Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1996: Frankreich unterstützt Ruanda bei der Elektrifizierung des ländlichen Raums (SB)


Renaissance einer postkolonialzeitlichen Partnerschaft

Frankreich und Ruanda erhoffen sich von der Zusammenarbeit Vorteile für ihre jeweiligen Hegemoniebestrebungen


Ende dieses Monats werden Frankreich und Ruanda ein Abkommen zum Ausbau des ruandischen Elektrifizierungsprogramms unterzeichnen. Paris hat ein Darlehen in Höhe von 3,3 Millionen Euro zugesagt, meldete die regierungsnahe ruandische Zeitung "The New Times". [1] Wenn Ruandas Finanzminister John Rwangombwa, der französische Botschafter Laurent Contini und der Regionaldirektor der französischen Entwicklungsagentur, Yves Terracol, am 28. September ihre Unterschrift unter das Dokument setzen, schließen sie damit eine geschichtliche Phase stark abgekühlter Beziehungen beider Länder ab und leiten eine Renaissance der Zusammenarbeit unter einem neuen Vorzeichen ein.

Bis 1994 besaß Frankreich starken Einfluß auf die ruandische Regierung. Doch am 6. April jenes Jahres kam Präsident Juvénal Habyarimana bei einem Flugzeugattentat ums Leben. Diesem Fanal folgte ein 100 Tage währendes Massaker an Inland-Tutsi und moderaten Hutu durch Hutu-Milizen, inklusive Interahamwe-Jugendbanden, sowie durch die aus Uganda stammenden Exil-Tutsi der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) unter dem heutigen Präsidenten Paul Kagame. Seine Kämpfer eroberten Schritt für Schritt das Land und forderten dabei von der Zivilbevölkerung einen hohen Blutzoll. Bis auf die Grenzregion zu Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, vermochten sie Ruanda zu erobern.

Französische Soldaten hielten jedoch einen Flüchtlingskorridor zum Nachbarland offen und verhinderten einerseits ein Übergriff der RPF auf die Flüchtlinge, ermöglichten aber gleichzeitig, daß bewaffnete Hutu-Milizen innerhalb des Trecks von mehr als eine Million Menschen ins zairische Flüchtlingslager Goma entweichen konnten. Das ist einer der Gründe, warum die Kagame-Regierung die frühere Kolonialmacht Frankreich der Beteiligung am Genozid bezichtigt hat. Ein anderer Grund besteht darin, daß Frankreich beschuldigt wird, zu einem Zeitpunkt Waffen an die Hutu-Regierung geliefert zu haben, als die Massaker bereits eingesetzt hatten.

Auf der anderen Seite spricht vieles dafür, daß Kagame den Befehl zum Abschuß Habyarimanas und dessen burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira erteilt hat und seine RPF-Soldaten bei der Invasion Ruandas ein Blutbad unter den Zivilisten anrichteten. Darüber hinaus gelangte kürzlich der Entwurf eines UN-Berichts an die Öffentlichkeit, in dem festgestellt wird, daß die RPF einige Jahre darauf bei Feldzügen im Kongo zehntausende Menschen massakriert, gefoltert und vergewaltigt hat und daß dies als Völkermord bezeichnet werden könnte. Das macht die RPF nicht automatisch zu Tätern auch beim sogenannten Ruanda-Genozid, aber es rückt das Schwarz-weiß-Bild zurecht, das die Armee von sich und ihren Gegnern zeichnet.

Als der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière im Jahr 2006 internationale Haftbefehle gegen hochrangige RPF-Mitglieder ausstellte, kühlte das Verhältnis zwischen den beiden Ländern auf den absoluten Nullpunkt ab. Seit jedoch Nicolas Sarkozy Präsident der Grande Nation ist, hat Tauwetter eingesetzt. Zunächst besuchte der französische Außenminister Bernard Kouchner das kleine afrikanische Land, dann reiste Sarkozy selbst an. Nach der Zeit der Massaker hatte sich Ruanda von Frankreich ab- und den USA zugewandt und ist mittlerweile Mitglied im Commonwealth, einem losen Staatenbund und Relikt des britischen Imperiums.

Den USA und Großbritannien ist es gelungen, Frankreichs Einfluß in Ruanda weitgehend zurückzudrängen und sich an seiner statt zu etablieren. Ähnliche Entwicklungen sind auch im rohstoffreichen Kongo zu beobachten, wobei die Lage dort komplexer ist und seit einigen Jahren mit China ein Wirtschaftskonkurrent auf der Bühne steht, an dem niemand mehr in Afrika vorbeikommt.

