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DILJA/1308: Selbstentlarvende Kritik aus den USA am Antidrogenkampf Venezuelas (SB)


Die USA schießen ein Eigentor bei dem Versuch, die venezolanischen Parlamentswahlen zu beinflussen

Washington setzt Venezuela auf die Liste der im Drogenkampf nicht kooperierenden Staaten


Was ist unter einem "Antidrogenkampf" zu verstehen? Eine solch unsinnig anmutende Frage würden nicht wenige Menschen mit den entsprechenden polizeilichen oder durch sonstige staatliche Institutionen durchgeführten Beschlagnahmungen und Verhaftungen der entsprechenden illegalisierten Substanzen bzw. der des Drogenhandels sowie der -herstellung verdächtigter Personen beantworten. Die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela handhabt dies nicht anders und hat dabei, wie dem diesjährigen Drogenreport der Vereinten Nationen zu entnehmen ist, beachtliche Erfolge aufzuweisen. In ihrem jüngsten "World-Drug-Report" bezeichnen die Vereinten Nationen Venezuela als die Nation mit der weltweit höchsten Menge an sichergestellten Drogen. Ausgangspunkt dieser Einschätzung war die im Jahre 2008 nach UN-Angaben beschlagnahmte Menge von 35 Tonnen illegaler Substanzen.

Seitdem ist die von den venezolanischen Behörden sichergestellte Menge, aber auch der Venezuela als Drogentransitland nutzende, organisierte internationale Drogenhandel weiter angestiegen. So gibt das venezolanische Innenministerium die Beschlagnahmungsmenge für 2008 mit 54 Tonnen, für 2009 mit 60 Tonnen und für das laufende Jahr bereits mit 47 Tonnen an [1]. Legt man den UN-Drogenbericht als einigermaßen verläßliche Quelle zugrunde, ist Venezuela in den letzten Jahren zum weltweit wichtigsten Transitland für Kokaingeschäfte aufgestiegen nicht zuletzt deshalb, weil die Europäische Union, namentlich Spanien und Großbritannien, einen massiven Konsumanstieg zu verzeichnen hätten. Da Venezuela im Unterschied zu Kolumbien einen direkten Zugang zum Atlantik aufweist, soll das Land im Kokainhandel international an Bedeutung gewonnen haben. So gibt der UN-Bericht an, daß über die Hälfte des weltweiten Kokainhandels im Jahr 2008 über Venezuela abgewickelt worden sei und 67 Prozent aller Kokainexporte über den Atlantik von der venezolanischen Küste aus gestartet wurden [1].

Der venezolanischen Regierung kann diese Entwicklung schwerlich angelastet werden. Bei einer weltweit auf rund 500 Tonnen jährlich geschätzten Exportmenge aus den lateinamerikanischen Produktionsländern Kolumbien, Bolivien und Peru nehmen sich die in Venezuela beschlagnahmten Mengen beachtlich aus. Den venezolanischen Behörden vorzuwerfen, sie würden nicht aktiv gegen die in ihrem Land getätigten Geschäfte mit den international für illegal erklärten Substanzen vorgehen, entbehrt insofern jeder Grundlage.

Aus einem aktuellen Bericht des Nationalen Antidrogenbüros (ONA) Venezuelas geht hervor, daß in den ersten 36 Wochen dieses Jahres 27 Tonnen Marihuana und 19 Tonnen Kokain sowie geringe Mengen Crack, Kokain-Paste und Heroin beschlagnahmt werden konnten [2]. Für die anwachsenden Erfolge in der Drogenbekämpfung wurde in diesem Bericht neben der Nationalgarde die neu gegründete Sonderheit zur Kriminalitätsbekämpfung (CICPC) verantwortlich gemacht, die 95 Prozent der Beschlagnahmeaktionen durchgeführt habe. 40 Prozent der Drogenfunde wurden in den an Kolumbien angrenzenden Bundesstaaten Tachira, Zulia und Merida getätigt, weitere große Mengen konnten in den an das karibische Meer angrenzenden Bundesstaaten Carabobo und Anzoátegui sichergestellt werden. 15 per internationalem Haftbefehl gesuchte mutmaßliche Drogenhändler, unter ihnen acht Kolumbianer, wurden verhaftet.

