Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1963: Ruandas Regime wirft unbequemen US-Anwalt Erlinder ins Gefängnis (SB)


Regionale Ordnungsmacht Ruanda schreckt nicht vor Verhaftung eines US-Anwalts zurück

Obama-Regierung übt dem Anschein nach Druck auf Ruanda aus, damit Peter Erlinder freigelassen wird


Die Bundesregierung unterstützt die ruandische Regierung mit jährlich zehn Millionen Euro an bedingungsloser Budgethilfe für "Demokratisierung, Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung". [1] Bis heute unterhält Deutschland sehr gute Beziehungen zu dem afrikanischen Binnenstaat. Selbst die Verhaftung von Rose Kabuye, Protokollchefin des ruandischen Präsidenten Paul Kagame, im November 2008 nach der Landung auf dem Frankfurter Flughafen und ihre anschließende Auslieferung an Frankreich hat das Verhältnis nicht nachhaltig getrübt. Daran dürfte sich solange nichts ändern, solange die Bundesregierung nicht ernsthaft das Narrativ hinterfragt, daß ruandische Hutu 1994 ihren eigenen Präsidenten umgebracht und anschließend binnen hundert Tagen eine Million ruandische Tutsi abgeschlachtet haben, und zwar als von langer Hand geplante Vernichtungsaktion bzw. Genozid, und daß kein geringerer als Paul Kagame, damals Anführer einer Rebellenarmee, das Land von den ruchlosen Völkermördern befreit hat.

Sollte aber die Bundesregierung diese Version der teils um 180 Grad verdrehten historischen "Wahrheit" hinterfragen und, gestützt auf gerichtsrelevante Dokumente, feststellen, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand anderes als Kagame am 6. April 1994 das Flugzeug mit den Präsidenten Ruandas und Burundis, Juvénal Habyarimana und Cyprien Ntaryamira, sowie deren Begleitung abschießen ließ und damit das Massaker an rund eine Million Tutsi und moderaten Hutu auslöste, dann würde sie damit den Kernmythos der neueren Geschichtsschreibung Ruandas angreifen. Eine entsprechend harsche Reaktion der ruandischen Regierung bliebe nicht aus.

Das mußte der respektierte US-Anwalt Peter Erlinder, Juraprofessor am William Mitchell College of Law in Minnesota, erfahren. Er wurde am Freitag, den 28. Mai, in Ruanda verhaftet, weil er dort seine Arbeit als Mitglied des Verteidigungsteams der Präsidentschaftskandidatin Victoire Ingabire Umuhoza von der Oppositionspartei FDU-Inkingi fortsetzen wollte. Beide sehen sich den gleichen Vorwürfen ausgesetzt: Verharmlosung und Leugnung des Genozids.

Nach Angaben von Erlinders Tochter Sarah wußte ihr Vater von dem Risiko, als er am 23. Mai in Ruanda einreiste. Das ist plausibel, denn Erlinder macht seit Jahren darauf aufmerksam, daß der an der US-Militärakademie in Fort Leavenworth ausgebildete Kagame etliche Leichen im Keller hat. Kagame, aufgewachsen in einem ugandischen Flüchtlingslager, war in den achtziger Jahren in Uganda unter Yoweri Museveni militärischer Geheimdienstchef, bevor er 1990 die Führung der RPF (Ruandische Patriotische Front) übernahm. Die bestand aus rund 25 Prozent der ugandischen Armee, als sie nach Ruanda einmarschierte, und ist deshalb als Invasionsarmee anzusehen, nicht jedoch als Rebellengruppe, die von innen heraus ein Regime bekämpft hätte.

