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DILJA/1241: Dammbruch in Chile - Pinochets politische Erben übernehmen Regierungsgewalt (SB)


Piñeras Wahlsieg stellt eine Zäsur für ganz Lateinamerika dar

Ehemaliger Pinochet-Gefolgsmann wird neuer Präsident Chiles


Chile 1973 - diese Worte haben bis heute einer politischen Chiffre gleich ihre mahnende und warnende Bedeutung nicht verloren, stehen sie doch für den militärischen Sturz der ersten sozialistischen Regierung eines südamerikanischen Staates und damit einer Hoffnungsträgerin in der gesamten Region. Salvador Allende von der Unidad Popular war auf demokratischem Wege ins Präsidentenamt gelangt und hatte umgehend damit begonnen, Chile auf dem Reformwege zu einem sozialistischen Staat zu machen. Die politischen Gegner Allendes, die keineswegs nur in den rechten Eliten Chiles, sprich der Unternehmerschaft sowie des Militärs, zu verorten waren, sondern auch in den Schaltzentralen führender westlicher Staaten, waren nicht im mindesten gewillt, die weitere Entwicklung Chiles abzuwarten und tatenlos zuzusehen, ob der Andenstaat womöglich zu einem sozialistischen Vorzeige- und Musterland, das auf dem gesamten Kontinent, wenn nicht auch in anderen Regionen der Welt unabhängig vom realexistierenden Sozialismus sowjetischer Prägung eine Sogwirkung hätte entfalten können, avancieren würde.

Das Vertrauen Allendes, der als demokratisch gewählter Präsident Chiles keineswegs einen konfrontativ antikapitalistischen Kurs eingeschlagen und chilenischen wie ausländischen Unternehmen zugesichert hatte, daß die neue sozialistische Regierung keineswegs ihre Enteignung betreiben würde, darauf, als rechtmäßige Regierung auf die Loyalität des Militärs sowie den politischen Schutz der westlichen Staaten vertrauen zu können, sollte sich als folgenschwerer Irrtum erweisen. Mit Wissen und Wollen der USA, aber auch europäischer Staaten und namentlich der Bundesrepublik Deutschland, wurde die Regierung Allendes am 11. September 1973 durch einen von General Auguste Pinochet geführten Militärputsch gestürzt, um der chilenischen Gesellschaft jeden Gedanken an die Gesellschaftsutopie Sozialismus auszutreiben. Das Land wurde einer Diktatur unterworfen, die 17 lange Jahre andauern sollte und keineswegs durch einen erfolgreich beendeten Widerstandskampf zu Fall gebracht, sondern in formal demokratische Verhältnisse übergeführt wurde.

Die Greueltaten der Pinochet-Junta waren und sind beileibe kein Geheimnis. In Chile wurde am 30. November 2004 von einer staatlichen Untersuchungskommission zu politischer Gefangenschaft und Folter (Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura) ein Bericht veröffentlicht, in dem belegt wurde, daß die Geheimpolizei des Pinochet-Regimes Menschen aufgrund des Verdachts, "links" zu sein, verschleppt, gefoltert und getötet hat und daß dies keineswegs nur in Ausnahmefällen geschah, sondern unter Beteiligung aller Teilstreitkräfte der Armee sowie von Polizei und Geheimdiensten systematisch durchgeführt wurde. Mitglieder und Anhänger der Regierung Allende, linker Parteien und Gewerkschaften wurden zu Zehntausenden Opfer einer bis dahin für lateinamerikanische Verhältnisse beispiellosen Repression. Die Putschisten schienen sich ihrer Rückendeckung durch die führenden westlichen Staaten so sicher zu sein, daß sie in aller Offenheit öffentliche Gebäude, Schulen und Sportstadien zu Konzentrationslagern für ihre politischen Gegner umfunktionierten. Allein im Estadio Nacional wurden 40.000 Menschen zusammengepfercht.