Unter veränderten Ausgangsbedingungen geben sich nun wieder französische und ruandische Politiker die Hand. Frankreich hat zugesagt, die wirtschaftliche Entwicklung Ruandas zu fördern. Mit einem Darlehen soll der ländliche Raum elektrifiziert und den Einwohnern Zugang zu elektrischem Strom verschafft werden. Die Gelder werden von den Schulden Ruandas gegenüber Frankreich bestritten und in die Infrastrukturprojekte gesteckt.

Es ist nicht zu erwarten, daß die guten Beziehungen beider Länder durch die Ergebnisse einer in Ruanda ermittelnden offiziellen französischen Kommission, die den damaligen Abschuß der Präsidentenmaschine untersuchen will, beeinträchtigt werden soll und wird. Das Delegationsmitglied Jean Julien Xavier-Rolai teilte mit, daß sie zwölf Örtlichkeiten, die im Bruguière-Bericht erwähnt werden, aufsuchen wollen. Das Ergebnis der Vor-Ort-Ermittlungen werde im März kommenden Jahres veröffentlicht. [2] Die ruandische Regierung hat ihre volle Kooperationsbereitschaft zugesagt. Allein das gibt berechtigten Anlaß zu der Vermutung, daß sich Ruanda hinsichtlich des Ergebnisses der französischen Untersuchung sicher ist. Ganz anders beispielsweise, als die frühere UN-Chefermittlerin Carla del Ponte gemäß ihrem Auftrag durch den UN-Sicherheitsrat, sämtliche 1994 in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, auch Vorermittlungen gegen RPF-Mitglieder aufnehmen ließ. Da wurde ihre Arbeit schwer behindert. Anscheinend sollte nicht aufgedeckt werden, was der Politikwissenschaftler und Soziologe Prof. Christian Davenport vom University of Notre Dame's Kroc Institute und der Politikwissenschaftler Prof. Allan C. Stam von der University of Michigan 1998/99 bei eigenen Recherchen in Ruanda herausfanden, nämlich daß durchaus ein Genozid an der Tutsi-Minderheit verübt wurde, aber daß auch die RPF Massaker begangen hat und daß 1994 in absoluten Zahlen wahrscheinlich mehr Hutu als Tutsi umgebracht wurden. [3]

Jahrelang hatte es den Anschein, als würde Frankreich gegen die "offizielle" Geschichtsschreibung, nach der die Hutu erstens ihren eigenen Präsidenten abgeschossen haben und zweitens die alleinigen Völkermörder gewesen sein sollen, opponieren und versuchen, diese Interpretation der "Wahrheit" zurechtzurücken. Inzwischen setzt es seine hegemonialen Bestrebungen in Afrika unter neuen Ausgangsbedingungen fort und läßt die Vergangenheit ruhen. Frankreich erhofft sich von besseren Beziehungen zu Ruanda ein Wiedererstarken seines Einflusses in Afrika, und Ruanda verspricht sich hegemoniale Vorteile im Gebiet der Großen Seen Afrikas und darüber hinaus sowie - endlich, endlich -, daß Kagame, falls er eines Tages sein Amt abgeben muß und keine Immunität mehr genießt, nicht wegen seiner vielen Machenschaften - ab 1990 Invasion Ruandas mit Teilen der ugandischen Armee, in der er Geheimdienstchef war; 1994 Attentat auf die Staatsführer zweier Länder; ab 1996 und nochmals 1998 Invasion seiner Truppen in Zaire bzw. DR Kongo, inklusive Rohstoffplünderung und Mitverantwortung für millionenfachen Tod von Hutu-Flüchtlingen und Kongolesen - zur Rechenschaft gezogen wird.


*


Anmerkungen:

[1] "Rwanda: Nation, France to Sign 3.3 Million Euro Energy Deal", The New Times, 22. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009220158.html

[2] "Rwanda: Plane Crash Findings to Be Released in March", 17. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009170021.html

[3] "What Really Happened in Rwanda?", Christian Davenport und Allan C. Stam, Miller-McCune, www.truthout.org/, 6. Oktober 2009
http://www.thirdworldtraveler.com/East_Africa/Rwanda_WhatReallyHappened.html

23. September 2010