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AFRIKA/2055: Tonnenweise Fisch in Somalia angeschwemmt - