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DILJA/1353: Kampfmittel Solidarität - Kalifornische Häftlinge zu Tausenden im Hungerstreik (SB)


Alptraum Kalifornien - Isolationsfolter in überfüllten Hochsicherheitsgefängnissen

Substanzlose Reaktionen der Behörden auf sich ausbreitenden Massenhungerstreik


Weitgehend unbemerkt oder vielmehr unbeachtet von der internationalen Medienwelt hat sich im US-Bundesstaat Kalifornien seit dem 1. Juli ein Protest ausgeweitet, der sich gegen die Bedingungen extremer Isolation richtet, denen Zigtausende Menschen im Land der großen Freiheiten ausgesetzt sind. Selbstverständlich muß sich ein Staat wie die USA, der in seinem tradierten Staats- und Selbstverständnis ein Sendungsbewußtsein kultiviert, durch das er sich selbst mandatiert, die gesamte Welt an seinem "way of life" genesen zu lassen, an der Frage der seinen Bürgern angeblich gewährten Rechte und Freiheiten messen lassen. In den Staatsgefängnissen Kaliforniens haben die dort inhaftierten Menschen diese Prüfung längst abgeschlossen. Sie leben dort unter Bedingungen, die wohl niemand seinem ärgsten Widersacher wünschen würde und die gleichwohl in ihrem vernichtenden Potential nicht eben einfach zu vermitteln sind.

Namentlich in den SHU-Abteilungen ("Special Housing Unit") kalifornischer Gefängnisse, wie die dortigen Isolationstrakte genannt werden, ist der american dream längst als Alptraum entlarvt worden. Die hier inhaftierten Gefangenen werden in extremer Isolation gehalten. Sie müssen in einem extra abgeschotteten Bereich des Gefängnisses in Betonzellen leben, die keine Fenster und damit kein Tageslicht haben. Um jegliche Kommunikation der Inhaftierten schon durch die baulichen Einrichtungen zu unterbinden, wurden eigens Schallisolierungen angebracht. Die SHU-Gefangenen sind somit einer systematischen sozialen wie sensorischen Deprivation ausgesetzt, kurz gesagt einer Isolationsfolter, deren zerstörerische physische wie psychische Folgen sattsam bekannt und deshalb von den Gefängnisverantwortlichen auch beabsichtigt sein müssen.

Die Lage der Betroffenen wird zusätzlich dadurch erschwert, daß sie diesen unerträglichen Haftbedingungen für lange Zeit, oft über viele Jahre, ausgesetzt sind und all ihre Proteste und Änderungswünsche bislang unberücksichtigt geblieben sind. Wenn dem nicht so wäre, wäre kaum zu erklären, wie sich in recht kurzer Zeit ein unbefristeter Hungerstreik von Gefangenen eines solchen Isolationstraktes auf sehr viele andere Gefängnisse Kaliforniens hätte ausweiten können. Begonnen hatte dieser Streik am 1. Juli in der SHU-Abteilung D1 des Pelican Bay Staatsgefängnisses mit 43 der 52 Häftlingen, die aus Protest gegen ihre Haftbedingungen die Nahrungsaufnahme verweigerten. Den Angaben von Angehörigen der Hungerstreikenden zufolge haben sich Gefangene der übrigen SHU-Abteilungen dieses Gefängnisses daraufhin fast geschlossen dem Hungerstreik angeschlossen wie auch weitere Häftlinge des mit 3.500 Insassen insgesamt überbelegten Hochsicherheitsgefängnisses [1].

Dieser Gefangenenprotest griff jedoch in Windeseile auch auf andere Anstalten Kaliforniens über, in denen sich die dort Inhaftierten mit den Hungerstreikenden von Pelican Bay solidarisierten, indem sie ebenfalls die Nahrungsaufnahme verweigern. Hunderte Häftlinge in den Staatsgefängnissen Corcoran und Folsom protestieren auf diese Weise gegen ihre Haftbedingungen, aber auch die unbegrenzte Isolationshaft in Pelican Bay. Inzwischen ist dieser Hungerstreik sogar auf elf der insgesamt 33 Gefängnisse Kaliforniens übergesprungen und hat damit ein Ausmaß und eine Relevanz erreicht, die von den jeweiligen Gefängnisleitungen wie auch den zuständigen Behörden nicht länger ignoriert werden können. So mußte die Sprecherin der kalifornischen Gefängnisbehörde "California Department of Corrections and Rehabilitation" (CDCR), Terry Thornton, nach Angaben der Los Angeles Times inzwischen einräumen, daß "in wenigstens einem Drittel unserer Gefängnisse die Insassen die Aufnahme des Anstaltsessens" [verweigern] [2]. Thornton, die die Zahl der Hungerstreikenden anfangs auf einige Dutzend heruntergerechnet hatte, gab nun an, daß es schwierig sei, die genaue Zahl streikender Gefangener einzuschätzen.

Plausibel wäre allerdings auch die Annahme, daß seitens der kalifornischen Gefängnisbehörde alles nur Denkbare unternommen wird, um eine weitere Ausdehnung dieser Protestbewegung von und unter Menschen, die unter extremsten Umständen nicht bereit sind, darauf zu verzichten, sich mit anderen zu solidarisieren, durch gezielte Desinformation zu verhindern. So vermutet die Rechtsanwältin Carol Strickman, die für den in San Francisco ansässigen Rechtshilfeverein "Prisoners with Children" (Gefangene mit Kindern) sowie das Oaklander Komitee "Prisoner Hunger Strike Solidarity" (Gefangenen-Hungerstreik- Solidarität) tätig ist, daß die Behörden die genaue Zahl der Hungerstreikenden sehr genau kennen, aber bewußt zurückhalten. Ihrer Kenntnis nach gäbe es gesicherte Hinweise darauf, daß sich allein in sechs Gefängnissen Tausende Häftlinge am Hungerstreik beteiligen [2].

Im Staatsgefängnis Pelican Bay, in dem dieser Protest seinen Anfang genommen hatte, sollen sich inzwischen sogar 400 Häftlinge der Nahrungsverweigerung als Protest- und Kampfmittel angeschlossen haben. Am 4. Juli, bekanntlich dem Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten, unternahm die Gefängnisleitung einen allerdings kläglich gescheiterten Versuch, diesen Widerstand so vieler Gefangener zu brechen. Entgegen der mageren Kost, die hier wie in den übrigen Anstalten des Landes üblich ist, wurde ein sogenanntes "Vierter-Juli-Menü" kredenzt mit Kuchen und Eiscreme und damit Leckereien, die die Gefangenen hier seit Jahrzehnten nie zu Gesicht bekommen haben. Doch nicht das kärgliche Essen, sondern die extreme Isolation ist der Hauptangriffspunkt dieses Hungerstreiks.

Carol Strickman stellte gegenüber der Los Angeles Times klar, wie dieses System funktioniert, indem sie von einem Teufelskreis sprach, in dem die Gefangenen sich gezwungen sehen zu lügen, um aus dem Isolationstrakt herauszukommen. Wie auch einer Stellungnahme des Rechtshilfevereins "Prisoners with Children" zu entnehmen war, könne ein Gefangener der Isolierung nur entkommen, indem er andere Gefangene denunziert. Es liegt auf der Hand, daß die Funktionsweise des Systems darauf beruht, die Inhaftierten gegeneinander auszuspielen und gegeneinander aufzubringen. Wenn die Meldung über einen Regelverstoß eines anderen Häftlings oder dessen Mitgliedschaft in einer Bande zwar nicht der Freifahrtschein in die Freiheit, so doch in den dem Isolationstrakt gegenüber erträglicheren Gefängnisbereich ist, wird es natürlich zu solchen Meldungen, ob sie nun auf tatsächlichen oder erfundenen Angaben beruhen, kommen.

Ob dies tatsächlich "natürlich" ist, wurde durch den in nicht einmal zwei Wochen von tausenden Gefangenen aufgegriffenen Hungerstreik in Frage gestellt. Ihr Protest gilt nicht nur den Haftbedingungen und der Isolationsfolter, sondern ist zugleich bereits ein Manifest darüber, daß die Herrschaftstechnik des Teilens und Herrschens zwar eine lange Tradition aufweist und aus Sicht ihrer Anwender große Erfolge vorzuzeigen hat und noch größere verspricht, keineswegs unanfechtbar ist. Die kalifornischen Hungerstreik-Gefangenen haben mit dieser Aktion bereits jetzt ein sichtbares und über alle Mauern hinweg verständliches Zeichen gesetzt. Diese Botschaft wurde auch außerhalb der Gefängnismauern verstanden und umgesetzt; so kam es in den USA und Kanada in der vergangenen Woche bereits in zwölf Städten zu Kundgebungen, deren TeilnehmerInnen sich mit den Hungerstreikenden solidarisch erklärt haben.

Hätten die Gefängnisverwaltungen und Justizbehörden des amerikanischen Sonnenstaates die unerträglichen Verhältnisse in den Anstalten verbessern und den Häftlingen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen wollen, hätten sie dazu bereits ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt. Vor knapp zwei Jahren, Anfang August 2009, hatte ein US-Bundesgericht dem Staat Kalifornien auferlegt, Maßnahmen gegen die Überfüllung in den Gefängnissen zu ergreifen. Innerhalb von zwei Jahren, die nun so gut wie um sind, sollte von Gerichts wegen die Zahl der in kalifornischen Gefängnissen inhaftierten Erwachsenen von 150.000 um 40.000 auf 110.000 gesenkt werden. Die 33 Gefängnisse für Erwachsene (in denen heute bereits zu einem Drittel gestreikt wird) platzten aus allen Nähten und seien nicht mehr zu führen, so das Fazit der Richter des Bundesgerichts von 2009 [3]. Diese Vorgeschichte macht erklärbar, warum heute so viele Häftlinge in den Isolationstrakten und Gefängnissen auf Eiscreme und Versprechungen nicht mehr ansprechbar und stattdessen sogar bereit sind, in der einzigen Kampfform, derer sich Menschen in einer derart zugespitzten und isolierten Lage noch bedienen können, nämlich in einem unbefristeten Hungerstreik, das eigene Leben einzusetzen.


Anmerkungen

[1] Hungerstreiks ausgeweitet. Hunderte Gefangene in Kalifornien protestieren gegen Haftbedingungen. Von Jürgen Heiser, junge Welt, 05.07.2011, S. 7

[2] Gefangene hungern. Proteste gegen Isolationshaft in Kalifornien weiten sich aus. Bereits Tausende im Streik. Von Jürgen Heiser, junge Welt, 08.07.2011, S. 7

[3] Kalifornien: 40000 Häftlinge zuviel, junge Welt, 06.08.2009, S. 2


11. Juli 2011