Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/2010: Mosambik - Ist Vorzeige-Unternehmen Mozal vor "Umweltsünden" gefeit? (SB)


Globale Standortkonkurrenz erzeugt brisante "Sachzwänge"

Mosambikanische Aluminiumschmelze verzichtet monatelang auf Filter zum Abfangen von hochgiftigem, ätzenden Fluorwasserstoff


Die Aluminiumschmelze Mozal in Mosambik gilt als Vorzeigeprojekt der industriellen Entwicklungsförderung. Das Unternehmen erwirtschaftet rund 15 Prozent des BIP des Landes, zahlt relativ hohe Löhne und stellt hauptsächlich einheimische Kräfte ein. Mozal engagiert sich in der Region sozial, hat zum Beispiel Bildungseinrichtungen gebaut, kommt teilweise für ihre laufenden Kosten auf, betreibt einen präventiven Gesundheitsschutz der Arbeiter und ist nach dem internationalen Umweltstandard ISO 14001 zertifiziert. Kaum ein anderes Industrieprojekt in Afrika der letzten Jahre hat soviel Lob von verschiedenen Seiten erhalten wie Mozal, an dem BHP Billiton zu 47,1 Prozent, Mitsubishi Corporation zu 25 Prozent und die Industrial Development Corporation of South Africa Limited zu 24 Prozent beteiligt ist. Der mosambikanische Staat hat an der in Beluluane, 17 Kilometer von der Hauptstadt Maputo entfernt liegenden Aluminiumschmelze einen Anteil von 3,9 Prozent.

Angesichts von ungewöhnlich vielen positiven Effekten, die dem Unternehmen hinsichtlich der Entwicklungsförderung des von einem langjährigen Bürgerkrieg heimgesuchten Landes attestiert werden, fällt die Vorstellung schwer, daß es in einer so wichtigen Angelegenheit wie den Umweltschutz der Bevölkerung eine mindestens viermonatige Unterbrechung der Abgasfilterung zumuten will. Vergangene Woche Mittwoch hat Mozal seine auf 137 Tage angesetzte "By-pass"-Operation begonnen. Das bedeutet, daß die Aluminiumschmelze ihren Tag-und-Nacht-Betrieb nicht unterbricht, die entstehenden Abgase aber an zwei Rauchgasbehandlungszentren (FTCs - fume treatment centres) vorbeileitet und ungefiltert über einen 62 Meter hohen Schornstein in die Umwelt entläßt.

Diese Maßnahme sei unvermeidlich, weil die FTCs marode sind und renoviert werden müssen, behaupten Unternehmen und Regierung. Am 26. Mai genehmigte die mosambikanische Umweltministerin Alcinda Abreu den Plan zur Umgehung der Filteranlagen. Umweltschutzgruppen haben die Entscheidung der Regierung kritisiert und eine einstweilige Verfügung beantragt. Abgesehen von ihnen und den Medien kritisiert auch die Oppositionspartei Renamo die Freigabe des "By-pass"-Konzepts durch die Regierung. [1]

Mozal beteuert, es sei nach Überprüfung aller Daten zuversichtlich, daß der "By-pass" weder die Umwelt noch die menschliche Gesundheit schädigt. Selbstverständlich würden die Emissionen zunehmen, aber sie würden kein gefährliches Niveau überschreiten und unterhalb der Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bleiben. [2] Ob das zutrifft, sei dahingestellt. Letztlich wird das erst durch die Überwachung der Immissionen, mit der das schweizerische Unternehmen SGS betraut wurde, festzustellen sein. SGS ist das weltweit größte Unternehmen dieser Art. Ein Team war im Oktober nach Mosambik gereist, um Referenzwerte zu erfassen, so daß jetzt die Mehrbelastung der Umwelt gemessen werden kann. Abgesehen von den beiden FTCs verfügt die Mozal noch über vier Gasbehandlungszentren (GTC - Gas Treatment Centres), die von den Reparaturarbeiten nicht betroffen sind.

Grundsätzlich fällt auf, daß die Schmelze vor nicht einmal zehn Jahren ihre Produktion aufgenommen hat und daß schon im November 2009 festgestellt wurde, daß die FCTs weitreichend verrottet sind. Genauer gesagt, sie wurden von Schwefelsäure zerfressen und drohen ihren strukturellen Halt zu verlieren. Mozal behauptet, daß ein Vertragsunternehmen beim Bau der Anlage "suboptimale Arbeit" geleistet habe.

