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AFRIKA/1937: Keine nachholende Entwicklung zu erwarten (SB)


Landnahme - Begleitfolge einer herrschaftsförmigen Weltordnung


Ausländische Investoren kaufen oder pachten ausgedehnte Agrarflächen in Afrika, weil sie dort Pflanzen zu Nahrungszwecken oder zur Herstellung von Treibstoff anbauen wollen. Von einer neuen Rekolonialisierung Afrikas zu sprechen beschreibt diesen Vorgang jedoch aus zwei Gründen nur ungenügend. Erstens wurde Afrika gar nicht flächendeckend kolonialisiert, wohl aber mit Hilfe örtlicher Herrscher sowie unter Ausnutzung von traditionellen Stammesrivalitäten unterworfen und für die europäischen Mächte zur einfachen Beute gemacht. Zu einer Kolonialisierung im eigentlichen Sinn kam es dagegen hauptsächlich im Süden des Kontinents sowie an küstennahen und ausgewählten Orten, teils in Verbindung mit Garnisonen, im Landesinnern.

Zweitens wurde der Zugriff auf afrikanische Ressourcen zu keiner Zeit preisgegeben, so daß deshalb nicht von einer "Re"-Kolonialisierung gesprochen werden kann. Selbst als ein großer Teil der Länder Afrikas in den 1960er Jahren in die vermeintliche Unabhängigkeit entlassen wurde, wurde schlicht auf andere Weise als zuvor sichergestellt, daß das Ausbeutungsverhältnis zwischen den afrikanischen Produktionsräumen und den Nutzungsräumen des Westens unangetastet blieb. Die Mittel und Methoden zur Sicherung der Vorherrschaft waren und sind noch heute vielfältig und reichen vom zinsgetriebenen Verschuldungssystem bis zur Etablierung und Dauerbefestigung einer globalen Wertschöpfungskette, an deren Basis die körperlich verschleißträchtige Arbeit in Landwirtschaft und Bergbau der Länder des Südens am schlechtesten bezahlt wird, während die Tätigkeit der Verwalter des Handelsverkehrs und die seiner Finanziers am höchsten bewertet und entgolten wird.

Die seit einigen Jahren unter Hochdruck vorangetriebene Landnahme in Afrika erscheint deshalb als weiterer Vorstoß auf dem gleichen alten Raubzug, und nur weil jetzt Staaten wie China, Indien, Südkorea oder auch die Anrainerstaaten des Persischen Golfs diese Entwicklung mittragen oder sogar vorantreiben, macht das den Vorgang zu keiner Neuerung. Ohne die Mitwirkung örtlicher Sachwalter läßt sich der Landraub nicht bewerkstelligen. Wobei hier keineswegs allen Regierungen oder örtlichen Chiefs, denen die Vergabe von Land obliegt, unterstellt werden soll, daß sie sich persönlich bereichern. Aber bei der Frage, wer vor allem von der Vergabe von Land profitiert, sind diejenigen, die es bis dahin genutzt haben, häufig als letztes zu nennen - nicht selten, daß sie sogar schwerwiegende Nachteile erleiden. Vertreibung, Zerstörung indigener Kulturen, Wasserraub durch Plantagenbetreiber, Verlust von Wäldern, in denen bis dahin Vieh geweidet, Nahrung oder Brennholz gesammelt wurde, sind typische Begleiterscheinungen des Landraubs - Einstellung von Einheimischen als Arbeitskräfte und Verbesserung der Infrastruktur lauten die Versprechungen, die ihn begleiten und für die Geprellten schmackhaft machen sollen.

Solange die Matrix für diese, die Lebens- oder gar Überlebenschancen extrem ungleich verteilenden Weltordnung unhinterfragt bleibt, laufen sämtliche Projekte der großflächigen Landerschließung durch Investoren Gefahr, das gegebene Ausbeutungssystem fester zu verankern denn je. Und die Zukunft läßt kaum eine andere Entwicklung als die der Vertiefung dieser Verhältnisse erwarten. So hat vor rund drei Jahren die Finanzkrise das frei flukturierende, systemisch nach weiteren Anlagen suchende Kapital bereits Nahrungsmittel als profitträchtige Investition gefunden und dadurch als einer von mehreren Faktoren weltweit die Preise für Getreide nach oben getrieben.