Der Terror Pinochets legte sich wie ein Alpdruck auf die gesamte Bevölkerung Chiles mit der Folge, daß rund eine Million Menschen wegen der politischen Verfolgung das Land verließen. Unmittelbar nach dem Putsch hatte General Pinochet, den die übrigen Mitglieder der Militärjunta am 17. Dezember 1974 zum Präsidenten ernannten, die Parteien der Unidad Popular verbieten lassen, den Kongreß aufgelöst und die Bürger-, Menschen- und politischen Rechte eingeschränkt. Die wichtigsten Ministerien wurden durch Militärs besetzt. Die Privatisierung verstaatlichter Unternehmen sowie die Reduzierung sozialer Ausgaben bewirkten das vermeintliche Wirtschaftswunder Chile, ein Paradebeispiel einer nach neoliberalen Grundsätzen bestimmten Wirtschaftspolitik, die den Reichtum der Reichen mehren und sichern sollte und dies auch tat, selbstverständlich zu Lasten der verarmten Bevölkerungsmehrheit.

Unter den Bedingungen der Diktatur wurde dem Land eine von Pinochets Hand zementierte Verfassung verpaßt, die 1980 in Kraft trat und dem Putschpräsidenten noch bis 1989 einen Verbleib im Amt ermöglichte, ohne je durch eine demokratische Wahl legitimiert worden zu sein. Dieser "Verfassung" zufolge wurde erst 1988 eine Volksabstimmung darüber abgehalten, ob Pinochet bei den Präsidentschaftswahlen von 1989 als alleiniger Kandidat antreten dürfe. Er durfte nicht, und so wurden am 11. März 1990 erste freie Wahlen abgehalten, aus denen Patricio Aylwin als Präsident hervorging. Pinochet hatte gleichwohl vorgesorgt. So ermöglichte ihm die von ihm maßgeschneiderte Verfassung, noch bis 1998 Oberkommandierender der Streitkräfte zu bleiben. Da sich die Militärführung mit dem Nationalen Sicherheitsrat (Consejo de Seguridad Nacional de Chile) ein Mittel geschaffen hatte, in die politische Führung einzugreifen und beispielsweise den Ausnahmezustand zu verhängen, kann nach 1990 von einer Diktatur in der Warteschleife gesprochen werden als kaum verhohlene Drohung, daß im Falle einer Linksentwicklung des Landes abermals das Militär intervenieren würde und dies laut Verfassung auch könne.

Pinochet blieb nicht nur bis 1998 Oberbefehlshaber, er hatte sich auch als Senator auf Lebenszeit eine politische Immunität verschafft. Bei einem Besuch in Britannien wurde er aufgrund eines von dem spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón wegen Völkermord, Staatsterrorismus und Folter erwirkten internationalen Haftbefehls von der britischen Polizei verhaftet, was in Chile zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Kritikern des Ex-Diktators führte. Der damalige Präsident, der Christdemokrat Eduardo Frei Ruiz-Tagle von dem seit dem Putschende regierenden Parteienbündnis Concertación, der dieses Amt von 1994 bis 2000 innegehabt hat und der bei den jetzigen Präsidentschaftswahlen erneut für die Concertación kandidiert, in der Stichwahl jedoch verloren hat, forderte zu jenem Zeitpunkt die Freilassung Pinochets, um ihn vor ein chilenisches Gericht bringen zu können.

Britische Gerichte befaßten sich mit der Frage der politischen Immunität des ehemaligen chilenischen Juntachefs, dem im April 1999 nach einer Entscheidung des damaligen britischen Innenministers Jack Straw die Auslieferung an Spanien drohte. Plötzlich traten als Fürsprecher Pinochets nicht nur die chilenische Regierung Freis hervor, die "aus humanitären Gründen" dessen Freilassung erbat, sondern auch die US-Regierung und der Vatikan, die ebenfalls die Freilassung des Ex-Diktators verlangten und sich damit als seine politischen Verbündeten zu erkennen gaben. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wurde Pinochet am 2. März 2000 freigelassen. Bei seiner Ankunft in Santiago de Chile wurde er von Tausenden Anhängern begeistert empfangen.

