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DILJA/1325: zu Guttenberg'sche Wirtschaftskriege werden Angriffskriege der EU sein (SB)


"Wirtschaftliche Interessen" - ein Kriegseuphemismus zu Guttenbergs

Deutscher Minister als Wortführer europäischer Kriegführungspolitik


Rohstoffe und Ressourcen - hinter diesen noch nüchtern und undramatisch anmutenden Begriffen verbirgt sich ein Kampf, um nicht zu sagen Krieg des Menschen gegen den Menschen, der dem puren Überleben zu Lasten der eigenen (und anderer) Arten geschuldet ist in einer Situation, in der der weltweite Mangel an Nahrung und damit menschlichen Lebensgrundlagen kaum noch bemäntelt oder durch Lösungsperspektiven auf eine bessere Verteilungspolitik vernebelt werden kann. Längst hat sich die westliche Welt dank ihrer weltweiten Hegemonialposition den Zugriff auf die verbleibenden Sourcen nicht nur gesichert, sondern Vorkehrungen getroffen, um dieses Überlebensprivileg gegenüber dem absehbar drohenden Ansturm der vom Zugang zu Lebensmitteln im weitesten Sinn systematisch und gezielt ausgegrenzten Menschen verteidigen zu können. Rohstoff- und Ressourcensicherung sind im Zuge dessen Begrifflichkeiten, die seitens der westlichen Administrationen im Munde geführt werden, um den absehbaren und absehbar grausamen Krieg gegen hungernde Menschen, der an etlichen Brennpunkten sozialer Zuspitzung längst begonnen hat, mit dem denkbar harmlosesten Titel zu versehen.

Vor diesem Hintergrund kommt dem jüngsten propagandistischen Vorstoß oder auch Schachzug des amtierenden deutschen "Verteidigungs"- Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine besondere Bedeutung zu. Der blaublütige CSU-Politiker gilt derzeit, wenn man denn gewillt ist, in entsprechenden Umfragen mehr als die Ergebnisse einer vorherigen Medienkampagne zur Positivdarstellung des Ministers zu sehen, als der mit Abstand beliebteste Politiker Deutschlands. Mit den Äußerungen, die er am Dienstag auf einer Sicherheitskonferenz in Berlin gemacht hat, hat er sich die Kritik einer "Opposition" eingehandelt, die ihrerseits vergessen zu haben scheint, daß sie selbst an der Etablierung einer deutsch-europäischen Kriegführungspolitik, in die der jetzige zu Guttenberg'sche Vorstoß als ein weiterer Schritt einzuordnen ist, nicht minder engagiert mitgestrickt hat.

Der Minister hat auf dem 9. Kongreß zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung in Berlin die inzwischen vielfach zitierten Worte gesagt, daß die Sicherung der Handelswege und Rohstoffquellen ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten sei. Gemünzt auf China, Indien und Indonesien, die von zu Guttenberg aufgrund ihres Rohstoffbedarfs, so als wäre dieser nicht minder begründet oder unbegründet wie der Deutschlands bzw. der EU-Staaten, zu so etwas wie natürlichen Freßfeinden erklärt wurden, machte der Minister deutlich, daß die Durchsetzung der eigenen Interessen an Boden und Bodenschätzen, wenn es denn zu Spannungen, Krisen und Konflikten komme, mit militärischen Mitteln zu erfolgen habe.

Die parlamentarische Opposition reagierte prompt. "Wir warnen Guttenberg davor, den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr in einen offensiven Interventionsauftrag zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen umzuinterpretieren" [1], erklärte beispielsweise Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Ein Blick in das Grundgesetz, so dozierte der SPD-Politiker gerade so, als sei seine Partei nie in dieser Angelegenheit tätig geworden, erleichtere das "richtige Verständnis von Verteidigungspolitik: Das Grundgesetz erlaubt keine Wirtschaftskriege". Das trifft selbstverständlich zu, kommt jedoch einer Nullaussage gleich, die ihrerseits zur Verharmlosung, um nicht zu sagen Falschdarstellung der tatsächlich längst in Gang gesetzten Militarisierung nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern der gesamten EU beiträgt. Wenn das Grundgesetz "Wirtschaftskriege" nicht zuläßt, müssen die in allen Winkeln der Erde beabsichtigten Militäroperationen zur Sicherung des "Rohstoffbedarfs" eben anders bezeichnet werden.

