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AFRIKA/1961: Hunger-Alarm des WFP für die Sahelzone (SB)


Das Welternährungsprogramm (WFP) warnt vor wachsendem Nahrungsmangel in der östlichen Sahelzone Westafrikas


Hunger in Westafrika. Zig Millionen Einwohner sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen - eine jahrzehntelange Politik der internationalen Geldgeber IWF und Weltbank zeigt Früchte, und die sind faul: Die gezielt vernachlässigten ländlichen Gebiete können sich nicht mehr selbst ernähren. In Afrika nehmen Hunger und Armut nicht etwa ab, sondern zu.

Im Jahr 2000 wurden die Millennium Development Goals beschlossen. Zu denen gehörte, die Zahl der Hungernden weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren. War bereits eine solche Zielmarke Ausdruck des "realpolitischen" Standpunkts, nicht alles daran setzen zu wollen, Menschen vor dem Hungertod zu bewahren, so herrscht unter Experten inzwischen weitgehend Einigkeit darin, daß dieses Millenniumsziel nicht erreicht wird. Die Zahl der chronisch Hungernden hat seit dem Jahr 2000 um rund 200 Millionen zugenommen. Seit dem vergangenen Jahr hungern erstmals mehr als eine Milliarde Menschen.

Nach aktuellen WFP-Angaben leiden in der Sahelzone Westafrikas rund zehn Millionen Einwohner "extremen Hunger als Folge von Dürre und schlechten Ernten" [1]. Nur der erste Teil dieser Aussage trifft uneingeschränkt zu: Es wird gehungert. Wohingegen die Erklärung, daß Dürre und schlechte Ernten diese Not bewirkt haben, unzureichend ist. Beides muß nicht zwangsläufig zu Hunger führen. Wenn jedoch eine Regierung der neoliberalen Doktrin aufsitzt und den ländlichen Raum vernachlässigt, indem sie unter Preisgabe der Selbstversorgung lediglich den agrarischen Exportsektor fördert, erreicht eine Hungersnot ein Ausmaß, bei dem Millionen Kleinbauern zeitgleich nicht genügend Nahrung anbauen und deshalb auch nicht für einander einstehen können. Traditionelle dörfliche Gemeinschaften Afrikas waren dagegen sehr viel belastbarer, um Dürrezeiten einigermaßen schadlos zu überstehen.

Vom Nahrungsmangel besonders betroffen sind gegenwärtig der Osten Malis, Nordkamerun, Tschad und Niger. Wer von den Einwohnern noch kräftig genug ist und die Möglichkeit dazu hat, verläßt die Dürreregionen und flieht in die Städte. "Die Leute haben ihr Getreide, Vieh und ihre Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, verloren. Und das Ausmaß der Mangelernährung unter Frauen und Kindern hat inzwischen ein sehr hohes Niveau erreicht", berichtete Thomas Yanga, regionaler Leiter für Westafrika beim WFP. [1]

Bereits im Februar hatte das Welternährungsprogramm um Spenden für Niger gebeten. Der Aufruf wurde zwischenzeitlich zweimal wiederholt und wird nun noch ein weiteres Mal vorgebracht. Der UN-Unterorganisation fehlen 125 Mio. Dollar, um rund 2,3 Millionen Nigrer bis Ende des Jahres mit Nahrung zu versorgen. Nicht, daß damit der Hunger in dem Sahelstaat vollständig behoben wäre! Dort gelten mehr als sieben Millionen Einwohner als "ernährungsunsicher".

In Tschad sollen 700.000 von zwei Millionen Einwohnern versorgt werden. Im Norden Kameruns, wo die Ernte fast 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegt, will das WFP 339.000 Bewohnern humanitäre Hilfe zukommen lassen, und zwar noch bis April nächsten Jahres. In Mali gelten 258.000 Einwohner als besonders von Hunger bedroht. Sie erhalten Unterstützung durch die Regierung, das WFP und dessen Partnerorganisationen.

Dem Kommentar des UN-Nothilfekoordinator John Holmes zur Lage in der Sahelzone ist durchaus zu entnehmen, daß der Hunger auch ein strukturelles Problem ist: "Die gegenwärtigen Ernährungskrisen, fünf Jahre nach dem letzten Notfall, zeigen, daß es ohne eine gemeinsame Aktion von Entwicklungs- und humanitären Akteuren, die verantwortungsbewußte Regierungen dabei unterstützen, mit strukturellen Fragen umzugehen, zunehmend schwieriger wird, diese wiederholt auftretenden Krisen, die so sehr den ökonomischen und sozialen Fortschritt im Sahel unterlaufen, einzudämmen." [1]

Jener "Fortschritt" tritt jedoch nur in den urbanen und allenfalls noch den agroindustriellen Zentren ein, nicht jedoch in den weitläufigen ländlichen Räumen. Bei diesen handelt es sich um marginalisierte Regionen, aus denen die Menschen abwandern oder in denen sie sich, nicht zuletzt aus der strukturell implementierten Not geboren, in bewaffneten Konflikten aufreiben.

Die Instabilität, die westliche Analysten in Ländern wie Mauretanien, Niger, Tschad und Sudan erkennen und als korrekturbedürftig beschreiben, ist nicht zuletzt Folge der agraischen Strukturkrise der Länder der dritten Welt. Während die Weltbank laut dem philippinischen Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello [2] von "größeren Verweilgebieten" im ländlichen Afrika spricht, in denen die Grundbedürfnisse der Menschen angeblich erfüllt werden, die Bewohner gleichzeitig aber als "Arbeitskräftereservoir" dienen sollen, zeigt, daß in Afrika schlicht an einer metropolitanen Ordnung gebastelt wird, in der die Landbevölkerung als Menschen zweiter Klasse, immer orientiert am Arbeitskräftebedarf der Städter, definiert ist.

Die Behauptung, daß die Länder des Südens irgendwann einen nachholenden und nachhaltigen Fortschritt erzielen werden, wenn sie Nahrungsmittel für den Export (cash crops) produzieren, erweist sich als perfides Täuschungsmanöver der reichen Staaten in Kumpanei mit wenigen örtlichen Profiteuren zum Zwecke des fortgesetzten kolonialen Raubes mit häufig existentieller Not für große Teile der einheimischen Bevölkerung.


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Anmerkungen:

[1] "Needs growing for millions facing hunger in Sahel region, UN agency warns. Over 10 million risk hunger in the Sahel", 28. Mai 2010
http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=34840&Cr=Africa&Cr1=hunger

[2] Walden Bello: "Politik des Hungers", Verlag Assoziation A, Berlin - Hamburg, April 2010, S. 113.

31. Mai 2010