Zwei spektakuläre Festnahmen gelangen den venezolanischen Behörden im Juli sowie am 17. September mit den Verhaftungen zweier als Köpfe des "Norte del Valle"-Drogenkartells geltenden Verdächtigen. Und obwohl Caracas bereits im Jahre 2005 die Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Drogenbehörde (DEA) aufgekündigt und gegen diese Spionagevorwürfe erhoben hatte, wurden vor kurzem zwei per internationalem Haftbefehl gesuchte Drogenhändler von Venezuela an die USA ausgeliefert. Bei einem von ihnen handelte es sich um den Kolumbianer Jaime Alberto Marín, für dessen Ergreifung die USA eine Belohnung von fünf Millionen Dollar ausgesetzt hatten.

Doch nicht nur durch spektakuläre Festnahmen, sondern auch durch weitere Beschlagnahmeaktionen noch größerer Drogenmengen machten die venezolanischen Behörden auf sich aufmerksam. So wurden am 17. September im Osten der Hauptstadt 600 Kilo Kokain beschlagnahmt, während es sich bei der Sicherstellung von vier Tonnen Kokain im Bundesstaat Guarico am 26. August, wie Innenminister Tareck Al Aissami erklärte, um den größten Drogenfund der vergangenen vier Jahre gehandelt haben soll.

Im eigenen Land ist diese Antidrogenpolitik der Regierung Chávez keineswegs unumstritten, steht die Drogenkriminalität doch in einem engen Zusammenhang zu der hohen Gewaltkriminalität des Landes. So wird in dem jüngsten Drogenbericht der Vereinten Nationen der massive Anstieg an Gewaltverbrechen in Venezuela mit der Drogenpolitik des Nachbarlandes Kolumbien sowie der dort seit 2003 durchgeführten Entwaffnung paramilitärischer Gruppen in einen Zusammenhang gestellt. Seit diesem Zeitpunkt habe sich, so der UN-Bericht, die Mordrate in Venezuela verdoppelt und den Stand der 1960er Jahre wieder erreicht. Im Vorfeld der am kommenden Sonntag bevorstehenden Parlamentswahlen hatte es in Venezuela hitzige Diskussionen um die hohe Kriminalität gegeben, da die rechte Opposition, die im Unterschied zu 2005 wieder ins Parlament einziehen will und deshalb mit allen Mitteln versucht, die Regierung in den Augen der Wähler zu diskreditieren, die schlechte Sicherheitslage zum Wahlkampfthema Nr. 1 gemacht hatte.

Dabei schwanken die Angaben über die tatsächliche Zahl der Morde und Mordopfer beträchtlich. Nach Angaben der Agentur Reuters beziffern die Polizeibehörden Venezuelas die Zahl der jährlichen Mordopfer auf 3000, während die Nichtregierungsorganisation "Observatorio Venezolano de Violencia", ohne über die Herkunft ihres Zahlenmaterials Rechenschaft abzulegen, mit einer Zahl von 16.000 Mordopfern aufwartet. Die Tageszeitung "El Nacional" warf der Regierung Unfähigkeit bei der Herstellung der öffentlichen Sicherheit vor und suchte dies zu belegen mit Angaben aus einem angeblich unveröffentlichten Regierungsbericht mit 19.113 Mordopfern allein im Jahr 2009.

Im Parlament wurde am 16. September ein Gesetz verabschiedet, von dem die Regierung Chávez sich erhofft, die Gewaltkriminalität durch die Reduzierung der im Land im Umlauf befindlichen Schußwaffen eindämmen zu können. Durch dieses Gesetz soll für einen befristeten Zeitraum bei freiwilliger Abgabe der Waffen eine Amnestie gewährt werden, während später der illegale Waffenbesitz mit Gefängnisstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren geahndet werden soll. Dieses Gesetzesvorhaben stieß in Venezuela selbst auf Kritik. Der Spitzenkandidat der Oppositionsallianz MUD Julio Borges erhob gegen die Regierung den Vorwurf, mit diesem Gesetz Wahlkampf-Aktionismus zu betreiben, obwohl diese Reform von der Nationalversammlung schon vor längerer Zeit in erster Lesung beschlossen worden war.

