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AFRIKA/2040: Addax Bioenergy in Sierra Leone - Umstrittenes Vorbildprojekt zur Ethanolproduktion (SB)


Landnahme 2.0

Oppositionelle, Kirchenvertreter und NGO-Mitglieder üben Kritik an vermeintlich mustergültigem Biospritprojekt in Sierra Leone


Dem Anschein nach macht Addax Bioenergy S.A. alles richtig. Die Tochtergesellschaft des in der Schweiz ansässige Energiekonzerns Addax & Oryx hat rund 50.000 Hektar Land in Sierra Leone gepachtet und will dort Zuckerrohr zur Herstellung von Biosprit für Europa und den Inlandmarkt anbauen. Ab 2013 soll die Produktion anlaufen. Damit es zu keiner Konkurrenz Tank versus Teller kommt, soll keine bereits bewirtschaftete Fläche einbezogen bzw. sollen Ausgleichsflächen geschaffen werden. Der gesamte Vorgang bis zum Vertragsabschluß sei transparent verlaufen, heißt es, die örtliche Bevölkerung sei in den Entscheidungsfindungsprozeß einbezogen worden.

Dennoch üben zivilgesellschaftliche Organisationen sowie eine sierraleonische Oppositionspartei Kritik an dem "land grabbing", wie sie es nennen, also der Landnahme zu Lasten der örtlichen Bevölkerung. Die Kritik der oppositionellen National Democratic Alliance (NDA) könnte man ja noch als das auf der ganzen Welt übliche Ringen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien abtun, aber anscheinend machte man es sich mit einer solchen Einschätzung zu einfach. Die NDA sorgt sich darüber, daß die Bauern aus der Makeni-Region ihr Land und ihre Lebensgrundlage verlieren. Der Pachtvertrag zwischen Regierung und Addax Bioenergy sei "illegal". NDA-Sprecher Mohamed Bah forderte die Regierung auf, die Abmachungen zurückzunehmen und örtliche Komitees einzuberufen, welche den Rücktransfer des Lands in die Hände der lokalen Bevölkerung überwachen. [1]

Sierra Leones Regierungssprecher Ibrahim Ben Kargbo weist dagegen die Vorwürfe strikt zurück. Das Land sei nicht illegal vergeben worden. Außerdem achte man darauf, daß die Biosprit-Firmen bestimmte Verantwortlichkeiten übernehmen. Im übrigen werde der Landverkauf weitere Investitionen anlocken, die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen ermöglichen und die Jugendarbeitslosigkeit verringern. Sierra Leone habe in den letzten 100 Jahren nur elf Prozent der bewirtschaftungsfähigen Landfläche von fünf Millionen Hektar in Gebrauch genommen. Deshalb treffe es nicht zu, daß die Bauern geschädigt werden. [1]

Abgesehen von den Zuckerrohr-Plantagen wird Addax & Oryx auch eine Raffinerie zur Produktion von Ethanol sowie ein Biomassekraftwerk errichten. Das soll elektrischen Strom sowohl für die Raffinerie als auch den örtlichen Bedarf, der dann zu 20 Prozent abgedeckt wird, erzeugen. Ebenfalls zu dem Projekt zählen Maßnahmen der "Förderung der Lebensmittelsicherheit und der sozioökonomischen Entwicklung in einer der ärmsten Regionen des Landes", schrieb Business Wire. [2]

Zumindest kann man Addax Bioenergy nicht nachsagen, daß es mit seinem Konzept nicht das Wohlwollen von Entwicklungsorganisationen, die über beträchtliche Finanzkapazitäten verfügen, gewonnen habe. Im vergangenen Monat schloß der Ethanolhersteller einen Darlehensvertrag in Höhe von 258 Mio. Euro mit sieben europäischen und afrikanischen Entwicklungsinstitutionen [3] ab, wie Business Wire berichtete. Drei Jahre lang seien die potentiellen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen dieses innovativen Modellprojekts für nachhaltige Investitionen in Afrika einer "strengen Prüfung" unterzogen worden. Und weiter: "Neben den unabhängigen Studien, die bereits vorgenommen wurden und der Öffentlichkeit vorliegen, werden die Finanzierungspartner eine kontinuierliche Überwachung des Projekts durchführen, um sicherzustellen, dass es seine Zusagen vollständig einhält." [2]

