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DILJA/1246: Griechenland - Präzedenzfall für den Sozialkrieg von oben nach unten (SB)


Teile und herrsche in der EU - was in Griechenland durchexerziert wird, droht auch den Bevölkerungen der übrigen Mitgliedstaaten

Wütende Proteste in Griechenland gegen den stärksten EU-Staat Deutschland


Mit den Worten "Europa ist eine Solidargemeinschaft" beantwortete Luc Frieden, der Finanzminister Luxemburgs, die Frage nach der möglichen Unterstützung der Europäischen Union für das in Finanznöten steckende Griechenland. "Wir werden nicht zulassen, daß Griechenland ein Risiko für den Euro-Raum wird", meinte Frieden durchaus doppeldeutig, da diesen Worten keineswegs die Bereitschaft zu entnehmen ist, im Rahmen der EU der griechischen Regierung mit umfangreichen Krediten unter die Arme zu greifen. Diese Worte sind, und so dürften sie auch gemeint sein, als Kampfansage an Athen zu verstehen und stellen in erster Linie klar, daß die Eigeninteressen der die gesamte EU bzw. die Euro-Zone dominierenden stärksten Mitgliedstaaten in der aktuellen, angeblich nur Griechenland oder bestenfalls noch die übrigen südeuropäischen EU-Mitglieder betreffenden Finanzkrise an erster und alleiniger Stelle stehen.

Zwar ließ der luxemburgische Finanzminister gleichwohl durchblicken, daß die Euro-Länder Griechenland notfalls auch mit Geld aushelfen würden, doch wesentlich mehr Gewicht dürfte den Worten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel beizumessen sein, die unmißverständlich die Position Berlins und Brüssels mit den Worten auf den Punkt gebracht hat, daß es nun einmal Bedingungen (des Stabilitäts- und Währungspaktes) gäbe, die eingehalten werden müßten. Damit reproduziert die Kanzlerin das Credo neoliberaler Positionen, bei dem dem wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebegriff "Währungsstabilität" oberste und alleinige Priorität eingeräumt wird, so als hätte die damit verknüpfte Lösungsstrategie, alle ungelösten und womöglich unlösbaren Probleme weltweit, im Rahmen der EU und somit natürlich auch in Deutschland in den Griff bekommen zu können, wenn nur die "Währungsstabilität" gewahrt bzw. hergestellt werden könne, auch nur die geringste Bodenhaftung.

Griechenland steht als einer der schwächsten EU-Staaten am Pranger einer Brüsseler Bürokratie nicht etwa, weil die Athener Regierung tatsächlich, wie ihr zum Vorwurf gemacht wird, jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt und das Land und seinen Staatshaushalt in den finanziellen Ruin getrieben hätte, den es nun, und sei es mit härtesten, also gegen die Bevölkerung gerichteten Maßnahmen, wieder auf den EU-Stabilitätskurs zu bringen gelte. Dieser ist ohnehin eine Luftblase und kann nur greifen und zu zwangsadministrativen Maßnahmen herangezogen werden unter der unbewiesenen und ihrer Natur nach unbeweisbaren Annahme, es könnte per se so etwas wie einen soliden Haushaltskurs geben, ein gesundes Gleichgewicht zwischen staatlichen Einnahmen und Ausgaben und als könnte, so dies erst einmal hergestellt sei, auch der Berg angehäufter Staatsschulden abgetragen und beglichen werden.

Wie absurd die Vorstellung, Schulden könnten zurückgezahlt werden, weil ihnen ein realer Gegenwert auf der Seite wirtschaftlicher Produktionsabläufe gegenüberstünde, tatsächlich ist, könnte ein kurzer Blick in die Haushaltsplanungen der USA veranschaulichen. Für das laufende Haushaltsjahr 2010 wurde die Obergrenze für die Neuverschuldung gegenüber dem Vorjahr um 1.900 Milliarden US-Dollar auf 14,3 Billionen US-Dollar erhöht. Von den Ausgabenkürzungen, die durch diese Neuverschuldungsbegrenzung erzwungen wird, bleibt als Garant US-amerikanischer Hegemonie das Militär selbstverständlich ausgeschlossen.

