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AFRIKA/1966: US-Anwalt kann aufatmen - auf Kaution freigelassen (SB)


Victoire wer?

Ruanda Führung macht Oppositionskandidatin faktisch mundtot, so daß ein Wahlsieg der Regierungspartei RPF bereits feststeht


Das Oberste Gericht Ruandas hat entschieden, daß der verhaftete US-Anwalt Peter Erlinder auf Kaution freigelassen werden muß. [1] Erlinders Anwälte hatte Gutachten von drei Ärzten vorgelegt, aus denen eindeutig hervorgeht, daß eine fortgesetzte Inhaftierung für ihren Mandanten lebensgefährlich wäre.

Die ruandische Regierung hat jedoch längst ihr Ziel mit der Verhaftung eines der Verteidiger der Präsidentschaftskandidatin Victoire Ingabire Umuhoza, Vorsitzende der Partei FDU-Inkingi, erreicht. Ihr Ruf wurde und wird nachhaltig beschädigt. Abgesehen davon, daß die Wahlkommission die Oppositionspartei noch nicht einmal zugelassen hat, beherrschte die Erlinder-Verhaftung so sehr die Medienberichterstattung in Ruanda, daß demgegenüber Ingabires Gerichtsverfahren in den Hintergrund gedrängt wurde.

Der Kandidatin wie auch ihrem US-Anwalt wird Verharmlosung des Ruanda-Genozids vorgeworfen. [2] Mit diesem weltweit einzigartigen Gesetz sichert sich die Regierung erstens die Deutungshoheit über die Geschichte, sind doch Auslöser und Ablauf der 100 Tage dauernden Massaker, am 6. April 1994 ausgelöst von dem Abschuß der Maschine mit dem damaligen Präsidenten Juvenal Habyarimana und seinem burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira sowie teils hochrangigen Militärs an Bord, äußerst umstritten. Die "offizielle" Deutung lautet, daß militante Hutu ihren eigenen Präsidenten getötet haben, da sie nicht damit einverstanden waren, daß er die Invasoren der in Uganda gegründeten und aus der ugandischen Armee ausgelagerten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) mit in die Regierung nehmen wollte. Bei dieser These wird übersehen oder zumindest als vernachlässigbar eingeschätzt, daß Habyarimana der Friedensschluß von Arusha im Jahr 1993, der eine Einheitsarmee der sich zuvor vier Jahre lang blutig bekämpfenden RPF und seiner Regierungsarmee, massiv von außen aufgedrückt wurde.

Das Gesetz gegen die Verharmlosung des Genozids hat zweitens die Funktion, heutige Oppositionelle mundtot zu machen. Womit hier keineswegs unterstellt werden soll, daß Ingabire den Völkermord ihren 800.000 Landsleuten verharmlost hätte. Sie vertritt lediglich den Standpunkt, daß es in Ruanda keine Versöhnung geben kann, solange nicht auch das Leiden der Hutu anerkannt wird.

Man könnte sagen, daß Ruandas Regierung demgegenüber behauptet, daß das Leiden der Tutsi so einzigartig ist, daß das Leiden der Hutu nicht einmal erwähnt zu werden braucht, mehr noch, daß es nicht einmal erwähnt werden darf. (Bei Zuwiderhandlungen drohen zwanzig Jahre Freiheitsentzug.) Das ist ein höchst problematischer Standpunkt, wird doch mit ihm eine rassistische Denkweise bedient, derzufolge ein Mitglied der Tutsi-Ethnie mehr wert ist als einer der Hutu-Ethnie - denn nur das Leiden der einen Ethnie ist es von Gesetz wegen wert, erwähnt zu werden.

Peter Erlinder hat nicht zuletzt in seiner Funktion als Verteidiger eines Genozid-Angeklagten beim UN-Tribunal von Ruanda wiederholt darauf hingewiesen, daß die offizielle Geschichtsschreibung, die nahezu vollständig der Version der ruandischen Regierung folgt, eklatante Lücken und Widersprüche aufweist. Dafür wurde er ins Gefängnis geworfen, wo er einen Selbstmordversuch unternahm.

Angesichts dieser Entwicklung ist die folgende Einschätzung Ruandas durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht nachvollziehbar:

"Ruanda befindet sich heute in einer politischen Konsolidierungsphase. Reformfähigkeit und -wille der Regierung sind gut ausgeprägt. Sie setzt kontinuierlich und ehrgeizig ihre Bemühungen zur Verbesserung des Rechtsstaats, der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der sozialen Grundversorgung um." [3]


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Anmerkungen:

[1] "Rwanda: Erlinder Granted Bail", The New Times, 18. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006180001.html

[2] Nähere Einzelheiten hier:
AFRIKA/1965: Ruanda - US-Anwalt Peter Erlinder bleibt in Haft (SB)
AFRIKA/1963: Ruandas Regime wirft unbequemen US-Anwalt Erlinder ins Gefängnis (SB)

[3] http://www.bmz.de/de/laender/partnerlaender/ruanda/index.html

18. Juni 2010