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DILJA/1296: Halbgares Dementi Washingtons zu Interventionsabsichten gegen Venezuela (SB)


Gefahr einer Venezuela möglicherweise drohenden Militärintervention immer noch akut

Dementis aus Washington und Bogotá wirken wie taktische Manöver


Die Wölfe scheinen Kreide gefressen zu haben. Nachdem die venezolanische Regierung durch Präsident Chávez am vergangenen Samstag unverblümt davon gesprochen hatte, daß die USA eine auf einen Regierungssturz abzielende militärische Intervention gegen Venezuela planen würden, erfolgte am Montag bei der täglichen Pressekonferenz des US-Außenministeriums durch Außenamtssprecher Philip J. Crowley ein fadenscheiniges Dementi. Die venezolanischen Streitkräfte, so Crowley, hätten keinen Grund, wegen der Politik Washingtons in Alarmbereitschaft zu sein. Zur Begründung führte der Sprecher an: "Wir haben nicht die Absicht, eine militärische Aktion gegen Venezuela zu unternehmen." [1] Eben dies ist genaugenommen auch nicht die Befürchtung, die Caracas in der vergangenen Woche zum Anlaß nahm, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Nachbarland Kolumbien vollständig abzubrechen. Das Dementi Crowleys ist insofern nicht im mindesten geeignet, zur Deeskalation der Situation beizutragen, zumal die venezolanische Regierung keineswegs von einem direkten militärischen Angriff seitens der US-Streitkräfte ausgeht, sondern Washington und Bogotá gleichermaßen vorwirft, in einer konzertierten Aktion eine Intervention gegen Venezuela vorzubereiten, die von der kolumbianischen Armee durchgeführt werden würde.

Die Regierung in Caracas geht davon aus, daß der mögliche Aggressor Kolumbien alles nur Erdenkliche tun wird, um in der lateinamerikanischen Welt sowie vor der Weltöffentlichkeit nicht als Angreifer dazustehen, zumal dies die Situation für die USA, denen Venezuela vorwirft, eine durch Kolumbien durchgeführte Intervention mittelbar zu unterstützen, im Falle des Falles erheblich erschweren würde. Dabei bedienen sich die kolumbianische wie auch die US-amerikanische Regierung derselben Sprachregulierung, um die mit vereinten Kräften vorangetriebene Militarisierung der Region zu rechtfertigen als Antiterror- bzw. Antidrogenkampf. Dieser Lesart blieb die scheidende Regierung Kolumbiens unter Präsident Uribe treu, als sie angesichts der aktuellen Krise in den Beziehungen zu Venezuela durch Außenminister Jaime Bermúdez erklären ließ, daß Kolumbien keinerlei feindselige Absichten gegen das Nachbarland hege und einzig und allein in den FARC-Rebellen sowie dem Drogenhandel den Feind sähe.

Genau dies stellt jedoch die propagandistische Schiene dar, die die gegenwärtige Krise ausgelöst hat. Im Rahmen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatten die Vereinigten Staaten in der vergangene Woche ihren Einfluß geltend gemacht, um - entgegen der Positionen der mehrheitlichen Mitglieder - mit der von Kolumbien beantragten Dringlichkeitssitzung wegen der schweren, von der Regierung Uribe gegen Caracas in Stellung gebrachten Vorwürfe ein Forum zu liefern, das sich für eine weitergehende Eskalationsstrategie eignet. Die jetzige Erklärung des kolumbianischen Außenministers Bermúdez, sein Land verfolge gegenüber Venezuela keinerlei feindliche Absichten, ist ebensowenig glaubwürdig wie das US-amerikanische Dementi plausibel, da Bogotá im Kernstreitpunkt nicht im mindesten einzulenken bereit ist oder auch nur anerkennt, daß die in der OAS-Sitzung vorgelegten vermeintlichen Beweise alles andere als überzeugend und, wie die kolumbianische Seite selbst einräumen mußte, nicht einmal aktuell sind.

