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AFRIKA/1869: Ruanda-Genozid - Belastungszeuge Mugenzi widerruft Aussage (SB)


Werden Zeugen des Ruanda-Genozids systematisch unter Druck gesetzt, damit sie ihre Aussagen widerrufen?

UN-Sicherheitsrat blockiert seit Jahren Ermittlungen zum Attentat auf zwei afrikanische Staatspräsidenten


Seit mehr als 15 Jahren wird der Auslöser des sogenannten Ruanda-Genozids, bei dem rund 800.000 Tutsi und moderate Hutu ihr Leben verloren, nicht aufgeklärt. Die Vereinten Nationen, die laut einem Beschluß des UN-Sicherheitsrats vom November 1994 ein Ad-hoc-Tribunal für Ruanda (ICTR - International Criminal Tribunal of Rwanda) eingerichtet haben, weigern sich vehement, diesen Teil ihres Auftrags - die Ermittlung sämtlicher 1994 in Ruanda begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit - zu erfüllen. Angeblich ist es nicht von Belang, wer das Flugzeug abgeschossen hat, das sich am 6. April 1994 im Landeanflug auf den Internationalen Flughafen von Kigali befand und die Staatspräsidenten Ruandas (Juvénal Habyarimana) und Burundis (Cyprien Ntaryamira) sowie weitere Politiker und Militärs befördert hatte. Es gab keine Überlebenden. Nur wenige Stunden darauf setzten Unruhen ein, die schon bald zu einem systematischen Abschlachten der Tutsi und aller unliebsamen Personen auswuchsen.

Wenn auch jegliche Ermittlungen bezüglich der Verantwortlichen des Abschusses aus bis heute im dunkeln gelassenen Gründen von der früheren UN-Chefermittlerin Louise Arbour abrupt abgebrochen wurden, nachdem sich der Verdacht erhärtete, daß der frühere Anführer der von Uganda unterstützten Invasionsarmee RPA (Ruandische Patriotische Armee) und heutige Präsident Ruandas, Paul Kagame, den Attentatsbefehl gab [1], und folgerichtig die Täterschaft eigentlich als völlig offen behandelt werden müßte, wird in den Medien häufig eine bestimmte, wenngleich unbewiesene Version verbreitet, nämlich daß wahrscheinlich "extreme" Hutu ihren eigenen Präsidenten abgeschossen haben, da sie mit seiner Versöhnungspolitik nicht einverstanden gewesen sein sollen.

Vor einigen Jahren hat der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière Ermittlungen zum Abschuß der Präsidentenmaschine aufgenommen, nachdem die Angehörigen der ebenfalls beim Attentat umgekommenen französischen Besatzung Klage eingereicht hatten. Am 17. November 2006 stellte er als Ergebnis seiner Untersuchungen einen Internationalen Haftbefehl gegen neun hochrangige Mitglieder der RPA aus. Kagame selbst bleibt von dem Haftbefehl ausgenommen, weil er als Präsident Immunität genießt.

Alternative Täterthesen prüfend und unter Nennung zahlreicher Zeugen, begründete Bruguière den Haftbefehl sehr detailliert. [2] Inzwischen hat er seine Ermittlungen an zwei Stellvertreter (Marc Trévidic und Philippe Coirre) abgetreten, nachdem er vom französischen Präsidenten zum Berater ernannt wurde. Es wird sich zeigen, ob Bruguies Nachfolger im gleichen Ausmaß wie er bereit sind, unbequeme Fragen zu stellen. Die Ernennung des Untersuchungsrichters zum Berater könnte als Frankreichs Geste der Versöhnung in Richtung Ruanda gedeutet werden, sollten die Ermittlungen aufgrund dieser Umdisponierung in diplomatisch seichtere Gewässer gelotst werden oder gar vollends versanden.

Einer der Zeugen Bruguières, Richard Mugenzi, hat vor kurzem seine belastende Aussage überraschend zurückgezogen. Die ruandische Presse jubelt. [3] Zuvor hatte Mugenzi behauptet, er habe als Funker bei der ruandischen Armee eine Meldung abgefangen, in der sich die RPA den Abschuß Habyarimanas auf die Fahne schrieb. [4] Nun behauptet er in einem Interview mit Jean-Francois Dupaquier für die französische Zeitung "Le Monde" [5], daß das nicht zutreffe. Der Text sei ihm von Hutu-Extremisten der FAR (1994 war die FAR ruandische Regierungsarmee) als Anti-Tutsi-Propaganda diktiert worden. "Der Angriff auf das Flugzeug hatte nichts mit der RPA zu tun", zitiert die ruandische Zeitung "The New Times" Mugenzi. [6]