Weitere Vorzüge des Projekts, die von Business Wire betont werden, seien im folgenden gestrafft wiedergegeben: Zwecks Bewahrung der Biodiversität wird nur ein Drittel der Pacht tatsächlich genutzt; voraussichtlich müssen nur rund 80 Bewohner aus zwei Dörfern umgesiedelt werden und erhalten eine Entschädigung nach IFC-Leistungsstandards; örtliche Stämme wurden bei der Auswahl des Lands beteiligt; Initiierung eines landwirtschaftlichen Entwicklungsprogramms, im Rahmen dessen mehr als 2000 Hektar Land zur Lebensmittelerzeugung für die örtlichen Gemeinden bereitgestellt werden; Ergänzung des Projekts durch ein von der FAO erarbeitetes Schulungsprogramm für Landwirte; Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards, wie sie unter anderem von der Weltbank, EU und Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) aufgestellt wurden.

Letztere bezeichnet das Projekt als bisher größte privatwirtschaftliche Investition in den Landwirtschaftssektor Sierra Leones und sichtbares Beispiel für erfolgreiche Investitionen. Hat man es hier also endlich mit einem Musterbeispiel für eine sozial- und umweltverträgliche Biospritproduktion in Afrika zu tun? Die Angaben, so sie denn eingehalten werden, wirken auf den ersten Blick großartig. Wenn selbst die Einheimischen für das Projekt gestimmt haben, können seine Folgen so schlecht nicht sein, sollte man meinen. Aber deshalb seine Skepsis an der Tür abgeben? Besser nicht. Beispielsweise wird das Unternehmen eigenen Angaben nach "nur" ein Drittel der gepachteten Fläche benutzen. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß das übrige Land günstigenfalls so belassen wird, wie es bisher war; wahrscheinlich wird sich ein gewisser Nutzungsschaden auch dort nicht vermeiden lassen. Darauf deuten bereits die unterschiedlichen Bewertungen, ob das verpachtete Land "unwirtlich" war oder nicht.

Aber das soll hier gar nicht am Anfang der Erwägungen stehen, sondern etwas anderes: Addax Bioenergy errichtet eine Zuckerrohrplantage auf einer Fläche von 10.000 bis 20.000 Hektar, und nur weil das Unternehmen darüber hinaus landwirtschaftliche Fläche (übrigens zu ziemlich günstigen Preisen, wie berichtet wird [4]) gepachtet hat, soll die eigentliche Plantage eine Art Naturschutzprojekt sein? Das könnte jeder Investor behaupten, der mehr Land besitzt, als er (im Augenblick) bewirtschaften will. Und wenn das Addax-Biomassekraftwerk zu 20 Prozent der elektrischen Stromproduktion Sierra Leones beitragen wird, bringt sich der Staat damit in Abhängigkeit von dem Privatunternehmen und es stellt sich die Frage, wieviel er und somit die Verbraucherinnen und Verbraucher für den Strom bezahlen müssen. Immerhin räumt der Staat Addax Bioenergy Steuererleichterungen ein - wird ihm als "Gegenleistung" eine hohe Stromrechnung präsentiert, die er zu bezahlen hat?

Addax Bioenergy will mehrere tausend Arbeitsplätze schaffen. Dazu schrieb die Schweizer Entwicklungs-NGO InfoSüd aus Anlaß eines Symposiums "Unternehmen und Menschenrechte" im vergangenen Jahr in Genf: "Wo rund 17'000 Menschen vornehmlich von der Landwirtschaft leben, lässt Addax Bioenergy rund 2000 Arbeitsplätze schaffen." [4] Die betroffenen Bauernfamilien fühlten sich ungenügend informiert und "über den Tisch gezogen". Die finanzielle Entschädigung und Kompensation von Land seien "nicht transparent" geregelt, die Pachtpreise sehr niedrig.

Unterstützt werden die Kleinbauern von 50 NGO sowie den Kirchen, berichtete Mohamed Conteh vom sierraleonischen Netzwerk für Recht auf Nahrung (Sierra Leone Network on right to food - SiLNoRF) auf dem Symposium in Genf. Sämtliche Pachtverträge sollten überprüft werden. Zwar attestierte der Generalsekretär des Kirchenrats von Sierra Leone, Sahr Kemoore Salia, Addax Bioenergy gute Absichten, aber nun müsse das Projekt von "allen Parteien gemeinsam" weiterentwickelt werden, verlangte er.

