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AFRIKA/1794: Befreiungskampf in Simbabwe noch nicht abgeschlossen (SB)


Hunger, Seuchen, Hyperinflation

Simbabwische Bevölkerung wird im Machtkampf zwischen Mugabe-Regierung und westlichen Kräften zerrieben


Der bodenlose Niedergang der Lebensverhältnisse in Simbabwe wirft Fragen auf. Handelt es sich um die Folge der Machenschaften eines autokratischen Herrschers namens Robert Mugabe und seiner mutmaßlich korrupten Regierungspartei ZANU-PF? Oder sollte man statt von einem Niedergang treffender von einem Niederringen einer in Ungnade gefallenen simbabwischen Regierung durch westliche Staaten sprechen? Beides hat zu der heutigen Lage der Einwohner geführt, und doch wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß der Mittelweg aus beiden Extremen eine passende Erklärung lieferte. Es bedurfte keineswegs des Drucks seitens der westlichen Staaten, daß Mugabe Anfang der 1980er Jahre rücksichtslos gegen die Bewohner des Matabelelands vorging.

Insofern hat sich Mugabe seit damals kaum gewandelt. Die äußeren Umstände hingegen haben sich verändert, und so wurde der einstige Hoffnungsträger plötzlich ein Unterdrücker und Schurke. Hätte er dagegen in den neunziger Jahren vorbehaltlos die extrem sozialfeindlichen Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank umgesetzt und mit Waffengewalt und letzter Konsequenz gegen die Bevölkerung durchgesetzt, hätte er nicht den kolonialzeitlichen Landraub zwangsweise rückgängig gemacht und damit einigen Leuten in den westlichen Metropolen gehörig auf die Füße getreten, wäre er dort womöglich auch heute noch wohl angesehen. Mugabe hätte sich nicht Anfang dieses Jahrzehnts an die Spitze der Farmbesetzer stellen, sondern hätte die paar tausend von Weißen betriebenen Großfarmen, die im Besitz von rund 70 Prozent der besten landwirtschaftlichen Fläche waren, gegen die aufgebrachte Bevölkerung, ehemalige Befreiungskämpfer und junge, perpektivlose Menschen verteidigen müssen, dann hätten die britische Regierung und andere Kräfte vermutlich kein Oppositionsbündnis gegen ihn geschmiedet, um ihn zu Fall zu bringen.

Der simbabwische Präsident hat einen anderen Weg gewählt, der sich noch stärker gegen die eigene Bevölkerung richtete, als wenn er den ebenfalls gegen diese gerichteten Kurs der westlichen Regierungen eingeschlagen hätte. Das bedeutet aber nicht, daß das deswegen die Wahl der Stunde gewesen wäre. Er hätte ja auch einen gänzlich anderen Kurs einschlagen können, ohne seinen Widerstand gegen die Vereinnahmungsversuche aufzugeben. Aber dazu war er von Anfang an nicht der Mann. Schon im Lancaster-House-Abkommen, das am 21. Dezember 1979 in London unterzeichnet wurde und das den Wechsel von der rhodesischen Apartheidregierung zum von Mugabe und Joseph Nkomo geführten Simbabwe markierte, hatte sich die Anführer der simbabwischen Befreiungsbewegung darauf eingelassen, die Frage der extrem ungleichen Landverteilung zehn Jahre ruhen zu lassen bzw. Besitzwechsel von Land nur auf freiwilliger Basis durchzuführen.

Mehr lag nicht drin, hatte es anschließend von Seiten Mugabes geheißen, und er konnte auf die Vereinbarung verweisen, der zufolge die Landreform von Großbritannien unterstützt werden sollte. Im Rückblick müßte man sagen, daß Mugabe schon damals seine Mitstreiter im Befreiungskampf verkauft hat. Heute widersetzt er sich zwar der Vereinnahmung seines Landes durch die Kräfte der Globalisierung, indem er die Landumverteilung durchgezogen hat, aber es stellt sich die Frage, für wen er das getan hat. Die Lebensverhältnisse in Simbabwe sind unsäglich schlecht, während nun eine kleine, regierungsnahe Clique über ausgedehnte Ländereien verfügt. Die Landreform von Simbabwe sollte nicht als Vorbild für andere, längst überfällige Landreformen in Afrika dienen.