Zwei Dinge fallen hieran besonders auf: Wieso zieht der Zeuge seine frühere Aussage zurück? Und wieso behauptet er plötzlich, daß die RPA nichts mit dem Attentat zu tun hat? Immerhin könnte sie - aus seiner Sicht - nach wie vor für den Anschlag verantwortlich sein, selbst wenn die Funkmeldung eine Täuschung gewesen sein sollte. Der Rückzieher erweckt den Eindruck, als sei Mugenzi nicht damals, sondern in jüngster Zeit unter Druck gesetzt worden. Es wäre zu prüfen, ob der Preis darin besteht, daß er, obgleich er zunächst als Belastungszeuge gegen die heutige Regierung auftrat, nun wohlbehalten in seine Heimat zurückkehren durfte. [7]

Die ruandische Presse ist sichtlich um den Eindruck bemüht, als sei die Anklage Bruguières eine rassistisch motivierte Konstruktion, die nun, nachdem inzwischen der vierte Zeuge seine frühere Aussage widerrufen hat, wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Das anzunehmen ist jedoch übertrieben und wird der umfassenden Ermittlungsarbeit Bruguières nicht gerecht.

Es trifft allerdings sehr wohl zu, daß, im Unterschied zu Mugenzis Rückzieher, derjenige des in Norwegen lebenden Zeugen Abdul Joshua Ruzibiza durchaus schwer gewogen hat. Ruzibiza hatte vor dem ICTR, in zahlreichen Interviews sowie in einem von ihm verfaßten, mehrere hundert Seiten starken Buch die Kagame-Regierung aufs schwerste belastet. [8] Doch plötzlich wollte er davon nichts mehr wissen und behauptete, er sei von Bruguière bzw. Mitgliedern der französischen Administration manipuliert worden. Dieser Rückzieher wirkt noch unglaubwürdiger als der Mugenzis und könnte aufgrund des Drucks seitens der Kagame-Administration zustandegekommen sein.

Laut "The New Times" [6] haben auch die Zeugen Deus Kagiraneza und Emmanuel Ruzigana ihre früheren Aussagen zurückgezogen. Da der Abschuß der Präsidentenmaschine über 15 Jahre zurückliegt, könnte der Wunsch der Zeugen, die Sicht der Ereignisse zu schildern, wie sie sie erfahren haben, nachgelassen haben. Falls sie unter Druck gesetzt wurden, hat vielleicht das Argument zu ihrer "Überzeugung" beigetragen, daß nach einer so langen Zeit sie mit ihrer den Präsidenten eines Landes belastenden Behauptung nichts mehr werden bewirken können. Warum also das eigene Leben oder das der Familie für eine derart aussichtslose Sache verschwenden?

Wie gesagt, es handelt es sich um eine These. Es ist jedoch zu bemerken, daß das Interesse an einer Klärung des Attentats auf zwei Hutu-Präsidenten mehr und mehr nachläßt. Vielleicht werden eines Tages, wenn endgültig Gras über die Sache gewachsen ist, Historiker die losen Enden verknüpfen und keine Scheu vor den sich aufdrängenden Schlußfolgerungen haben. Dazu dürfte es jedoch so lange nicht kommen, wie die Verantwortlichen bei der RPF über Einfluß verfügen ... und nicht zuletzt von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats gedeckt werden.


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Anmerkungen:

[1] Nähere Einzelheiten hierzu unter: AFRIKA/1852: Dunkle Vergangenheit der neuen ICG-Präsidentin Louise Arbour (SB)

[2] Der Internationale Haftbefehl ist in einer englischen Version nachzulesen unter: http://www.taylor-report.com/Documents/BrugiereReport-English.pdf

[3] "Rwanda: Bruguiere in the Dock", Editorial in: The New Times (Kigali), 26. August 2009
http://allafrica.com/stories/200908270032.html

[4] "Another setback for Bruguias witness retracts testimony", Online-Zugriff am 27. August 2009
http://www.rwandagateway.org/gateway_new/spip.php?article263

[5] "Génocide rwandais : un témoin clé se rétracte", Le Monde, 25. August 2009
http://www.lemonde.fr/afrique/article/2009/08/25/genocide-rwandais-un-temoin-cle-se-retracte_1231666_3212.html

[6] "Rwanda: Bruguière Loses Another Key Witness", The New Times (Kigali), 26. August 2009
http://allafrica.com/stories/200908260092.html

[7] "Witness retracts claims on murder of ex-Rwanda prez", AFP, 25. August 2009
http://ca.news.yahoo.com/s/afp/090825/world/france_rwanda_genocide_probe_report

[8] Nähere Einzelheiten hierzu unter: AFRIKA/1768: Ruzibizas Rückzieher - taktischer Erfolg für Ruandas Regierung (SB)

27. August 2009