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AFRIKA/1951: Somalia - wohin gehst du? (SB)


Somalia - Staatskonzept gescheitert

EU vor Beginn der Polizeiausbildung

Von den USA ausgebildete Soldaten massenhaft desertiert


Somalia vermag sich aus dem Dauerdilemma, daß es Konfliktgebiet sich bestreitender ausländischer Kräfte ist, nicht zu befreien. Aber was ist Somalia eigentlich, wenn nicht ein bereits aufgrund äußeren Drucks gebildeter Staat, in dem die ursprüngliche Gesellschaftsform des Clanswesens gewaltsam zurückgedrängt, aber niemals beendet wurde? Zunächst aufgeteilt unter die europäischen Kolonialstaaten Großbritannien, Frankreich und Italien, dann in die vermeintliche Unabhängigkeit entlassen und von harter Hand regiert, wurde die somalische Staatlichkeit 1990/91 im Zuge eines Aufstands beendet. Fortan beherrschten Warlords das Land. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn sie sich zwischenzeitlich den wohlklingenden Namen "Übergangsregierung" verliehen haben oder als islamistische "Befreiungs"bewegungen firmieren.

In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurde eine UN-Hungerhilfemission für Somalia durch das US-amerikanische Kontingent in eine Mission zur Ergreifung des Klanführers Mohammed Farah Aidid umfunktioniert, was mißlang und letztlich auch die gesamte UN-Mission zum Scheitern brachte. US-Kampfhubschrauber hatten damals nicht nur eine Versammlung von rund 50 einflußreichen Führern der somalischen Gesellschaft, die beraten wollten, wie das schlechte Verhältnis zu den UN-Helfern verbessert werden könnte, zusammengeschossen, sondern auch schätzungsweise 1500 Einwohner der Hauptstadt Mogadischu getötet, nachdem zuvor mehrere US-Soldaten ermordet und deren Leichen durch die Stadt geschleift worden waren. Jahre später wurde das Massaker unter den Stadtbewohnern in dem Hollywood-Streifen "Black Hawk Down" als mutiger Kampf vermeintlich argloser US-Soldaten heroisiert.

2006 belieferte die CIA eine Bande berüchtigter Warlords, die ihr Einkommen bis dahin durch Straßensperren und Wegelagerei bestritten hatten, mit Waffen, damit sie die allmählich an Einfluß gewinnende Union der Islamischen Gerichtshöfe bekämpft. Einen größeren Gefallen hätten die Amerikaner den Islamisten nicht erweisen können. Sie erhielten regen Zulauf, vertrieben die Warlords und eroberten binnen weniger Monate nahezu das gesamte Land mit Ausnahme der abtrünnigen Provinzen Somaliland und Puntland. Von Sommer 2006 bis Ende Dezember 2006 erlebte Somalia eine Phase relativer Ruhe, die allerdings mit scharfen Repressionen erkauft wurde. Die Islamisten führten das islamische Recht der Scharia ein, ließen keine Wegelagerei mehr zu, beendeten weitgehend (!) das Piratentum und eröffneten erstmals seit 1991 wieder den Überseehafen von Mogadischu, so daß die Möglichkeit bestand, Hilfslieferungen anzulanden. Die Straßen der Hauptstadt galten als sicher.

Am 26. Dezember 2006 beendete die äthiopische Armee diese Phase durch ihren Einmarsch. Im Gefolge des Militärs zog die im kenianischen Exil gebildete Übergangsregierung in die Hauptstadt ein. Inzwischen sind die äthiopischen Soldaten wieder abgezogen, und mit dem Staatsoberhaupt Sharif Sheikh Ahmed steht nun ein ehemaliger Islamist, der zu der moderaten Fraktion innerhalb der Union der Islamischen Gerichte gehörte, an der Spitze der Übergangsregierung. Sie kontrolliert nur Teile Mogadischus; im übrigen Somalia bekriegen sich die beiden islamistischen Fraktionen Hizbul Islam und Al-Shabaab, und beide zusammen bekämpfen die Soldaten der AU-Mission AMISOM und der Übergangsregierung. Die wäre sicherlich ohne den Schutz durch AMISOM längst nicht mehr in der Hauptstadt.