In den nächsten drei, vier Jahren sollte die RPF immer wieder Vorstöße von Norden her nach Ruanda unternehmen und dabei zahlreiche unbewaffnete Dorfbewohner töten und große Fluchtbewegungen auslösen. In Verbindung mit weiteren Faktoren erhöhten sich dadurch die sozialen Spannungen im Land. Selbst der 1993 zwischen der RPF und der ruandischen Regierung unter internationalem Druck zustandegekommene Friedensvertrag von Arusha, der die Bildung einer gemeinsamen Regierung der Kontrahenten vorsah, änderte nichts an der Lage. Im Gegenteil, beide Seiten wußten von der jeweils anderen, daß sie sich mit einer Teilung der Macht nicht abgeben würde, und bereiteten sich schon mal für die Zeit nach dem zu erwartenden Bruch des Friedensvertrags vor.

Wie der Verlauf der Geschichte zeigt, tat die RPF dies mit deutlich größerem Erfolg. Peter Erlinder ist jemand, der immer wieder darauf aufmerksam machte, daß Kagame den Schutz der Regierungen der USA und Großbritanniens genießt und ihn nur das vor einer Anklage als Kriegsverbrecher bewahrt. Aus der Sicht der Kagame-Regierung ist Erlinder mindestens ein unbequemer, wenn nicht sogar gefährlicher Mann. Ihn genauso mundtot zu machen wie die Oppositionskandidatin Ingabire wäre für sie von großem Nutzen.

Die Verhaftung eines US-amerikanischen Anwalts, dessen physischer und psychischer Gesundheitszustand sich offenbar im Gefängnis stark verschlechtert hat, zeugt von großem Selbstvertrauen der Kagame-Administration. Selbst wenn das ruandische Gericht am heutigen Montag entscheiden sollte, daß Erlinder auf Kaution freigelassen werden kann, und der Anwalt womöglich in die USA zurückfliegt, hat die Kagame-Regierung einen Gewinn von der Verhaftung. Ingabires Ruf wird weiter geschädigt.

Was in der Zwischenzeit im Knast passiert ist, bleibt indessen unklar. Laut Berichten der ruandischen Presse, die stets eine große Regierungsnähe aufweist, hat Erlinder einen Suizidversuch unternommen und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der 62jährige soll mehrere Dutzend Tabletten geschluckt haben, um aus dem Gefängnis zu kommen und in ein Krankenhaus verlegt zu werden. Die gut geölte Propagandamaschine Ruanda liefert diverse Erklärungen: Erlinder habe seine Vergehen eingesehen, das alles tue ihm leid. An anderer Stelle heißt es, Erlinder habe seinen Selbstmordversuch nur vorgetäuscht. [2] [3]

Nach bisherigem Ermittlungsstand wurde Erlinder tatsächlich wegen einer Überdosis Tabletten ins Krankenhaus eingeliefert. Sarah Erlinder bestreitet jedoch, daß ihr Vater Suizid begehen würde. Ob er selbst sich die Tabletten eingeflößt hat oder jemand anderes oder es gar keinen derartigen Vorfall gab, macht einen geringeren Unterschied, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Sollte der Anwalt versucht haben, Selbstmord zu begehen, stellt sich die Frage nach dem Grund. Wurde er binnen weniger Tage so unter Druck gesetzt, daß er seinem Leben ein Ende setzen oder zumindest das Gefängnis verlassen wollte? Man weiß es nicht. Das kann nicht ausgeschlossen werden, denn die ruandische Regierung bedient sich bekanntermaßen des Mittels, massiven Druck auf Gefangene auszuüben, um ihre Herrschaft zu sichern. Das beweist allein schon die Ausschaltung von Zeitungen wie "Umuseso" und "Umuvugizi", die nicht auf Regierungskurs sind [4], und von Oppositionsgruppen [5] auf der Grundlage eines Rechtsverständisses, das einzigartig in der Welt ist und es erlaubt, Menschen mit einer von der Regierung abweichenden Meinung für 25 Jahre ins Gefängnis zu stecken. Mit einer solchen Strafe muß auch Erlinder rechnen, sollte er für schuldig befunden werden, zumal Suizid ebenfalls unter Strafe gestellt wird.

