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AFRIKA/1901: Fortgesetzte Landnahme in Äthiopien (SB)


Saudi-Arabien will in Äthiopien Zuckerrüben anbauen

Sechs bis neun Millionen Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen


Äthiopien versucht, mittels der Verpachtung von Land mehr Devisen einzunehmen, um sie, eigenem Bekunden zufolge, unter anderem für strukturelle Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produktion zu verwenden. Dabei befindet sich die Regierung in einem Dilemma, denn sie muß zwischen den verschiedenen Interessen abwägen, sagte kürzlich der für Nordäthiopien zuständige Regionalleiter der NGO-Dachorganisation CRDA (Christian Relief & Development Association), Mulugeta Worku Ayele, in einem Interview mit dem Schattenblick. [1] Seine persönliche Einschätzung sei, daß die Regierung vorhabe, den Armen und Ausgegrenzten Land zukommen zu lassen. Es bestehe allerdings das Problem, daß traditionelle Bewirtschaftungsformen zur Verschlechterung der Bodenqualität beitragen, insbesondere wenn es zu einem unkontrollierten Abholzen des Baumbestands und schweren Erosionsfolgen kommt.

Kritiker der äthiopischen Regierung hingegen befürchten, daß sich die Regierung oder einzelne Mitglieder durch die Preisgabe von Land bereichern, während sechs bis neun Millionen Einwohner teils oder vollständig auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen bleiben. Vonnöten wäre deshalb, die Vergabe von Land an ausländische Interessen zu stoppen und eine Landreform durchzuführen, so daß tatsächlich die Armen und Mittellosen die Chance erhalten, sich eine eigene Existenz aufzubauen.

Saudi-Arabien zählt zu jenen Ländern, die Nahrung importieren müssen und in Äthiopien bereits größere landwirtschaftliche Flächen gepachtet haben. Im November hat das junge saudi-arabische Unternehmen Saudi Star Agricultural Development Plc des Mohammed Ali Al-Amoudi beim äthiopischen Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung einen Pachtantrag für weitere 250.000 Hektar Agrarland in Jawi Wereda, das in der Awi Zone des Bundesstaats Amhara liegt, gestellt. Al-Amoudi will dort Zuckerrüben anbauen, meldete die äthiopische Zeitung "Addis Fortune". Nun werde der Antrag im Direktorat zur Unterstützung von Investoren unter Staatsminister Abera Deressa geprüft. [2]

Das saudi-arabische Unternehmen beabsichtigt, binnen zehn Jahren 500.000 Hektar Land in Äthiopien zu erschließen. Der finanzielle Umfang des Plans beläuft sich auf drei bis fünf Milliarden Dollar. Gegenwärtig bereitet Saudi Star die Bewirtschaftung von 10.000 Hektar Agrarland in der Region Alwero, Bundesstaat Gambella, vor. Dort wird Reis angebaut, später sollen Mais und Weizen folgen. Das Gebiet in der Amhara-Region weist ausgesprochen gute Daten auf, 98 Prozent der Fläche ist eben und die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge beträgt 1200 bis 1300 Millimeter. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Jahresdurchschnittswert bei 770 Millimeter. Allerdings besteht im tropischen Äthiopien das Problem, daß sich der Niederschlag hauptsächlich auf zwei Regenzeiten verteilt und daß er, wenn es regnet, so kräftig ist, daß er die Bodenkrume wegreißt. Erosion ist ein großes Problem in dem ostafrikanischen Land, insbesondere in den Bergregionen, die 40 Prozent der Fläche einnehmen und relativ dicht besiedelt sind.

Saudi Star und das indische Unternehmen Karuturi sind zur Zeit die beiden größten ausländischen Agrarunternehmen in Äthiopien - Karuturi hat in der Provinz Gambella 300.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche gepachtet und baut dort eine Weizenproduktion auf -, aber die Zahl der Interessenten geht weiter darüber hinaus.

In Äthiopien befindet sich sämtliche landwirtschaftliche Fläche in Staatsbesitz. Die Regierung teilt den Bauern Land zu und kann es auch wieder wegnehmen. Daraus entstand in der Vergangenheit das Problem, daß die Bauern keine langfristigen Investitionen vornahmen, da sie das ihnen zugeteilte Land jederzeit wieder verlieren konnten. Das sei keine Theorie, sondern wurde praktiziert, versicherte CRDA-Regionalleiter Mulugeta.

Wenn heutzutage ausländische Investoren ihr Land nicht nutzen, kann es ihnen ebenfalls wieder weggenommen werden. So meldete die Zeitung "Addis Fortune" am Sonntag [3], daß 40 potentielle Investoren im Begriff stehen, ihre Landnutzungsrechte zu verlieren. Die Stadtinvestitionsbehörde hatte eine Überprüfung von Baugrund vorgenommen, der vor vier Jahren verpachtet worden war. Die Entscheidung über eine Rücknahme der Nutzungslizenz wird für das kommende Jahr erwartet.

In den nächsten drei Jahren will Äthiopien weitere drei Millionen Hektar Agrarland an ausländische Investoren freigeben. Das Landwirtschaftsministerium hat insgesamt sogar 23 Millionen Hektar Land allein für die Biospritproduktion ausgewiesen und hofft, über deren Verpachtung Finanzmittel generieren zu können. [4] Ein häufiges Problem bei der großflächigen Vergabe von Land besteht in der Vertreibung der angestammten Bevölkerung. Denn auch wenn Land urbar gemacht wird, bedeutet das nicht, daß es zuvor ungenutzt war. Es war meist nur nicht maschinell genutzt, sondern diente Menschen zum Sammeln von Feuerholz oder Früchten oder auch als Weidefläche. Das entspricht zwar nicht den agroökonomischen Kriterien einer intensiven Bewirtschaftung, aber aus der Sicht der Bewohner dieser Regionen werden sie eben so intensiv genutzt, wie es erforderlich ist. Alles in allem überwiegen jedoch eher die Konflikte der verschiedenen Ethnien um die Landnutzung, während die Verteilung von Land von jeher der Regierung obliegt.

In Anbetracht der Verhaftung von Oppositionspolitikern in der jüngsten Zeit kommen Zweifel auf, ob sechs Monate vor den Wahlen in Äthiopien eine offene gesellschaftliche Diskussion über das Problem der Landnahme geführt werden kann.


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Anmerkungen :

[1] Siehe dazu UMWELT -> REPORT -> BERICHT/001: WeltRisikoIndex - Besuch einer Fachtagung (SB)

[2] "Ethiopia: Al-Amoudi Solicits Additional Arable Land", Addis Fortune, 7. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912080790.html

[3] "Authority Eager to Reclaim Land Doled out to Investors", Addis Fortune, 13. Dezember 2009
http://www.addisfortune.com/Authority Eager to Reclaim Land Doled out to Investors.htm

[4] "Bio-diesel Supply Giants Come to an Understanding", Addis Fortune, 13. Dezember 2009
http://www.addisfortune.com/Bio-diesel Supply Giants Come to an Understanding.htm

14. Dezember 2009