Die Staatsschuldenquote - so wird das Verhältnis aller Staatsschulden zum jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP), also salopp gesagt der Wirtschaftskraft eines Staates, genannt - steigt seit der sogenannten Finanzkrise von 2007 in nahezu allen Staaten rapide an. Nach Angaben der OECD lag diese Quote nach 2007 in Griechenland bei 19,4 Prozent, doch auch in anderen Staaten, die keineswegs in eine Lage manövriert wurden, in der ihnen der Staatsbankrott zu drohen scheint, wurde sie in vergleichbarer Höhe oder höher beziffert (Frankreich 22,6 Prozent, USA 30,6 Prozent, Japan 30,1 Prozent und Britannien 36,2 Prozent).

Gegenüber Griechenland wird das häßliche Wort "Bilanzfälschung" ins Spiel gebracht und zu einer Diskreditierung durch führende internationale Medien wie auch namhafte EU-Politiker genutzt, ohne daß dabei je die Gegenprobe aufgemacht wird. So soll die US-Investmentbank Goldman Sachs 2001/2002 der griechischen Regierung geholfen haben, die Staatsschulden herunterzurechnen - mit Wissen der EU, deren Währungskommissar Joachín Almunia 2005 den Deal überprüfen lassen wollte, damit jedoch am Einspruch von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso scheiterte. Die am 1.1.2001 erfolgte Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone lag im Interesse der führenden EU-Staaten und damit insbesondere auch Deutschlands, ermöglichte die gemeinsame Währung doch in zugespitzter Weise einen Wirtschafts- und Sozialkampf der stärkeren Mitgliedstaaten gegen die schwächeren Peripheriestaaten, zu denen Griechenland fraglos gehörte und gehört.

Von der EU bzw. der Euro-Zone als einer "Solidargemeinschaft" zu sprechen, könnte kaum fehlangewandter sein, so darunter eine faktische Unterstützung der schwächeren durch die stärkeren Staaten verstanden wird. Umgekehrt wird jedoch ein Schuh draus: Die ohnehin stärkeren EU-Staaten können ihre Vormachtstellung mit Hilfe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) zu Lasten der schwächeren "Partner" ausbauen und festigen. In der gegenwärtigen Krise, die keineswegs eine griechische ist, wird dies besonders augenfällig in den Spannungsverhältnis zwischen Griechenland und Deutschland, das seinen nicht unbeträchtlichen Einfluß in Brüssel und anderswo stets geltend gemacht hat, um den härtestmöglichen Kurs gegen Griechenland durchzusetzen. Solidarität im klassischen Wortverständnis sieht gewiß anders aus, und so werden in Griechenland selbst in konservativen Kreisen gegenüber Deutschland kritische und zornige Stimmen laut.

Das hochverschuldete Griechenland weist eine Gesamtverschuldung von 300 Milliarden Euro auf und wurde bekanntlich durch die niedrigere Bewertung der Rating-Agenturen in eine Abwärtsspirale manövriert, die die bestehenden Finanzprobleme noch potenziert. Italien hingegen, obwohl mit insgesamt fast zwei Billionen Euro verschuldet, wird von den Rating-Agenturen nach wie vor als stabil eingestuft und mit "A" bewertet. Da Japan, der mit einer Staatsschuldenquote von 200 Prozent am höchsten verschuldete Industriestaat, im Gegensatz zu Griechenland keineswegs als potentieller Pleitegeier gehandelt wird, liegt auf der Hand, daß die Rating-Agenturen im Verbund mit Finanzwelt und Brüsseler Bürokratie das Geschäft ganz bestimmter Kreise und Interessengruppen betreiben. Ein Geschäft, von dem sich mit größter Sicherheit vor allem eines sagen läßt: es läuft den Lebens- und Überlebensinteressen der Bevölkerung Griechenlands wie auch der aller übrigen EU- bzw. Euro-Staaten diametral entgegen.