Die juristische Verfolgung seiner Verbrechen blieb letzten Endes ohne Ergebnis. Als gegen den unter Hausarrest gestellten Ex-Diktator am 29. Januar 2001 Anklage erhoben wurde, gab es eine Protestwelle der Generäle sowie von Politikern der beiden Parteien der äußersten Rechten, die schon die Junta unterstützt hatten, nämlich der "Unión Democrata Independiente" (UDI) und der "Renovación Nacional" (RN). Im Juli 2001 erklärte ein Gericht Pinochet für verhandlungsunfähig, womit die juristische Verfolgung der unter der Diktatur begangenen Verbrechen im Ansatz beendet wurde. Die Aufhebung der Immunität Pinochets wurde im September 2005 vom obersten Gericht Chiles bestätigt. Pinochet starb, ohne je zur Verantwortung gezogen worden zu sein, am 10. Dezember 2006. General Pinochet hatte keine Veranlassung gesehen, seine Taten zu leugnen, wußte er doch, wie sehr die militärische Zerschlagung des Versuchs einer linken Regierung, eine sozialistische Gesellschaft zu entwickeln, weltweit auf die keineswegs nur klammheimliche Zustimmung der gesamten kapitalistischen Staatenwelt stoßen würde.

In einer 1998 von der Pinochet-Stiftung verbreiteten Erklärung des Generals bedauerte dieser zwar jeden Chilenen, der in diesen Jahren sein Leben verloren habe, rechtfertigte den Putsch jedoch in vollem Umfang. Er habe Chile vor einem Bürgerkrieg gerettet und davor bewahrt, in die Abhängigkeit der Sowjetunion zu geraten, so der General, der noch dazu diejenigen, die den Marxismus gepredigt hätten, für alles Übel verantwortlich machte. Die Lesart, daß der Putsch zwar schrecklich gewesen sei, aber einem so hochrangigen Zweck gedient hätte, daß Folterungen und Morde an Andersdenkenden und Oppositionellen eine läßliche Sünde darstellen, wurde und wird noch heute von maßgeblichen politischen Kreisen führender westlicher Staaten vertreten. Am Tag nach dem Putsch hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung [1] dies beispielhaft auf den Punkt gebracht:

Den Versuch, einen dogmatisch-doktrinären, marxistischen Sozialismus auf demokratischem Wege einzuführen, hat Chile mit schweren wirtschaftlichen und politischen Schäden teuer bezahlen müssen. Anarchie und Chaos breiteten sich in den letzten Wochen immer schneller aus. Im Augenblick der höchsten Gefahr konnten sich die Streitkräfte ihrer Verantwortung nicht mehr länger entziehen. Die politischen Spannungen, die Allendes mißglücktes Volksfrontexperiment in Chile erzeugt hatten, drängten mit Macht zur Entladung.

Die Pinochet-Diktatur und ihr schweres politisches Erbe sind aus dem heutigen Chile nicht wegzudenken und bestimmen das politische Geschehen weit mehr, als es vielleicht den Anschein hat. Dies betrifft die sogenannte Concertación, ein Parteienbündnis der Parteien, die sich zur Demokratie bekannten im Gegensatz zu dem aus den beiden Pinochet-unterstützenden Parteien des Rechtsbündnisses, das bei den jüngsten Wahlen als "Alianca por Chile" (Allianz für Chile) gewonnen hat. In der Concertación vereinigten sich in der Post-Pinochet-Ära Parteien, die hierzulande als politische Gegner in Gestalt der beiden großen Volksparteien SPD und CDU in Erscheinung treten, nämlich die sozialistische "Partido Socialista" (PS) der noch amtierenden Präsidentin Michelle Bachelet Jeria, die christdemokratische "Partido Demócrata Cristiano" (PDC) des früheren Präsidenten und nun unterlegenen Kandidaten Eduardo Frei Ruiz-Tagle, sowie die "Partido por la Democracia" (PPD) und die "Partido Radical Socialdemócrata" (PRSD).