Guttenbergs Vorstoß dürfte taktisch voll und ganz durchkalkuliert worden sein und stellt weder auf Verfassungs- und/oder politisch- moralische Fragen ab. Er droht, wenn auch nahezu bis zur Unkenntlichmachung verblümt, mit einer weiteren Verarmung und Verelendung hier in Deutschland, indem er anführt, daß 20 Prozent des deutschen Außenhandels über den Seeweg gingen, weshalb Piraterie eine "ernste Herausforderung" für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands sei [2]. Und da eine gewollte oder auch ungewollte Verknappung von Rohstoffen nicht ohne Einfluß auf die industrielle Leistungsfähigkeit und damit das wirtschaftliche Wohlergehen Deutschlands bliebe, "stellen sich Fragen auch für unsere Sicherheit, die für uns von strategischer Bedeutung sind" [2]. Welche Fragen stellen sich wohl für die Menschen, die in den Armutregionen leben, in denen Deutschland "seine" Rohstoffe sichern möchte?

Der Minister zielt wie schon vor fünf Monaten der frühere Bundespräsident Horst Köhler, um dem Erwachsen einer bundesdeutschen Fundamentalopposition gegen diese Kriegführungspolitik schon im Ansatz entgegenzuwirken, auf das Beteiligungsinteresse an diesem großen Raubzug ab, indem er 'durch die Blume gesagt' zu verstehen gibt, daß die Lebens- und Überlebensinteressen jedes einzelnen hier in Deutschland an die letzten Endes nur gewaltsam aufrechtzuerhaltene Vormachtstellung geknüpft seien, weshalb etwaige Kritiker an den Ästen, auf denen sie selbst sitzen, sägen würden. Während Köhler sich infolge der Kritik, die er durch seine Äußerungen auf sich gezogen hatte, seinen Rücktritt erklärte, gibt es nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß "Verteidigungs"-Minister zu Guttenberg nicht felsenfest im Sattel sitzen würde. Köhler hatte im Mai in einem Interview mit dem Deutschlandradio erklärt, daß "im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig" sei, um "unsere Interessen", zum Beispiel freie Handelswege, zu wahren.

Anstelle des früheren Konflikts zwischen kapitalistischer und sozialistischer Staatenwelt bemühte zu Guttenberg schon im Oktober die Konfrontation zwischen demokratisch soliden und scheiternden bzw. gescheiterten Staaten und erklärte im Zuge dessen, daß der Kampf um knappe Ressourcen wie Öl, Gas und Wasser begonnen habe. Wasser sei, so zu Guttenberg, "ein Grund für kriegerische Konflikte" [3]. Nun stellen weder diese noch die aktuellsten Äußerungen zu Guttenbergs oder die Köhlers vom Mai dieses Jahres einen echten Vorstoß in Gefilde dar, die nicht schon längst in Realität übergeführt worden wären, was die namentlich von rot-grün vorgetragene Kritik auch so unglaubwürdig macht. Am 25. Oktober 2006 hat die damalige große Regierungskoalition - die SPD inklusive - ein Weißbuch der Bundeswehr verabschiedet, in dem die militärische Rohstoffsicherung festgeschrieben wurde.

Auch darin war bereits, da das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr zu wirtschaftlichen Zwecken nicht zuläßt, eine leicht verklausulierte Form gefunden worden, um gleichwohl die militärische Zugriffssicherung in allen Teilen der Welt politisch durchsetzbar zu machen, wobei der Begriff "Sicherheit" eine große Rolle spielt(e). So soll laut Weißbuch die "Sicherheitspolitik Deutschlands", wozu selbstverständlich auch etwaige Militäreinsätze zu rechnen sind, die "Interessen unseres Landes" wahren [4], worunter denn wiederum zu verstehen sei, "den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern", wobei die "Werte des Grundgesetzes" leitend sein sollen. Sätze aus dem Weißbuch kommen einer indirekten Kriegsandrohung an die Länder und Regionen gleich, die die deutschen Begehrlichkeiten auf sich gezogen haben. So steht beispielsweise geschrieben, daß die "deutsche Sicherheitspolitik" auch "Entwicklungen in geografisch weit entfernten Regionen berücksichtigen" muß, "soweit sie unsere Interessen berühren" [4].