Die sozialen Bewegungen des Landes brachten ihrerseits eine Kritik an diesem Vorhaben an und stellten dessen Wirksamkeit in Frage. Da die absolute Mehrheit der Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel stünde, so die Argumentation, würde eine auf die im Umlauf befindlichen Waffen und den Waffenbesitz abzielende Gesetzesreform an den Ursachen des Problems vorbeigehen, weshalb eine öffentliche Diskussion über die Legalisierung der verbotenen Substanzen anzuregen sei. Über all dies ließe sich vor und nach den Wahlen weiter streiten und auf parlamentarischen wie außerparlamentarischen Wegen selbstverständlich auch kontrovers diskutieren, so wie es in einer lebhaften und bereits heute von einem hohen Maß an Partizipation getragenen Demokratie wie der Venezuelas gang und gäbe ist.

Die USA allerdings schossen mit ihrer Mitte September getroffenen Entscheidung, Venezuela auf die Liste jener Staaten, die im Antidrogenkampf "nicht kooperieren" würden, den Vogel ab. Ausgerechnet Venezuela, könnte man kopfschüttelnd einwenden, was allerdings voraussetzt, daß man noch immer nicht gelernt hat, bei Entscheidungen und Verlautbarungen aus Washington zwischen den Zeilen zu lesen und das tatsächlich Gemeinte hinter dem offiziell Gesagten herauszufiltern. In diesem Fall läßt sich die Entscheidung der US-Administration, Venezuela mangelnde Kooperation bei der Drogenbekämpfung vorzuwerfen, nur plausibel machen durch die Annahme, daß Washington mit "Kooperation" eine stille Zusammenarbeit oder auch stillschweigende Duldung der international, und das heißt auch unter Beteiligung US-amerikanischer Drogenkartelle, getätigten Drogengeschäfte versteht. Dann allerdings hätten sich die venezolanischen Behörden durch ihre umfangreichen Beschlagnahmungs- und Verhaftungsaktionen einiges zuschulden kommen lassen.

Nichtsdestotrotz bezeichnete der Vizepräsident der venezolanischen Gruppe im Lateinamerikanischen Parlament (Parlatino), Carolus Wimmer, diese Entscheidung Washingtons als einen weiteren Versuch der USA, auf den sich zu diesem Zeitpunkt noch in der heißesten Phase befindlichen Wahlkampf in Venezuela Einfluß zu nehmen. Allem Anschein nach gehen die USA dabei nach der Devise vor, daß kein Vorwurf und keine Bezichtigung "zu blöd" sein könnten, um nicht doch gegen die Regierung Chávez eine negative Wirkung entfalten zu können. Dabei scheint Washington sogar in Kauf zu nehmen, durch derart unsinnige Entscheidungen wie die Aufnahme Venezuelas in die Reihe der als in Sachen Drogenbekämpfung als unkooperativ eingestuften Staaten ein sattes Eigentor zu schießen.

Anmerkungen

[1] Erfolg gegen Kokainhandel in Venezuela. Venezolanische Nationalgarde stellt vier Tonnen Kokain sicher. Kontroversen um Statistiken zu Mordfällen gehen weiter. Von Jan Ullrich, amerika21.de, 29.08.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/08/12013/erfolg-gegen-kokainhandel

[2] 46 Tonnen Drogen beschlagnahmt. Venezuela legt Bericht zur Drogenbekämpfung vor. Transitland für Transporte aus Kolumbien. Von Malte Daniljuk, amerika21.de, 17.09.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/14251/46-tonnen-drogen-beschlagnahmt

23. September 2010