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DILJA/1317: Chile - Rettungsglück der Bergleute überschattet Mapuche-Konflikt (SB)


Größte Rettungsaktion der Bergbaugeschichte dominiert die Schlagzeilen

Dreimonatiger Mapuche-Hungerstreik ohne medialen Widerhall beendet


Über 30 Chilenen in lebensbedrohlichem Zustand! Wer hätte bei einer solchen - fiktiven - Schlagzeile nicht unwillkürlich an die seit zweieinhalb Monaten unter Tage verschütteten Bergleute gedacht, deren glückliche Rettung just in diesen Stunden angelaufen ist und zu einem der größten internationalen Medienereignisse avancierte? Ungefähr zur selben Zeit wie dieses Grubenunglück, das seinem glücklichen Ende entgegensehen kann, weil aller Voraussicht nach alle 33 verschütteten Bergleute lebend und in einem "den Umständen entsprechend" guten Zustand gerettet werden können, ereignete sich ebenfalls in Chile eine politische Konfrontation, die durchaus vergleichbare Züge zu dem Grubenunglück aufweist. Seit dem 12. Juli führten über 30 inhaftierte Mapuche-Indios einen Hungerstreik durch, um gegen die gegen sie auf der Basis eines noch aus Diktaturzeiten stammenden sogenannten Antiterrorgesetzes zur Anwendung gebrachte politische Verfolgung zu protestieren.

In den zurückliegenden Tagen und Wochen hatte der wochen- bis monatelange Hungerstreik bei vielen Gefangenen zu einer so ernsten gesundheitlichen Situation geführt, daß um ihr Leben gebangt werden mußte. Doch ganz im Gegensatz zu der regen und medial bis an die Grenzen des Machbaren ausgereizten Anteilnahme an dem Schicksal der monatelang verschütteten Bergleute tendierte das Medieninteresse an einer Berichterstattung über den Hungerstreik der Mapuche sowie den Inhalt ihres Protestes gegen null. Diese Disproportionalität läßt sich leicht plausibel machen und offenbart, in welch zynisch zu nennender Weise auf der einen Seite das Schicksal der Kumpel instrumentalisiert wurde, während andererseits der Mapuche-Hungerstreik, der ja auf eine Mobilisierung der chilenischen, aber auch der lateinamerikanischen bzw. internationalen Öffentlichkeit abzielt, um auf diese Weise politischen Druck zu erzeugen, gerade dadurch noch mehr ins Abseits gedrängt werden konnte.

Einer der 34 hungerstreikenden politischen Mapuche-Gefangenen hatte sich unlängst in einem handschriftlich verfaßten Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, gewandt und darin erklärt: "Wir haben nie jemanden umgebracht. Im Gegenteil: Wir haben Tote unter den eigenen Leuten (...). Mit den uns zu Last gelegten Taten haben wir nicht das Geringste zu tun." [1] Dieser Brief endete nicht mit der Bitte um Milde, sondern um Gerechtigkeit und brachte den Konflikt zwischen den Mapuche-Indios und der gegenwärtigen Rechtsregierung Chiles unter Präsident Sebastián Piñera immerhin soweit aufs internationale Parkett, daß Piñera sich veranlaßt sah, am 23. September bei seiner Antrittsrede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen dazu Stellung zu nehmen. Er gab sich moderat und stellte Lösungsansätze in Aussicht.

Piñera griff die Hungerstreikenden eher unterschwellig an, indem er versuchte, mit Seitenblick auf die Medien negative Emotionen gegen sie wachzurufen. Er bezeichnete es als "paradox", daß auf der einen Seite für das Überleben der 33 Bergleute gekämpft werde und auf der anderen Seite die Mapuche-Gefangenen ihr Leben selbst gefährdeten. Der Präsident stellte den Hungerstreikenden Verhandlungen in Aussicht, lehnte es zunächst jedoch ab, wie auch von den Vereinten Nationen gefordert, das höchst umstrittene Antiterrorgesetz abzuschaffen. Dies veranlaßte Anfang voriger Woche rund 30 der Hungerstreikenden, ihren Protest abzubrechen, doch auch die verbliebenen letzten zehn streikenden Gefangenen stellten die Aktion am Wochenende ein. Die Regierung hatte versprochen, die gegen die Gefangenen auf der Basis des Antiterrorgesetzes erhobenen Anklagen in strafrechtliche umzumünzen.

Ob dies tatsächlich ein Erfolg ist und zur Freilassung der zum Teil bereits seit Jahren Inhaftierten führen wird, steht zu bezweifeln. Allem Anschein nach ist Präsident Piñera einzig bestrebt, Negativ-Schlagzeilen, wie sie beim drohenden Tod eines oder mehrerer Hungerstreik-Gefangenen zu erwarten gewesen wären, zu vermeiden. Von einem politischen Druck oder einer breiten Solidarisierung mit dem Protest der Mapuches ist unterdessen wenig zu erkennen, und so steht zu befürchten, daß Präsident Piñera keine substantiellen Zugeständnisse machen bzw. diesbezügliche Versprechen und Zusagen nicht einhalten wird. Die verschütteten Bergleute können am allerwenigsten dafür, daß Piñera sich ihre Rettung medienwirksam ans Revers heftet gerade so, als hätte er eigenhändig mit am Rettungstunnel gearbeitet. Seine Zustimmungswerte sollen in Chile durch das Grubenunglück bzw. dessen mediale Aufbereitung von den 45 Prozent bei seinem Amtsantritt auf 58 Prozent angestiegen sein, die seines Bergbauministers Laurence Goldborne sogar auf sensationelle 90 Prozent [2].

Anmerkungen

[1] Mapuche-Konflikt vor UNO. Chiles Präsident Piñera muss auf Kritik vor Generalversammlung in New York eingehen. Internationale Rügen wegen Anwendung von Diktatur-Gesetz. Von Steffen Lehnert, amerika21.de, 26.09.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/14629/mapuche-konflikt-vor-uno

[2] Freude und Kritik in Chile. Bergung von verschütteten Bergleuten: Regierung von Präsident Piñera wird Instrumentalisierung vorgeworfen. Arbeitslose Bergleute demonstrieren. Von Harald Neuber, Telepolis/amerika21.de, 13.10.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/15703/freude-und-kritik-chile

14. Oktober 2010