Die derzeitige Aufregung über die zu Guttenberg'schen Worte ist insofern völlig unangebracht bzw. setzt das gezielte Ignorieren nicht nur der im Weißbuch der Bundeswehr niedergelegten Grundsätze, sondern der deutschen Regierungspolitik vieler, vieler Jahre voraus. Die Bertelsmann-Stiftung, die enge personelle Verbindungen zu der hauptsächlich vom Auswärtigen Amt finanzierten "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aufweist, hatte bereits 1999 eine Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung "Venusberg Group" gegründet, die ein Jahr später ein richtungsweisendes Konzept für die gesamte EU ausgearbeitet und vorgelegt hatte. In diesem Papier war die Forderung aufgestellt worden, daß sich "die EU bis 2030 gegen alle Arten von Bedrohung autonom verteidigen können" [5] müßte. Als militärische Leitlinie genüge die Verteidigung der eigenen Territorien nicht mehr, vielmehr müsse die EU "im zivilen wie im militärischen Bereich zu einem effektiven sicherheitspolitischen Akteur" [5] werden. Ob Zufall oder nicht - im Dezember 1999 beschloß der Europäische Rat, eine europäische Eingreiftruppe aufzubauen, die innerhalb von 60 Tagen mit einer Sollstärke von 60.000 Soldaten für ein Jahr einsetzbar sein solle.

Doch nicht nur die SPD scheint bei ihrer Kritik an den zu Guttenberg'schen Kriegsäußerungen außer acht gelassen zu haben, daß sie selbst noch vor wenigen Jahren eine Politik rohstoffbezogenen Militäreinsätze mitgetragen hat. Bereits in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 war die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" als militärische Aufgabe benannt worden [6], weshalb alle späteren Bundesregierungen, also auch rot-grün, diese Politik mitgetragen und somit auch zu verantworten haben. Als einer der Väter dieser Doktrin der Bundeswehr gilt ihr damaliger Generalinspekteur Klaus Naumann, der Anfang der 1990er Jahre laut Spiegel unumwunden erklärt hatte, es sei Aufgabe der Bundeswehr, "für deutsche Interessen" zu kämpfen [6].

Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg bekleidet nicht nur das hohe Amt des Bundesverteidigungsministers, er ist desweiteren, was hier in Deutschland wenig bekannt sein dürfte, Mitglied des "European Council on Foreign Relations" (ECFR) und damit eines europäischen "Thinktank", in dem sich die Elite der europäischen Finanz-, Politik- und Wirtschaftselite tummelt und der den offiziellen EU-Institutionen in demokratisch höchst bedenklicher Weise vorgeschaltet zu sein scheint. Dieser offiziell inoffizielle Rat wurde im Oktober 2007 gegründet und unter Anwesenheit des damaligen deutschen Außenministers Frank Walter Steinmeier (SPD) am 9. November 2007 in einem im Weltsaal des Auswärtigen Amtes durchgeführten Festakt der Öffentlichkeit vorgestellt. Dem Gründungspapier des ECFR ist zu entnehmen, daß dieses Gremium auf eine vereinheitlichte europäische Außenpolitik hinzuwirken bestrebt ist und dabei die Anwendung militärischer Mittel keineswegs ausschließt [7]:

Wir rufen die europäischen Regierungen dazu auf, eine kohärentere und entschlossenere Außenpolitik zu entwickeln, die sich nach unseren gemeinsamen Werten richtet, unseren gemeinsamen europäischen Interessen verpflichtet ist und von europäischer Macht gestützt wird. (...) Die EU-Außenpolitik sollte von Europas kompletter ökonomischer, politischer, kultureller und - als letztem Mittel - militärischer Macht unterstützt werden.