Es ist eine verbreitete Fehlannahme, daß Geld dahin wandert, wo bereits Geld ist. Genauer wäre es zu sagen, daß Geld dahin fließt, wo Mangel herrscht. Wenn die Getreideanbaugebiete Chinas im Dauerfrost erstarren oder Australiens Weizenfelder verdorren, dann reiben sich die Händler die Hände; dann werden raschest möglich Future Bonds geordert - die Not von Menschen läßt das Geschäft erblühen.

Abgesehen von der notorischen Anlagenot kapitalstarker Investoren dürfte auch das Ende des Erdölzeitalters, in dem fossile Energieträger zu niedrigen Preisen zu haben waren, den Run auf Agrarflächen in Afrika in den nächsten Jahren beschleunigen. Länder wie Tansania, Mosambik, Uganda oder Äthiopien bemühen sich mit unterschiedlichem Erfolg, die Landvergabe zu stoppen und volle Kontrolle darüber zu erlangen. Der Trend, daß in Afrika Agrarland für den Anbau von "Energiepflanzen" geschaffen wird, dürfte kaum aufzuhalten sein. Selbst die US-Streitkräfte haben bereits ihre Transformation eingeleitet, so daß fossile Energieträger Schritt für Schritt durch Agrosprit ersetzt werden. Ob dieser tatsächlich in großer Menge durch Algen und damit "nahrungskonkurrenzfrei" hergestellt werden kann, wie Biosprit-Anhänger behaupten, ist nach bisherigem Stand der Entwicklung ungewiß. Im übrigen eignen sich auch Algen zum Verzehr, so daß die Problematik "Tank statt Teller", wie es bei der landgestützten Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsanbau und Agrospritproduktion besteht, als weitere Variante fortbesteht. Statt die hungernde Menschheit mit verarbeiteten Algen zu sättigen, würden sie in Flugzeugen, Schiffen und Fahrzeugen der Militärs verheizt.

Ein dritter Aspekt, der die Gier nach afrikanischen Agrarflächen aufrechterhalten wird, betrifft das Klima. Durch die Erderwärmung erschließen sich zwar hier und da neue Gebiete, die fortan bewirtschaftet werden können, aber global gerechnet dürften die Verluste die Gewinne bei weitem überwiegen. Meeresspiegelanstieg, Gletscherschwund, Erosionen, Versalzung und Auslaugung der Böden, Ausbreitung von Wüsten, Dürre und andere Extremwetterereignisse lassen die verfügbare landwirtschaftliche Fläche schrumpfen.

Darin sehen einige Analysten eine Chance für Afrika, da der Wert des Lands mit dem Mangel steigt. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß nicht die Ressourcenländer am längeren Hebel sitzen, sondern die Nutzungsländer. Aber sollte jemand in den Ressourcenländern vom ausgebeuteten Naturreichtum profitieren, dann ist es die Oberschicht. Das zeigt beispielsweise die Erdölförderung in Ländern wie Angola, Sudan, Nigeria, Äquatorial-Guinea ... Die Erwartungen der Bevölkerung Ugandas, wo die Erdölförderung gerade erst angelaufen ist und äußerst attraktive Einnahmen verheißt, auf eine merkliche Verbesserung der Lebensqualität sind verständlich - die Sorgen und Bedenken, daß die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft in private Taschen fließen, sind es nicht minder.

Ob fossile oder agrarische Treibstoffe, der Geldwert der Güter an sich verschafft noch keinen Wohlstand für alle. Da spielte es im Prinzip keine Rolle, ob ein Staat mit Naturschätzen gesegnet ist oder nicht, entscheidend ist das politische System bzw. noch grundsätzlicher die gesellschaftliche Ordnung, in der Reichtum und Mangel verteilt und zugewiesen werden.

Von der Vorstellung, daß die afrikanischen Staaten allgemein eine nachholende Entwicklung durchlaufen und einen Wohlstand wie in den Industriestaaten erlangen, muß man sich verabschieden. Es sieht zur Zeit danach aus, daß zwar eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Nord und Süd stattfindet, aber nicht auf hohem, sondern auf niedrigem Niveau. Diesem Trend könnte in zwei Schritten begegnet werden. Im ersten Schritt dürften sich die Marginalisierten und Unterdrückten dieser Welt nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen und im zweiten Schritt dürften sie nicht nach dem Thron streben, sondern müßten ihn schleifen, wo auch immer er sich erhebt.

17. März 2010