Wie groß die politischen Gegensätze innerhalb der Concertación, deren primäre Funktion darin bestand, einen politischen Neuanfang nach innen und außen glaubwürdig zu machen ungeachtet der hinterlassenen politischen Weichenstellungen, die das nun demokratische Chile nach wie vor bestimmten, tatsächlich gewesen sein müssen, läßt sich aus den gegensätzlichen Reaktionen ihrer Repräsentanten in Hinsicht auf den Wahlsieg des Pinochet-Erben Sebastián Piñera ablesen. Michelle Bachelet, die sich bei der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl von 2005 mit 53,4 Prozent der Stimmen klar gegen den jetzigen Wahlsieger, den Kandidaten der "Renovación Nacional" (RN) Piñera durchsetzen konnte, hatte ihre Stimme zugunsten Freis erhoben und davor gewarnt, daß mit einem Wahlsieg Piñeras zum ersten Mal seit dem Ende der Diktatur wieder die Parteien an die Regierungsmacht kämen, die Pinochet unterstützt hatten. Bachelet selbst konnte wegen der aus der Zeit der Diktatur stammenden Verfassung, mit der durch das Verbot einer zweiten Kandidatur eines amtierenden Präsidenten ein starker Präsident wie Allende verhindert werden sollte, nicht erneut antreten. Ihr wäre ein Wahlsieg wohl sicher gewesen, werden ihr doch in Meinungsumfragen Zustimmungswerte von 80 Prozent zugeschrieben.

Bachelet steht klar im Lager der Pinochet-Gegner, war sie doch selbst zur Zeit der Diktator von der Junta verfolgt worden. Die sozialistische Politikerin hatte, nachdem auch sie in einem Stadion interniert worden war, in der damaligen DDR Aufnahme gefunden. In ihrer Regierungszeit hatte sie einen vorsichtig sozialistischen Kurs verfolgt, stets ausgebremst durch die immer stärker eine politische Bremswirkung entfaltenden konservativen Kräfte innerhalb der Concertación, die der behutsamen Annäherung Chiles an die von den linken Staaten Lateinamerikas initiierten Kurs der politischen Kooperation mit Argusaugen verfolgten. Bachelet hatte sich in Hinsicht auf die Grenzstreitigkeiten Chiles mit den Nachbarstaaten Bolivien und Peru gesprächs- und vor allem auch kooperationsbereit gezeigt und damit eine Entwicklung eröffnet, die der neue Machthaber sofort beenden wird.

In seiner Siegesrede am vergangenen Sonntag hatte Piñera nicht nur nationalchauvinistische Töne angeschlagen, die, so sie aus dem Munde des künftigen Präsidenten Chiles stammen, eigentlich weltweite Proteste hätten auslösen müssen gemessen an dem demokratischen Anspruch der sogenannten internationalen Gemeinschaft, indem er ankündigte, die besten Politiker, die Chile "zum besten Land der Welt machen sollen", in sein Kabinett zu holen. Schon während des Wahlkampfes hatte es in Chile öffentliche Kontroversen gegeben ausgelöst durch die in einem Interview gemachte Ankündigung Piñeras, ehemalige Funktionäre des Pinochet-Regimes in seine Regierung aufnehmen zu wollen. Der Milliardär Piñera, der in der Zeit der Diktatur und der in ihr geschaffenen wirtschaftsliberalen Bedingungen den Grundstock für sein immenses Vermögen legen konnte, hatte wie nur wenige Anhänger und Profiteure Pinochets schon während des sich abzeichnenden Endes der Diktatur die Zeichen der Zeit erkannt.

So kann seine 1987 gegründete Partei "Renovación Nacional" (RN, Nationale Erneuerung) personell und inhaltlich als die politische Erbin der Nationalpartei (PN), die 1973 offen den Putsch unterstützt hatte, bewertet werden. In das Wahlbündnis der äußersten Rechten ist neben der RN auch die aus zahlreichen Pinochet-Anhängern 1983 gegründete "Unión Democrata Independiente" (UDI, Unabhängige Demokratische Union) eingetreten. 1988 hat Piñera als einer der wenigen Rechtspolitiker öffentlich angekündigt, bei dem 1989 für das Ende der Diktatur abgehaltene Plebiszit gegen einen Verbleib Pinochets im Präsidentenamt stimmen zu wollen. Damit hat er sich als Wendepolitiker der rechten, stramm antikommunistischen und antisozialistischen Linken für weitere Aufgaben empfohlen, auch wenn dieser Schachzug nicht im mindesten Anlaß bietet anzunehmen, Piñera habe einen inhaltlichen Bruch mit den Positionen Pinochets vollzogen.

