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DILJA/1320: US-Besatzer lassen hinrichten - irakisches Todesurteil gegen Tarik Asis (SB)


Todesurteil gegen Tarik Asis - bevorstehender Justizmord im Irak

Der letzte direkte Zeuge der westlichen Kriegslügen soll sterben


Nach Lesart der US-amerikanischen Besatzer, ihrer westlichen Kriegsverbündeten sowie der mit ihnen kooperierenden irakischen Vasallen ist das Zweistromland nach der gewaltsamen, zum Sturz seiner Regierung unter Präsident Saddam Hussein im Jahre 2003 durchgeführten Militärinvasion nicht lange besetzt geblieben, wurde doch im Juni des darauffolgenden Jahres die offizielle Beendigung dieser Besatzung verkündet. Diese Erklärung, schon damals nicht glaubwürdiger als die später vollends als Kriegslüge entlarvte Behauptung, der Irak würde Massenvernichtungsmittel produzieren, wird faktisch durch den erst im August dieses Jahres erfolgten Abzug US-amerikanischer Kampftruppen konterkariert. Nach US-amerikanischer Definition war die militärische Besatzung des 2003 gewaltsam eingenommenen Landes als "Operation Iraqi Freedom" deklariert worden, dessen offizielles Ende US-Präsident Obama, um nicht auch in diesem Punkt hinsichtlich seiner Wahlversprechen wortbrüchig werden zu müssen, am 31. August 2010 verkündet hatte. Ob der Abzug der als Kampftruppen deklarierten US-Soldaten tatsächlich einem Ende der faktischen Besatzung gleichkommt, bleibt jedoch weiterhin strittig, stehen doch nach wie vor, seit dem 1. September unter dem Titel "Operation New Dawn", 49.000 US-Soldaten im Land, wo sie noch bis Ende kommenden Jahres dafür Sorge tragen sollen, daß den USA die Kriegsbeute Irak - und sei es in Gewährleistung durch eine ihnen treu ergebene Vasallen- bzw. Statthalterregierung - erhalten bleibe.

Stabile innenpolitische Verhältnisse dürften aus Sicht Washingtons im Zweistromland jedoch auch dann garantiert sein, wenn die verschiedenen und miteinander verfeindeten Volks- bzw. Religionsgruppen in einen Bruderkrieg mit Ewigkeitscharakter geführt werden könnten, weil dann die Gefahr, daß es einen gesamtirakischen Schulterschluß geben und eine Regierung gewählt werden könnte, die jegliche Zusammenarbeit mit den USA oder anderen westlichen Staaten beenden und keine ausländischen Soldatenstiefel im eigenen Land mehr dulden würde, als verschwindend gering einzustufen wäre. Der frühere irakische Präsident Saddam Hussein, der im Dezember 2006 hingerichtet worden war, hatte die irakische Bevölkerung zuvor in seinem Prozeß aufgefordert, "sich dem Widerstand anzuschließen, statt sich gegenseitig zu töten", worauf der Zuschauerraum geleert und der Angeklagte verwarnt worden war, keine "Politik" zu betreiben.

Die Todesstrafe war von den US-amerikanischen Invasoren kurz nach dem Sturz des regulären Präsidenten des Irak abgeschafft worden, wohl um den vermeintlichen Kontrast zwischen dem früheren "Diktator" und den neuen Machthabern zu unterstreichen. Daß es sich dabei um ein taktisch-strategisches Kalkül und keineswegs um eine unverrückbare, humanitär begründete Position gehandelt hat, ergibt sich schon daraus, daß in den meisten Staaten der USA die Todesstrafe angewandt wird und in jenen Jahren zwischen 50 und 100 Menschen pro Jahr exekutiert wurden.

Im Juni 2004 wurde mit dem offiziellen Ende der US-Besatzung die Todesstrafe im Irak wieder eingeführt. Die damalige Regierung um Ijad Alawi hatte am 8. August 2004 zur Begründung mitgeteilt, daß die Todesstrafe notwendig sei, um gegen Extremisten vorzugehen, die das Land mit Anschlägen, Entführungen und Gewalt destabilisieren würden. Sobald sich die "Sicherheitslage" im Irak verbessert habe, so die Behauptung des damaligen Staatsministers Adnan al-Dschanabi und des Menschenrechtsministers Bachtiar Amin, werde die Todesstrafe wieder zurückgenommen.