Der Rechtsanwalt Sonkita Conteh aus Sierra Leone hat die Pachtverträge geprüft und festgestellt, daß die Bodennutzung auch für beliebige andere Zwecke gilt und daß das Unternehmen Rechte auf Wasserquellen besitzt. Das könnte sich als problematisch erweisen, falls einmal nicht genügend Wasser für die Landwirtschaft der nicht auf der Plantage arbeitenden Bauern übrig bleibt.

Etwas vorsichtigere Kritik äußerte Beat Dietschy, Zentralsekretär von Brot für alle (BFA). Addax begehe keinen "Landklau", aber es bestehe die Gefahr, "dass im Rahmen von Gesetzen das Recht auf Nahrung und der Zugang zu Wasser untergraben" wird, meint er [4]. Scharf geht hingegen The Oakland Institute mit Addax ins Gericht. Im Oktober 2010 seien nur rund 200 Einwohner für Gelegenheitsarbeiten eingestellt worden, ohne ein festes Monatseinkommen, sondern auf der Basis einer täglichen Entlohnung von 10.000 Leones (rund zwei Euro). Die Arbeiter erhielten keine Arbeitsplatzsicherheit und keine Nahrung während der Arbeit. [5]

Wenngleich nicht ausgeschlossen werden kann, daß diese Angaben von Oktober 2010 inzwischen überholt sind [6], geben sie zu denken. Womöglich besteht eine Diskrepanz zwischen vertraglichen Vereinbarungen und Zusagen auf der einen Seite und der praktischen Umsetzung auf der anderen. Zumindest behauptet das Oakland Institute unter Berufung auf örtliche Bauern, daß das von Addax gepachtete Land entgegen den Behauptungen sehr wohl fruchtbar war und daß darauf Reis angebaut wurde. Viele Bauern hätten dort auch Kassawa und Gemüse erzeugt.

Business Wire behauptet, für die Plantage würden "nur" zwei Weiler geräumt. Laut einer Studie zu den ökologischen-, sozialen und gesundheitlichen Folgen (Environmental, Social, and Health Impact Assessment - ESHIA), auf die sich das Oakland Institute bezieht, sind jedoch von dem Projekt 60 Dörfer mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 13.617 Personen betroffen [5]. Recherchen vor Ort und Befragungen in den örtlichen Gemeinden zeigten, daß keine ausreichenden Kompensationen für die Betroffenen geleistet würden. Noch 2009 seien sich viele Einwohner gar nicht über das Projekt im klaren gewesen. (Nach Unternehmensangaben wurden die Bauern jedoch von Anfang an, also bereits einige Jahre vorher, in den Entscheidungsfindungsvorgang einbezogen.)

Der für die Region zuständige Abgeordnete Marin Bangura von der Regierungspartei All People's Congress (APC) sehe sich selbst als "Brücke" zwischen seinen Leuten und dem Unternehmen. Er habe den Einwohnern versprochen, daß die von ihnen zum Reisanbau genutzte Region Bolilands nicht von Addax genutzt wird. Aber die Einwohner hätten dem Oakland Institute bei seinen Vor-Ort-Recherchen berichtete, daß sie sich von ihrem Abgeordneten in die Irre geführt fühlen. Jene Bolilands seien Ende 2010 entwässert worden, um mit dem Anbau von Zuckerrohr zu beginnen. [5]

Und weiter geht es mit der Kritik des Oakland Institute: Sierra Leones Präsident Bai Koroma habe zwar laut einem Bericht von Newstime Africa (9.2.2010) behauptet, daß das Ethanol für den lokalen Verbrauch und den Export nach Europa produziert werde, aber selbst der örtliche Addax-Manager Nikolai Germann erklärte, daß weniger als zehn Prozent des Ethanols vor Ort verbraucht würden, da es in Sierra Leone keinen Markt für Biosprit gebe.