Piñera wird, da er am 17. Januar die Stichwahl um das Präsidentenamt gegen den christdemokratischen Kandidaten der Concertacion, Eduardo Frei, mit 51,87 Prozent klar gewonnen hat, am 11. März Michelle Bachelet ablösen. Im Unterschied zur scheidenden sozialistischen Präsidentin hat Frei den Wahlsieg Piñeras nahezu mitgefeiert. Er gratulierte seinem vermeintlichen Widersacher überschwenglich, umarmte ihn vor laufenden Kameras und trat mit diesem gemeinsam vor die Mikrophone. Der christdemokratische Ex-Präsident tat das ihm maximal Mögliche, um den politischen Pinochet-Erben nach Kräften vom Ruch der blutigen Diktatur freizuhalten und öffentlich aufzuwerten. Beide demonstrierten eine Geschlossenheit, die eine weitaus größere politische Nähe Freis zu Piñera als zur scheidenden Präsidentin Bachelet offenbart. "Ich bin mir sicher, daß die Opposition eine kooperative und konstruktive Rolle spielen wird", versprach Frei dem Wahlsieger die politische Unterstützung zumindest seiner Partei, was dieser, da damit die Concertación im Grunde bereits aufgekündigt wurde, zu schätzen wußte und mit den Worten honorierte: "Wir werden eine Regierung der nationalen Einheit bilden, um die Mauern einzureißen, die uns trennen."

Was eine solche Ankündigung in einem Land wie Chile aus dem Munde eines Politikers und künftigen Präsidenten, der in Pinochet den Erretter des Landes vor dem Kommunismus in Ehren hält, bedeutet, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Allerdings wurden in den westlichen Medien in diesem Punkt bereits Scheuklappen angelegt, die nicht minder aussagekräftig und besorgniserregend sind wie der erste Wahlsieg eines Pinochet-Erben seit dem Ende der Diktatur. So meldete beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung unter Verwendung einer ddp-Meldung am Tag nach der Stichwahl [2]:

Mit dem Sieg des konservativen Milliardärs Sebastian Piñera bei der Präsidentenwahl geht in Chile eine seit dem Sturz der Pinochet-Diktatur andauernde 20-jährige Ära von Linksregierungen zu Ende. Es ist ein demokratischer Wechsel, der von der Zerstrittenheit des linken Spektrums begünstigt wurde, das sich in der ersten Runde mit zwei Kandidaten gegenseitig Konkurrenz machte.

Expräsident Eduardo Frei kam zwar in die Stichwahl am Sonntag, die Wechselstimmung im chilenischen Volk schlug aber nicht mehr um: Der linke Kandidat erkannte schon in der Wahlnacht seine Niederlage an.

Den Christdemokraten Frei zu einem "linken" Kandidaten zu erklären, kommt einem Treppenwitz der Geschichte gleich und bezeugt zugleich den unübersehbaren Versuch, den fundamentalen Rechtsruck in Chile in die Fahrwasser eines politischen Konsenses zu führen. Um Piñera als einen "konservativen" Politiker bezeichnen zu können, worunter sich der hiesige Medienkonsument vielleicht einen Parteigänger von CDU oder CSU vorstellen mag ganz so, als wären deren politische Verwandte in Chile nicht in der Concertación (gewesen), müssen ganz einfach alle "links" von ihm stehenden Politiker zu "Linken" erklärt werden, auch wenn es sich bei ihnen um gestandene Christdemokraten handelt. Die Gründe für eine solche Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes liegen auf der Hand und lassen sich an der unverblümten Kampfansage des designierten Präsidenten an die Adresse der linken Regierungen Lateinamerikas schnell aufschlüsseln.

