentlichung in dem US-Magazin allerdings so ernst genommen, daß es ganz den Anschein hat, als trauten deutsche Politiker ihren amerikanischen Verbündeten ohne weiteres ein solches Killerkommando zu. Weder Bundesregierung noch Bundesinnenministerium unternahmen auch nur den Versuch, den Inhalt der Veröffentlichung oder die Glaubwürdigkeit der CIA-Quelle in Frage zu stellen. Angeblich sei das Killerprogramm 2006 gänzlich eingeschlafen, weil sich, nicht zuletzt infolge der umfangreichen Enthüllungen über illegale CIA-Aktivitäten in Europa und dementsprechende Ermittlungen zuständiger Strafverfolgungsbehörden, keine Agenten mehr für solche Operationen bereitgefunden hätten; auch hätten CIA-Mitarbeiter vor dem Wahlsieg bzw. dem Amtsantritt Obamas die - wie sich inzwischen herausgestellt hat, unbegründete - Sorge gehabt, ob der neue Präsident sie vor strafrechtlicher Verfolgung schützen würde.

Dem Spiegel zufolge [3] haben weder Bundesregierung noch Bundesinnenministerium etwas von dem Mordkomplott in Hamburg gewußt. Wohlahnend, daß eine solche Erklärung in der Öffentlichkeit nicht unbedingt als glaubwürdig eingestuft werden könnte, zeigten sich die zuständigen Innenpolitiker bestürzt und betroffen. So erklärte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: "Wenn sich das bestätigt, war es nichts anderes als ein Mordkomplott." Wohl wahr. Kollege Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, zeigte sich ebenfalls bestürzt ("das wäre atemberaubend") und kündigte an, die Bundesregierung fragen zu wollen, welche Erkenntnisse ihr vorlägen. Die Antwort liegt allerdings schon vor, erklärten doch das Bundesinnenministerium wie auch die Hamburger Innenbehörde und das Landesamt für Verfassungsschutz, "keine Erkenntnisse" zu haben. Eine andere Antwort ist schwerlich zu erwarten, käme sie doch dem Eingeständnis der Mitwisserschaft an einem Mordkomplott und damit einer schweren Straftat gleich, da nach deutschem Recht selbstverständlich schon die Verabredung zum und jegliche Vorbereitungshandlung zu einem Mord strafbar ist.

Anmerkungen

[1] zitiert aus: Mord-Report - Der Staatsterrorismus der USA, von Ilse und Horst Schäfer, mit einem Vorwort von Arno Klönne, aus: Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Sonderdruck, Dezember 2001

[2] Bush auf Menschenjagd. Der Journalist Seymour Hersh analysiert in einem Buch die Mechanismen der geheimen US-Kriegführung, von Arnold Schölzel, junge Welt, 15.11.2004

[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,669986,00.html

6. Januar 2010