Es ist eine offene und, da sich der ECFR als zivilrechtliche Organisation jeglicher Kontrolle durch nationale oder das europäische Parlamente entziehen kann, schwer zu beantwortende Frage, ob dieses Gremium als Instrument zur Durchsetzung "deutscher" Interessen zu sehen ist und/oder ob in umgekehrter Richtung von einem nebulösen und für die eigentlichen Regenten demokratischer Staaten, nämlich die Bevölkerungen, vollkommen ungreifbaren "Rat" in die deutsche Regierungspolitik wie auch die aller übrigen EU-Mitgliedstaaten hineinregiert wird. Für die hier relevante Frage, nämlich die sukzessive betriebene Implementierung einer Kriegführungspolitik in das Bewußtsein der deutschen wie auch der gesamteuropäischen Öffentlichkeit, dürfte die Beantwortung dieser Frage jedoch irrelevant sein, weil beide Varianten der vermeintlichen Ratio, nämlich die Überlebensprivilegien der - wenn auch relativen - Wohlstandsinsel EU und damit auch Deutschlands, unter Einsatz ihres vollen militärischen Potentials zu sichern, den Vorzug geben.

Somit droht die Kritik an dem vermeintlichen Vorpreschen zu Guttenbergs und dessen offenem Bekenntnis zu Kriegseinsätzen, die um der wirtschaftlichen Vorteilslage Deutschlands geführt werden (sollen), noch zur Bagatellisierung der längst in Stellung gebrachten Militarisierung der gesamten Europäischen Union beizutragen. Wenn es in die Hirne und Herzen der Menschen hierzulande erst einmal vollständig eingeträufelt wurde, daß es nun einmal unabwendbar sei, um des täglichen Brotes willen der Bundeswehr bzw. den im Aufbau befindlichen Streitkräften der EU freies Schußfeld zu lassen, werden EU-geführten Angriffskriegen keine Hindernisse mehr entgegenstehen. Sie müssen nur den bereits heute bestehenden militärischen Richtlinien entsprechend definiert werden.

Erschwerend kommt noch hinzu, wie der Politikwissenschaftler, Friedensforscher und Vorstand der Linkspartei, Tobias Pflüger, auf dem Antirepressionskongreß in Hamburg [8] erläuterte, daß im Lissabon- Vertrag der Europäischen Union eine militärische Beistands- und Solidaritätsklausel enthalten ist, die über die in Artikel 5 des NATO-Vertrages festgelegte Beistandspflicht noch hinausgeht, weil sie nicht auf den Fall, daß ein NATO-Mitglied angegriffen wird, beschränkt ist, sondern lediglich voraussetzt, daß sich ein EU-Staat in einem militärischen Konflikt befindet. All dies wären Anhaltspunkte und Gründe genug, sich kritisch mit der Verteidigungs- oder vielmehr Angriffspolitik Deutschlands bzw. der EU zu befassen. Der so herzhaft kritisierten Äußerungen zu Guttenbergs, die der sprichwörtlichen Spitze des Eisbergs gleichkommen, bedarf es insofern nicht.


Anmerkungen

[1] Krieg und Wirtschaft. Guttenberg kassiert Kritik, n-tv, 09.11.2010
http://www.n-tv.de/politik/Guttenberg-stuetzt-Koehler-Aussage-article1891496.html

[2] Guttenberg will Wirtschaftsinteressen militärisch absichern, 10.11.10 / dapd
http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Guttenberg-will-Wirtschaftsinteressen-militaerisch-absichern-960775514

[3] "Die Berechenbarkeit der Unsicherheit". Wie deutsche Sicherheitspolitik für das 21. Jahrhunderts neu justiert werden soll, von Claudia Hangen, telepolis, 22.10.2010
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33532/1.html

[4] "Abhängig von gesicherter Rohstoffzufuhr in globalem Maßstab". Die Bundesregierung verabschiedet ein Weißbuch der Bundeswehr. Peter Bürger, telepolis, 26.10.2006

[5] Lobbyarbeit für die Militärmacht Europa. Die sicherheitspolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung. Jörn Hagenloch, telepolis, 26.07.2007

[6] Die deutsche Militärdoktrin. Von Ulrich Sander, Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, Nr. 13, 26.06.2010

[7] ECFR - Statement of Principles, Absatz 3, http://www.ecfr.eu/page/s/principlesen

[8] Antirep2010 - Tobias Pflüger konterkariert Europas Weltmachtstreben (SB),
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12. November 2010