Nun wird also die Schwefelsäure, die zuvor die Filteranlage zerfressen hat, ungefiltert in die Umwelt entlassen. Durch die Verdünnung der Abgase in der Umgebungsluft entstehen selbstverständlich sehr viel geringere Konzentrationen. Aber ob das bedeutet, daß Mensch und Umwelt nicht geschädigt werden, scheint eine noch ungeklärte Frage zu sein.

Die FTCs sind ein Produktionsbestandteil der Graphitanlage, in der Anoden hergestellt werden, welche für den Verarbeitungsprozeß von Aluminiumoxid zu Aluminium unverzichtbar sind. Würde die Graphitanlage abgeschaltet, würden keine Anoden mehr produziert und der Betrieb stände nach kurzer Zeit still. Theoretisch könnte Mozal die Anoden importieren, aber das würfe enorme logistische Probleme auf und würde das Unternehmen ziemlich teuer zu stehen kommen. In der Graphitanlage werden täglich 1000 Anoden produziert. Bei 137 Tagen käme man auf einen Bedarf an 137.000 Stück. Mozal hat zwar im vergangenen Jahr rund 7000 Anoden importiert, aber verteilt über einen Zeitraum von neun Monaten. Da in einen Container nur 22 Anoden passen, wären für den Transport 6200 Container erforderlich, die per Lkw zwischen dem Hafen von Maputo und der Aluminiumschmelze fahren, wobei der Hafen selbst kaum über die erforderliche Abwicklungskapazität verfügt. Aus logistischen und damit aus Kostengründen hat Mozal bislang einen umfänglicheren Import von Anoden ausgeschlossen.

Gegen die komplette Schließung der Fabrik sprechen nach Ansicht der Betreiber auch technische Faktoren, die sich allerdings ebenfalls ökonomisch umrechnen lassen. Jedenfalls besteht das Risiko, daß die Öfen, in der die sogenannte Schmelzflußelektrolyse erfolgt, Schaden nehmen, sich das Aluminium verfestigt und ähnliches mehr. Die Fabrik verfügt über rund 540 solcher Öfen, die Zerstörung eines einzigen durch Stillstand würde Mozal 300.000 Dollar kosten.

Die Hauptschadstoffe, die bislang von den FTC-Filtern aufgefangen wurden und nun in die Umwelt entlassen werden, sind Fluorwasserstoff, Staubpartikel und Teer. Sowohl Mozal als auch die Regierung haben Gutachter zu Rate gezogen, die erklärten, daß die Emissionen in dem Zeitraum nicht die WHO-Grenzwerte überschreiten werden. Für das Unternehmen haben Forscher der physikalischen Abteilung der Eduardo Mondlane Universität in Maputo die Untersuchungen durchgeführt. Auch das Umweltministerium nahm die Expertise der Universität in Anspruch und hat zusätzlich ein Gutachten der US-amerikanischen Clark Laboratories erstellen lassen.

Fluorverbindungen sind sehr aggressiv. Laut der Gefahrstoffkennzeichnung gilt Fluorwasser als "sehr giftig" (T+) und "ätzend". Es reagiert leicht mit Wasser. Mozal emittiert jährlich 240 Tonnen Fluorwasserstoff, aufgrund der Filterarbeiten erhöht sich der Wert voraussichtlich auf 246 Tonnen. Bei den Staubemissionen sieht das Verhältnis noch krasser aus. Durch die Arbeiten würden die Staubemissionen von 78 auf 144 Tonnen im Jahr erhöht.