Bis heute ist nichts dergleichen geschehen. Die Todestrafe ist ein probates Mittel, um den Bruderhaß im Irak, die Todfeindschaft zwischen Sunniten und Schiiten aufrechterhalten und immer neu zu befeuern. Die Vereinten Nationen wie auch zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben den Irak immer wieder aufgefordert, die Todesstrafe abzuschaffen. Doch noch immer sitzen 900 zum Tode verurteilte Menschen, unter ihnen auch 17 Frauen, in irakischen Gefängnissen. Weltweit steht der Irak bei der Vollstreckung von Todesurteilen an zweiter Stelle. Zahlreiche Prominente, unter ihnen der Präsident der UN-Vollversammlung, Miguel d'Escoto Brockmann, der Schriftsteller Eduardo Galeano und der frühere UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Hans Graf von Sponeck, haben einen Appell gegen die Todesstrafe im Irak unterschrieben - ebenfalls ohne Erfolg. Amesty international argumentierte im vergangenen Jahr, daß die fünf Jahre zuvor wiedereingeführte Todesstrafe die gewaltsamen Unruhen nicht habe eindämmen können und kritisierte, daß zahlreiche Todesurteile vom Obersten Gerichtshof des Landes, dessen Verfahren internationalen Standards nicht entsprächen, verhängt werden.

Am 26. Oktober wurde von einem Gericht in Bagdad ein weiteres Todesurteil verhängt. Auch in diesem Fall handelt es sich um ein äußerst repressives Mittel, soll doch mit Tarik Asis, dem früheren Außenminister der Regierung Hussein, einer der letzten Zeugen sterben, der aus eigener Kenntnis Zeugnis darüber hätte ablegen können, wie die westlichen Staaten ihre Entscheidung, die Regierung des Irak gewaltsam zu stürzen und das Land militärisch zu besetzen, Stück für Stück unter inzwischen als Lügengerüst vollständig entlarvten Behauptungen durchgesetzt haben. Tarik Asis war der einzige Christ in der Regierung Hussein. Er galt "als das freundliche Gesicht" des Irak und hat bis zuletzt versucht, den seinem Land drohenden Krieg abzuwenden. Zu diesem Zweck hatte ihn am 24. Februar 2003 der damalige Papst Johannes Paul II. zu einer 20minütigen Audienz empfangen. In einer anschließend vom Vatikan herausgegebenen Erklärung hatte es geheißen, daß die irakische Regierung zur Zusammenarbeit mit den UN-Waffeninspekteuren bereit sei.

Doch nichts hätte den kurz darauf erfolgten Angriff abwehren können, da der Entschluß, ihn zu führen, auf seiten der westlichen Staaten längst gefällt worden war und in keinem Zusammenhang zu dem Agieren der Regierung Hussein stand. Tarik Asis hatte sich den amerikanischen Truppen kurz nach deren Einmarsch gestellt, sich jedoch nicht bereitgefunden, mit den Besatzern gegen seine frühere Regierung zu konspirieren. Dies brachte dem heute 74jährigen lange Jahre der Isolationshaft ein, die ihn auch gesundheitlich schwer beeinträchtigen. Angehörige wiesen immer wieder auf seinen schlechten Gesundheitszustand hin und forderten aus humanitären Gründen seine Freilassung. Doch Tarik Asis ist ein Faustpfand der heutigen Machthaber, und so droht gerade seine nun gerichtlich beschlossene Hinrichtung ein Fanal zu werden, dessen Funktion darin bestehen soll, den Haß zwischen den verfeindeten irakischen Bevölkerungsteilen in seiner Unversöhnlichkeit noch zu verfestigen.

Die westliche Welt hingegen, allen voran die USA, die das Zweistromland zum großen Leidwesen seiner Bewohner auserkoren haben, um ihren Hegemonialbestrebungen als militärischer Stützpunkt und politischer Brückenpfeiler zweckdienlich zu sein, wird sich an dieser Stelle einmal mehr an ihren eigenen moralischen Ansprüchen messen lassen müssen. Wird sie Einspruch einlegen gegen die drohende Hinrichtung eines Christen, dem, nachdem er in ähnlich gelagerten Schauprozessen unter dem Vorwurf, an der Verfolgung von Mitgliedern religiöser Schiiten-Parteien beteiligt gewesen zu sein, bereits zu insgesamt 22 Jahren Haft verurteilt worden war?

26. Oktober 2010