Die Simbabwer sind nichts als ein Spielball fremder Kräfte. Von Sanktionen seitens der EU und USA gegen die simbabwische Führung und wirtschaftlichen Knebeln gegen das Land ist die Bevölkerung in einem viel stärkeren Ausmaß betroffen als die Regierung. Das war zu erwarten, denn der Staat verfügt über die Gewaltmittel. Nicht die einfachen Bauern, sondern die Regierungsmitglieder haben die Möglichkeit, Mängel in der Versorgung auszugleichen. Deshalb trifft es nicht zu, daß EU und USA nur Regierungsmitglieder unter Druck setzen. Die merken davon am wenigsten, während in der Bevölkerung die Not wächst. An einer aktuellen Cholera-Epidemie sind bereits über dreitausend Einwohner gestorben, die Inflationsrate steigt ihrerseits inflationär und liegt im dreistelligen Millionenbereich.

Sieben Millionen Simbabwer sind mittlerweile auf Nahrungshilfe angewiesen - mit Sicherheit befindet sich darunter kein einziges Regierungsmitglied. Die Idee der Sanktionen funktioniert nicht in der behaupteten Weise, und daß die EU weiterhin auf diese Karte setzt, bedeutet nicht, daß sie darum nicht wüßte. Das Leid von Millionen Menschen wird nicht nur in Kauf genommen, sondern absichtlich provoziert. Jedermann weiß spätestens seit dem gnadenlosen, menschenvernichtenden Öl-gegen-Lebensmittelprogramm der Vereinten Nationen während der 1990er Jahre in Irak, daß nicht die Regierung, sondern die Bevölkerung unter Sanktionen leidet. Offensichtlich sollen die Menschen in Simbabwe dafür abgestraft werden, daß sie solch eine Regierung haben ...

Die Menschen werden von allen Seiten verraten und verkauft. Selbst das Welternährungsprogramm (WFP), das angetreten ist, den Menschen in Simbabwe Nahrung zukommen zu lassen, deckt nur einen Teil des Bedarfs ab. Wie die britische Zeitung "The Guardian" (29. Januar 2009) meldete, muß das WFP die monatliche Maismenge für sieben Millionen Menschen, die rund 70 Prozent der Bevölkerung ausmachen, von zehn auf fünf kg senken. Damit erhalten die Bedürftigen 600 Kalorien pro Tag weniger.

Das WFP benötigt zusätzliche 65 Mio. Dollar, um die Menschen bis Ende März mit Nahrung zu versorgen. Da sich die Geberländer bislang zurückhalten, bekommen die Einwohner nun gefährlich wenig zu essen. WFP-Regionalsprecher für das südliche Afrika Richard Lee teilte mit, daß sich die Simbabwer nun zusätzlich Nahrung suchen müssen, um zu überleben. Die WFP-Rationen fallen "unter die Überlebensmenge". Das WFP hofft, die Menschen bis April irgendwie durchzubringen, denn dann enden die traditionellen Mangelmonate Februar und März, in denen häufig die alte Ernte aufgebraucht, die neue aber noch nicht eingefahren ist. Allerdings zeichnet sich deutlich eine Mißernte ab - der Mangel wird auch ab April nicht behoben sein.

Die Folgen der Rationenkürzung werden womöglich noch in Generationen feststellbar sein, denn unterernährte Menschen sind krankheitsanfälliger, die Sterberate steigt an, und die kognitiven Fähigkeiten von Kinder werden nicht voll entwickelt. Darüber hinaus verkaufen vom Lebensmittelmangel betroffene Familien Haus und Hof und damit ihre wirtschaftliche Zukunft, um kurzfristig an Nahrung heranzukommen.

In einer nach Eigentum geordneten Welt miteinander konkurrierender Staaten, Unternehmen und Menschen, von denen einer zu Lasten der anderen nach Vorteilen strebt, werden die Menschen in Simbabwe, ob unter der Knute der Mugabe-Regierung oder unter westlichen Ausbeutungsverhältnissen, in existentielle Not geworfen. Die Befreiungsbewegung gibt es nicht mehr, doch Befreiung ist kein Zustand, sondern ein Prozeß. Wer sagt, daß der abgeschlossen ist? Den Simbabwern wäre zu wünschen, daß sie sich sowohl von den etablierten Regierungsstrukturen als auch den Globalisierungsintessen, die auf eine Verwertung der Arbeitskräfte für die Exportwirtschaft und damit einen andernorts höheren Lebensstandard abzielen, befreien.

9. Februar 2009