Im Wahlkampf hat Piñera offen gegen den, wie er es nennt, "lateinamerikanischen Populismus" gewettert und diesen für gescheitert erklärt. Da dieser Begriff zur Diskreditierung all jener Staaten, die ihren Auftrag, die Reichtümer ihrer Länder zum Nutzen der gesamten Bevölkerung einzusetzen und nicht zur Mehrung bestehender Privilegien, ernst nehmen, auch in den USA sowie den EU-Staaten weit verbreitet ist, liegt auf der Hand, daß das von Piñera regierte Chile ein Aktivposten im Kampf dieser Staaten gegen die gesamte Linksentwicklung Lateinamerikas werden wird. Der künftige Regent Chiles hat nicht nur, an die Adresse der Nachbarstaaten Bolivien und Peru gerichtet, erklärt, daß in seiner Präsidentschaft auf keinen Fall Land oder Seegebiete aufgegeben werden, auf die andere Staaten Anspruch erheben. Er hat schon im Wahlkampf verlauten lassen, daß Kuba eine Diktatur und Venezuela "keine Demokratie" seien.

Präsidentin Bachelet hatte in Kooperation mit diesem Venezuela, aber auch mit Brasilien und Argentinien den Prozeß der lateinamerikanischen Integration vorangetrieben, womit ein Entwicklungsprozeß bezeichnet wird, der für die Elite kapitalistischer Staaten schlichtweg inakzeptabel ist, weil er nicht darauf beruht, daß jeder (Staat) bestrebt ist, sein nationales Wohl gegen andere (Staaten) zu behaupten und durchzusetzen. "Integration" bedeutet in diesem Zusammenhang, daß gerade auch die ärmsten Staaten des Kontinents, wie etwa das Bolivien unter Präsident Morales, von ihren Nachbarn und ALBA-Partnern so unterstützt werden, daß sie eine eigenständige Entwicklung machen können. Unter Piñera wird es mit der Zusammenarbeit Chiles mit den an diesem Prozeß beteiligten Staaten vorbei sein. Dabei hatte Chile eine nicht unwesentliche Rolle bei der Gründung eines südamerikanischen Verteidigungsrates gespielt, der im Frühjahr 2009 in Santiago de Chile gegründet worden war.

Chiles Präsidentin Bachelet hatte bis Mai der 2008 in Brasilien gegründeten Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) als Präsidentin vorgestanden, einer Gemeinschaft von zwölf unabhängigen Staaten Südamerikas, die sich in ihrer Gründungsurkunde dem Kampf gegen Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Hunger, Armut und Unsicherheit verschrieben haben. Zur Gründung eines gemeinsamen Verteidigungsrates hatte die damalige chilenische Regierung erklärt, dessen Ziel sei, "als ein Mechanismus zur Integration zu fungieren, der es ermöglicht, die verteidigungspolitischen Realitäten und Herausforderungen der südamerikanischen Länder zu diskutieren, Konflikte und Mißtrauen zu reduzieren und die Grundlage für die künftige Ausformulierung einer gemeinsamen Politik zu legen." Zu dem Dammbruch, der mit dem Wahlsieg Piñeras in Chile weiter Gestalt angenommen hat, gehört neben den massiven sozialen und demokratischen Einschränkungen, die für das Land selbst zu erwarten stehen, auch ein Wechsel der Fronten in diesem hochbrisanten politischen Konflikt um die Zukunft Lateinamerikas, der aufgrund der militärischen Einkesselung Venezuelas und der generellen Aufrüstung der US-Streitkräfte in dieser Region das Potential in sich trägt, von seiten und im Interesse der westlichen Staaten in einen Krieg übergeführt zu werden.

Anmerkungen

[1] zitiert aus: Tod eines Mörders. Augusto Pinochet war nicht nur ein blutiger Diktator. Er bereitete auch dem Neoliberalismus den Weg, von Harald Neuber, telepolis, 11.12.2006

[2] Piñera beendet Ära der Linksregierungen in Chile. Konservativer Milliardär gewinnt Präsidentenstichwahl, NZZ Online, 18. Januar 2010, 10:32

20. Januar 2010