Die Staubbelastung am Matola-Fluß in der Nähe der Fabrik wird nicht mehr als 40 bis 50 Mikrogramm pro Kubikmeter betragen, an anderen Stellen nur 30 bis 40 Mikrogramm, so die Gutachter. Der Grenzwert für Staub liegt in Mosambik bei 200 Mikrogramm pro Kubikmeter, wobei die WHO das Limit auf 50 Mikrogramm senken will. [3] Der Umweltschützer Eurico Euripidou von der Organisation groundWork kritisierte in einer Email an die Nachrichtenagentur Sapa den Umweltbericht Mozals als "irreführend". Seiner Meinung nach wurde nicht berücksichtigt, daß sich die Luftverschmutzung über einen Zeitraum von vier Monaten erstreckt. [4] Die Reparaturarbeiten an den FCTs haben offenbar begonnen, noch bevor ein mosambikanisches Gericht über den Antrag von sechs Umweltgruppen (Environmental Justice, Centro Terra Viva, Kulima, Mozambican Human Rights League, Centre for Public Integrity) auf einstweilige Verfügung entschieden hat. [5]

Umweltministerin Abreu begründete ihre Entscheidung, die Umgehung der Filteranlagen zu genehmigen, mit dem Risiko, daß die Anlage und der Schornstein zusammenbrechen könnten. Dann würde sich das Gas in Bodennähe ausbreiten. Dadurch geriete die Situation völlig außer Kontrolle, wohingegen der By-pass kontrolliert und überwacht werde. Durch den By-pass werden die Leute nicht umkommen, sagte sie. Im Rahmen der Debatte über Für und Wider die Genehmigung verwies Premierminister Aires Ali auf Mozals "große Bedeutung für die mosambikanische Wirtschaft". Der Bau der Aluminiumschmelze sei ein Signal gewesen, daß "Mosambik hinsichtlich größerer Investitionen sicher ist". [6]

Das scheint ein wichtiger Punkt zu sein: Mosambik will im Rahmen afrikanischer und letztlich globaler Standortkonkurrenz nicht als wirtschaftsfeindlich gelten. Als übertrieben angesehene Umweltschutzmaßnahmen werden zugunsten des ununterbrochenen Betriebs der Aluminiumschmelze fallengelassen. Sicherlich wäre es sehr teurer, die Produktion für die Zeit der Reparaturen zu stoppen. Doch es stellt sich die Frage, welche Faktoren in eine solche Rechnung einbezogen werden. Woran bemißt sich "zu teuer"? Wie bewertet man den Erhalt der Gesundheit von Menschen im Verhältnis zu vielleicht betriebswirtschaftlich wünschenswerten, aber gesundheitlich risikoreicheren Maßnahmen? Und würde Mosambiks Umweltministerin zu der gleichen Entscheidung gelangen, wenn der Staat nicht zu einem gewissen Prozentsatz an dem Unternehmen beteiligt wäre oder von Mozal Steuereinnahmen in Millionenhöhe erwarten dürfte?

Die Fabrik muß Tag und Nacht, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr laufen; ein Stillstand würde andernfalls zu schweren Schädigungen zentraler Teile der gesamten Anlage führen. Die Aluminiumschmelze sollte das Bürgerkriegsland von der allgemeinen Armut befreien. Spätestens mit den aufwendigen Reparaturarbeiten zeigt sich, daß die Befreiung den Preis einer erneuten Fesselung hat, den der fortgesetzten Produktion und unhinterfragbaren Akzeptanz einer bestimmten Produktionsweise. Die mosambikanische Bevölkerung bekommt zur Zeit zu spüren, was es bedeuten könnte, eine Industriegesellschaft zu sein. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Agrargesellschaft eine wünschenswerte Alternative ist. Das Problem ist von grundsätzlicher Natur und betrifft die Vergesellschaftung des Menschen. Dazu gehört, daß einige Schaden erleiden, damit andere ihre Vorteile nicht verlieren.


*


Anmerkungen:

[1] "Mozambique: Renamo Denounces Mozal", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 3. November 2010
http://allafrica.com/stories/201011040097.html

[2] "Mozambique: Mozal 'By-Pass' Begins", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 17. November 2010
http://allafrica.com/stories/201011180150.html

[3] "Mozambique: Mozal Pledges Emissions Will Not Exceed Legal Limits", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 27. Oktober 2010
http://allafrica.com/stories/201010280277.html

[4] "BHP pollution report 'grossly misleading'", Sapa, 3. November 2010
http://www.timeslive.co.za/business/article742009.ece/BHP-pollution-report-grossly-misleading

[5] "Mozambique smelter ignores pollution limits", afrol News, 20. November 2010
http://www.afrol.com/articles/36949

[6] "Mozambique: Mozal Bypass Essential to Avoid Collapse", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 3. November 2010
http://allafrica.com/stories/201011040096.html

23. November 2010