Von der US-Regierung werden unterschiedliche Signale ausgesandt. Während die US-Botschaft in Kigali auf Anfrage mitteilte, daß man sich zu dem Fall nicht äußern wolle - anscheinend fehlte zu dem Zeitpunkt noch die Order aus Washington -, teilte Außenamtssprecher P. J. Crowley am vergangenen Donnerstag mit, daß man alles tun werde, um Erlinder freizubekommen. [6] Was von dieser Erklärung zu halten ist, wird sich zeigen. Auch die frühere US-Regierung hat einige Leichen im Keller, da sie den Abschuß der Präsidentenmaschine nicht weiter ermitteln und Kagame freie Hand ließ. Bis heute wird der Beschluß des UN-Sicherheitsrat vom November 1994, demzufolge ein Ad-hoc-Tribunal sämtliche 1994 in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahnden soll, nur partiell erfüllt. Das UN-Tribunal für Ruanda (ICTR) hat bislang nur Mitglieder der Hutu-Ethnie, aber keinen einzigen Tutsi angeklagt.

Es fällt auf, daß nach offizieller Lesart, wonach die internationale Gemeinschaft versagt habe, als sie das Massaker in Ruanda nicht verhinderte, die dafür Hauptverantwortlichen bei den Vereinten Nationen und in der US-Regierung, obwohl sie doch angeblich einen schlechten Job gemacht haben, anschließend die Karriereleiter hinaufgefallen sind. Kofi Annan, damals bei den Vereinten Nationen Leiter der Abteilung für Militäroperationen und damit wesentlich verantwortlich für den Abzug der Blauhelmsoldaten aus Ruanda - wodurch Kagames RPF freie Hand erhielt und die 1990 begonnene Invasion erfolgreich abschließen konnte -, wurde zum Nachfolger von US-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ernannt. US-Präsident Bill Clinton erhielt eine zweite Amtszeit und ernannte die US-Botschafterin 1994 bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, zur Außenministerin. Sie hatte ebenfalls maßgeblich ihre Finger im Spiel, damit Ruanda als Folge des "Genozids" und des Siegs der RPF nicht mehr der französischen Einflußsphäre unterlag, sondern sich fortan der angloamerikanischen zuwandte. Dieser Trend gipfelte im vergangenen Jahr in der Aufnahme des frankophonen Ruanda in den Commonwealth, dem Erbe des British Empire. Lediglich die Karriere Boutros Boutros-Ghalis, 1994 Generalsekretär der Vereinten Nationen und für seine Kritik an der US-Politik bekannt, wies nach dem Massaker in Ruanda nicht mehr steil nach oben. An ihm bzw. seinem Büro war das Geschehen um den Ruanda-Genozid teilweise gezielt vorbeigelotst worden, teilweise gelangte aber auch Boutros-Ghali selbst zu Fehleinschätzungen.

An einer Wiederwahl Kagames als Präsident Ruandas besteht kein Zweifel, weil er erst gar keine nennenswerte Opposition zuläßt und nach wie vor Günstling Washingtons ist. Das würde sich erst ändern, wenn die US-Regierung ihn eines Tages nicht mehr bräuchte. Dann müßte er damit rechnen, auf irgendeine Weise beseitigt zu werden. Dafür gibt es innerhalb wie außerhalb Afrikas Vorbilder. Sei es Saddam Hussein, der gebraucht wurde, damit er einen Krieg gegen das revolutionäre Iran führt, Anfang der neunziger Jahre aber von Bush Senior dazu verleitet wurde, Kuwait zu überfallen, woraufhin die USA Irak angriffen und seitdem riesige, dauerhafte Militärstützpunkte in Saudi-Arabien und anderen Ländern der Region unterhalten; sei es Daniel Noriega, Präsident Panamas und US-Verbündeter, der aus dem Spiel genommen werden mußte, damit die USA Panama besetzen konnten; sei es Mobutu Sese Seko, langjähriger autokratischer Präsident Zaires (heute Demokratische Republik Kongo genannt) und guter Freund der USA, bis man seiner überdrüssig wurde; sei es dessen Nachfolger Laurent Desiré Kabila, der 1997 mit Hilfe der USA, Großbritanniens, Ugandas und Ruandas den zairischen Präsidenten stürzte, sich dann aber mit seinen Verbündeten überwarf und 2001 vermutlich von einem seiner Leibwächter erschossen wurde.