Man hat es bei der Bewertung des Addax-Projekts also mit einer Gemengelage einander teils widersprechender Behauptungen und Mutmaßungen zu tun. Eine Kritik an der Biospritproduktion greift dann zu kurz, wenn die Voraussetzungen, die Produktionsverhältnisse, nicht einbezogen werden. In Sierra Leone herrscht verbreitete Armut; auch Hunger ist keine Seltenheit. Wenn es aber einem ausländischen Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Regierung und sogar örtlichen Vertretern gelingt, binnen weniger Jahre eine Plantage für Zuckerrohr sowie dessen Verarbeitung aufzuziehen, stellt sich die Frage, warum man das nicht schon längst gemacht hat, um beispielsweise den Hunger zu bekämpfen? Warum sind die Produktionsbedingungen so beschaffen, daß erst ein ausländischer, nach Profiten strebender Konzern kommen muß, um ein so großes Projekt aufzuziehen?

Bei aller unternehmerischer Rhetorik sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß Addax Bioenergy nicht aus altruistischen Motiven in Sierra Leone investiert. Es dürfte sich von dem Projekt unterm Strich Gewinne versprechen. Sämtliche Maßnahmen zur Einbindung und vermeintlichen Mitsprache der örtlichen Bevölkerung haben nur die Funktion, daß die in Sierra Leone geleistete Arbeit (einschließlich der exportierten Naturalien) mehr Wert beigemessen wird als der getätigten Investition. Wenn aber die Leistung höher bewertet wird als die Entlohnung könnte man den Vorgang als Betrug bezeichnen. Denn die eine Seite hat mehr geleistet, als sie erhält. Daß das nicht allein auf dem Mist von Addax gewachsen ist und daß die sierraleonische Bevölkerung nicht ausschließlich Verluste verzeichnet, sondern einige von dem Betrug profitieren, ändert prinzipiell nichts an dem Vorgang an sich.

Verglichen mit anderen Biospritproduzenten, die beispielsweise versucht haben, sich die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche Madagaskars anzueignen, wirken die Vereinbarungen und Zusagen von Addax wie ein Musterbeispiel für ethisch sauberes Wirtschaften. Allerdings wurden die Kriterien für Ethik, Sauberkeit und Wirtschaften von jenen gesellschaftlichen Interessen aufgestellt, die solche Geschäfte mit Sierra Leone als entwicklungsfördernde Investitionen und nicht als private Bereicherung bezeichnen.

Fußnoten:

[1] "Sierra Leone denies selling lands 'illegally'", Peter Clottey für VOA, 17. Juli 2011
http://www.africanagricultureblog.com/2011/07/sierra-leone-denies-selling-lands.html

[2] "Addax Bioenergy schließt Darlehensvertrag für ein 258 Mio. EUR Projekt für erneuerbare Energien in Sierra Leone ab", Business Wire, 17. Juni 2011
http://www.businesswire.com/news/home/20110617005705/de/

[3] Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), Emerging Africa Infrastructure Fund (EAIF), die Niederländische Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (FMO), die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG), die South African Industrial Development Corporation (IDC), die Belgische Entwicklungsbank (BIO), der von Cordiant verwaltete ICF Debt Pool. Der Schwedische Entwicklungsfonds und die FMO werden sich Addax & Oryx als Eigenkapitalpartner anschließen. [Quelle: siehe Fußnote 2]

[4] "Menschenrechte gelten auch für Unternehmen. Debatte mit Addax in Genf", InfoSüd, 5. November 2010
http://www.infosued.ch/cms2/index.php/aktuell/52-demokratie-grundrechte-uno/201-menschenrechte-gelten-auch-fuer-unternehmen

[5] "Understanding Land Investment Deals in Africa. Addax & Oryx Group Bioenergy Investment in Sierra Leone Land Deal", Juni 2011
http://media.oaklandinstitute.org/sites/oaklandinstitute.org/files/OI_Addex_Brief.pdf

[6] Einwohner der sierraleonischen Region Lungi kritisieren ihrerseits einen Report des Netzwerks SiLNRF. Auf einem Gemeindetreffen hätte ein Redner nach dem anderen erklärt, daß der Report nicht der Wahrheit entspreche. So habe der Landbesitzer Mohamed Koroma erklärt, er habe inzwischen schon das dritte Mal Gelder von Addax erhalten, zuletzt als Kompensation für Bäume und anderes, die von dem Projekt betroffen sind.
Quelle:
"In defence of Addax, Lungi Acre Community issues stern warning to lie-lie NGOs", Posted by: Cocorioko News, 18. Juli 2011
http://www.cocorioko.net/?p=13810

18. Juli 2011