So zeichnet sich ab, daß eine möglicherweise in gar nicht so ferner Zukunft bevorstehende und unter Umständen längst beschlossene Militärintervention gegen Venezuela von ihren Betreibern und Initiatoren mit größter Sorgfalt als Maßnahme dargestellt werden würde, die einzig und allein der Ausschaltung der angeblich auf venezolanischem Gebiet befindlichen FARC-Rebellen gelten würde. Das US-amerikanische Außenministerium ließ derweil noch verlauten, Venezuela nicht angreifen zu wollen, weil die USA auch in Zukunft noch Öl aus dem Land kaufen wollen würden. Präsident Chávez hatte zuvor deutlich gemacht, daß sein Land den Ölexport in die USA sofort und vollständig einstellen würde, sollte Venezuela angegriffen werden - was selbstverständlich auch dann der Fall sein wird, wenn die befürchtete Intervention von Kolumbien aus erfolgen würde. Damit hat Caracas den Spiegelfechtereien darüber, wer wohl kriegerische Absichten gegen Venezuela hege, Kolumbien und/oder die USA, einen Riegel vorgeschoben, weil die Waffe Öl-Lieferstop die USA als mutmaßlichen Drahtzieher in jedem Fall treffen würde.

Nach Informationen, die Präsident Chávez selbst von einer bislang unidentifizierten, laut Chávez glaubwürdigen Quelle in den USA am vergangenen Freitag in einem geheimen Memo erreicht haben [2], stellen die jüngsten Ereignisse Bestandteile eines Planes zum Sturz seiner Regierung dar. Mit der Hilfe Kolumbiens sei dieser Plan von seiner Vorbereitungs- in seine Ausführungsphase übergeleitet worden. Kolumbien und die USA hätten sich, diesem Chávez zugespielten und von ihm verlesenen Dokument zufolge darauf verständigt, seine Regierung zu stürzen. Die militärischen Aufrüstungsmaßnahmen der US-Streitkräfte in der Region - nicht nur mit Kolumbien und Costa Rica, auch mit Honduras, Peru und Panama hat Washington Vereinbarungen über die Errichtung US-amerikanischer Stützpunkte getroffen - dienten dem eigentlichen Zweck, militärische Maßnahmen gegen Venezuela zu unterstützen.

Der anonyme Informant aus den USA habe desweiteren darauf aufmerksam gemacht, daß die Aggression als Drogenbekämpfung ausgewiesen werden würde. Nach Ansicht dieser Quelle wird die Militäroperation auf jeden Fall durchgeführt werden, jedoch nicht direkt in Caracas. Die US-amerikanische Buchautorin Eva Golinger wies in einem zu diesem Thema verfaßten Text [2] darauf hin, daß in offiziellen Dokumenten der US-Regierung Venezuela als Führungsmacht anti-US-amerikanischer Strömungen in Lateinamerika bezeichnet wird. Im Haushalt des Pentagon für das laufende Jahr werden die Kosten für den US-Luftwaffenstützpunkt Palanquero damit begründet, daß die volle militärische Einsatzbereitschaft hergestellt werden solle in einer Region, die unter anderem durch anti-US-amerikanische Regierungen in ihrer Stabilität gefährdet sei. Da dies, aus Sicht Washingtons, an erster Stelle auf Venezuela zutrifft, wirkt das jüngste Dementi des US-Außenamtssprechers wie ein schnöder Versuch, angesichts einer im Grunde offensichtlichen Bedrohungslage das anvisierte Zielobjekt militärischer Maßnahmen möglichst lange und möglichst umfassend über die tatsächlichen Absichten im Unklaren zu belassen oder doch zumindest die Weltöffentlichkeit so lange und so gut wie eben möglich zu täuschen.

Anmerkungen

[1] USA dementieren Angriffsabsichten, junge Welt, 28.07.2010, S. 6

[2] US and Colombia Plan to Attack Venezuela, von Eva Golinger, Global Research, 26.07.2010,
www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=20271

29. Juli 2010