All diese Fälle sind Kagame bekannt. Er ist versiert genug, um sein politisches Gewicht auf breite Füße zu stellen. Nach innen regiert er mit harter Hand und sorgt dadurch für "Ordnung", nach außen handelt er expansiv, ohne zu vergessen, wem er seinen Aufstieg verdankt. Von Ruandas und Ugandas Plünderung der überaus rohstoffreichen DR Kongo, die seit 1998 schätzungsweise sechs bis sieben Millionen Einwohnern das Leben gekostet und das Nachbarland in eine Region der Instabilität verwandelt hat, profitieren am Ende der Verwertungskette vor allem westliche Unternehmen.

Mit Ruandas Commonwealth-Beitritt, der gegen den ausdrücklichen Rat des Commonwealth-Menschrechtsbeauftragten erfolgte [7], hat sich Kagame in ein internationales Netzwerk von Seilschaften eingebracht. Und als ehemaliger Vizepräsident der Afrikanischen Union - dem Pendant zur Europäischen Union -, scheint er sich auch innerhalb des Kontinents Rückhalt verschafft zu haben. Ruandische Soldaten nehmen maßgeblich an der AU-Mission in Darfur teil, und ruandische Soldaten sind es, die heute an der Seite der kongolesischen Armee gegen ostkongolesische Milizengruppen kämpfen. Ruanda erfüllt in der Region eine übergreifende ordnungspolitische Funktion. Es erstaunt deshalb nicht, daß die USA weiterhin ihre schützende Hand über Kagame halten. Wer den Ressourcenraub in Afrika so gut absichert wie er, ist Gold wert.

Obwohl Rechtsanwälte per se Bestandteil des Systems sind und eine wichtige legitimatorische Funktion erfüllen, nehmen einige von ihnen ihre Arbeit so ernst, daß sie dabei Sand ins Getriebe streuen. Erlinder ist einer von ihnen. Man kann ihm und seiner Familie nur wünschen, daß er nicht "weggeselbstmordet" wird, sollte man ihn nicht aus dem ruandischen Gefängnis entlassen.


*


Anmerkungen:

[1] Siehe Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> FAKTEN
AUSLAND/036: US-Rechtsanwalt Peter Erlinder in Kigali/Ruanda festgenommen (DAV)
Gemeinsame Information der Strafverteidigervereinigungen und des Deutschen Anwaltvereins (DAV) - Berlin, 2. Juni 2010

[2] "Rwanda: Police Foil Erlinder Suicide Attempt", The New Times (Kigali), 3. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006030036.html

[3] "Rwanda: Erlinder Fakes Illness", The New Times (Kigali), 2. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006020359.html

[4] Näheres unter:
AFRIKA/1953: Ruanda - EU-Finanzhilfe für repressive Regierung (SB)

[5] Näheres unter:
AFRIKA/1946: Ruander sollen ihren Polizeistaat feiern (SB)
AFRIKA/1944: Ruanda - Schwerer Schlag gegen Victoire Ingabire (SB)
AFRIKA/1926: Ruandische Oppositionspolitikerin Schikanen ausgesetzt (SB)

[6] "Rwanda: Govt 'Won't Free U.S. Lawyer'", The Nation (Nairobi), 4. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006040985.html

[7] Näheres unter:
AFRIKA/1896: Ruanda wird Commonwealth-Mitglied (SB)
AFRIKA/1895: Ruanda - Hintergründe des Commonwealth-Beitrittsantrags (SB)

7. Juni 2010