Die USA und die Europäische Union versuchen nun Einfluß auf Somalia zu nehmen, indem sie die Ausbildung von somalischen Soldaten und Polizisten in Dschibuti und Uganda zur Stärkung der Übergangsregierung übernehmen. Doch offensichtlich ist das Ansinnen zum Scheitern verurteilt. Jüngsten Berichten zufolge sind bereits viele hundert der von den USA ausgebildeten somalischen Soldaten desertiert und haben sich entweder ins zivile Leben zurückgezogen oder islamistischen Milizen angeschlossen. Offenbar hatten die Deserteure ein Jahr lang nicht den zugesagten Lohn in Höhe von 100 Dollar monatlich erhalten. Das Geld scheint irgendwo in der Kette derjenigen, denen die Verteilung oblag, "versandet" zu sein. Auch von den 17.000 Sicherheitskräften, die von Äthiopien ausgebildet worden waren, sind der Übergangsregierung nur noch 3000 geblieben.

Es lassen sich keine Anzeichen dafür erkennen, daß die von der Europäischen Union geplante Polizeiausbildung, die in diesem Monat beginnen soll, mit einem sehr viel anderen Ergebnis enden wird als die US-amerikanische Soldatenausbildung. Somalia bleibt Spielball äußerer Interessen. In der gegenwärtig verfahrenen Lage die Forderung zu erheben, daß sich alle ausländischen Akteure zurückziehen - AU, EU, USA, Äthiopien Eritrea, um die offensichtlichen Hauptakteure zu nennen -, wäre sicherlich dann am vernünftigsten, wenn nicht die verschiedenen somalischen Interessengruppen bereits fest mit ausländischen Bündnispartnern verbandelt wären und sich die Piraterie nicht zu einem attraktiven Wirtschaftszweig entwickelt hätte.

Zudem muß grundsätzlich festgestellt werden, daß gar nicht so genau bestimmbar ist, was ursprünglich einmal "somalisch" war. Das gilt im übrigen auch für "deutsch", "französisch" oder "US-amerikanisch", nur daß hier die Gewaltphase der Staatsbildung mit Unterwerfung und Zusammenschluß bereits abgeschlossen wurde und die staatliche Gewalt "nur" noch aufrechterhalten werden muß, während diese Entwicklung Somalia (erneut) bevorsteht. Deshalb besitzt die Idee, daß Somalia gar nicht als ein geschlossener Staat existieren müßte, zumal es, wie eingangs ausgeführt, ohnehin ein der ursprünglichen Clangesellschaft oktroyiertes Produkt ist, einige Attraktivität. Allerdings würde das Land dann weiter zerfallen und in kleine, vermutlich einander bekriegende Herrschaftsbereiche aufgeteilt, die wiederum Einflußversuche seitens Dritter hervorriefen. Innerhalb der auf Staaten gegründeten Weltordnung besäßen dann die somalischen Clangebiete keinen Einfluß und würden aufgrund ihrer relativen Ohnmacht weiterhin zum Spielball fremder Interessen.

USA, EU und AU favorisieren dagegen ein Nation-building-Konzept mit einer (ihnen wohlgesonnenen!) starken Regierung, die es schafft, alle anderen gesellschaftlichen Kräfte einzubinden oder, wenn das nicht gelingt, auszugrenzen, was dann bekriegen bedeutete. Diese Idee wird seit vielen Jahren auf die eine oder andere Weise verfolgt und hat ähnlich wie im Irak zu furchtbaren Opfern in der Zivilgesellschaft geführt.

Die desolate Lage in Somalia zu beschreiben bedeutet nicht, eine Idee zu haben, wie das Land aus der Misere herausfinden könnte, außer daß pauschal dafür gesorgt werden müßte, daß die ausländischen Interessen insgesamt an Einfluß verlieren. Dann bestünde allerdings noch immer das Problem, daß ein Staat, der die Bezeichnung Somalia trägt, zu keinem Zeitpunkt etwas anderes als ein Gewaltprodukt gewesen war.

Innerhalb Afrikas bildet Somalia die Spitze an Destabilität. Aber nicht weit davon entfernt sind auch andere Länder wie Demokratische Republik Kongo, Sudan, Tschad, die äthiopische Ogaden-Region, Teile der Zentralafrikanischen Republik, Nigerias und Nigers oder auch West-Sahara anzutreffen. Jede Region weist ihre Besonderheiten auf, die Konfliktlinien variieren teils deutlich. All diese destabilisierten Gebiete haben jedoch eine Gemeinsamkeit. Sie bilden das Zukunftsmodell in einer Weltordnung, deren Teile auseinanderdriften, so daß die Grenzen zwischen ausgedehnten, verarmten und von bewaffneten Konflikten geprägten Regionen auf der einen Seite und vor ihnen geschützten und innerhalb ihrer Grenzen nochmals nach relativem Wohlstand gestaffelten Regionen andererseits unüberbrückbar werden.

1. Mai 2010