Auch in Sachen Bilanzmanipulation ist die EU dem "kleinen" Griechenland über. So werden beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland die Mittel des "Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung" (Soffin), wohinter sich die immensen Gelder verbergen, durch die "systemische" Banken "gerettet" werden, praktischerweise aus dem offiziellen Bundeshaushalt herausgehalten. Mit Wissen und Zustimmung der EU halten es die übrigen Mitgliedsstaaten genauso, sie weisen ihre Bankenrettungsausgaben in ihren Haushalten gar nicht erst aus. So konnten in Deutschland 100 Milliarden Euro aus Steuergeldern allein in die als "systemisch" deklarierte Hypo Real Estate (HRE) fließen und damit, neben der Deutschen Bank, der Allianz sowie der weiteren Pleitebanken Commerbank und Eurohypo, in eine der deutschen Banken, die sich stark in Griechenland "engagiert" haben. Die inzwischen verstaatlichte HRE, die rund 10 Milliarden Euro in griechische Staatsanleihen investiert hat, weigert sich in der derzeitigen Krise, noch weitere griechische Anleihen zu kaufen.

Auch hier macht sich der lange Arm der deutschen Bundesregierung bemerkbar, die sich offensichtlich auf Griechenland eingeschossen hat und eine Entwicklung vorantreibt, die Griechenland nicht nur zu einem Armenhaus, sondern zu einem entmündigten und seiner staatlichen Souveränität weitgehend beraubten Präzedenzfall eines von oben nach unten geführten Sozial- und Wirtschaftskrieges machen wird. Die davon betroffenen Menschen nicht nur in Griechenland, sondern auch in allen anderen gefährdeten EU-Staaten und selbstverständlich auch in Staaten wie Deutschland täten gut daran, sich diesem Prozeß aktiv entgegenzustellen und nicht abzuwarten, bis auch ihre Staaten nach dem Muster der an Griechenland durchexerzierten Zwangsverwaltung faktisch von Brüssel übernommen werden.

Die Sprache, die von der herrschenden Elite Deutschlands und den ihr zuarbeitenden Medien an die Adresse der Griechen gerichtet heute schon gesprochen wird, muß dringend rückübersetzt und übertragen werden. Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut beispielsweise forderte Maßnahmen in bzw. gegen Griechenland, die "richtig weh tun", während Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel für Griechenland, das bei mit deutschen Verhältnissen vergleichbaren Lebenshaltungskosten ein erheblich niedrigeres Lohnniveau und damit schon heute eine noch weitaus größere Armut aufweist, eine "deutliche Senkung der Reallöhne" anmahnt, um "den Wettbewerb anzukurbeln".

Wettbewerb darf und muß hier übersetzt werden mit "Ausbeutung", denn selbstverständlich stecken gezielte Pläne und konkrete Absichten seitens der EU und der sie dominierenden Kern-EU-Staaten hinter dem Brüsseler Vorgehen gegen Griechenland. Die finanziellen Daumenschrauben gegenüber der Regierung Papandreou, die ihre Bereitschaft, den verlangten weiteren Sozialabbau durchzuführen, bereits unter Beweis gestellt hat, sollen noch weiter angezogen werden. Der eintägige Generalstreik der vergangenen Woche hat zwar angedeutet, zu welchem Widerstand die griechische Bevölkerung in der Lage wäre, so sie ihn denn bedingungslos, etwa durch einen unbefristeten Generalstreik, führte, doch Anzeichen für eine derartige Eskalation des sozialen Krieges gibt es derzeit nicht. Die Signale wurden in Brüssel allem Anschein nach entsprechend gedeutet: Da die gewerkschaftlich organisierten Massenproteste das Maß dessen, was die Athener Regierung zu kontrollieren und zu begrenzen imstande ist, nicht überschritten hat, wird sofort noch einen Gang höher geschaltet: "Wir denken schon, daß zusätzliche Maßnahmen von Griechenland erforderlich sind", erklärte der deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen.

2. März 2010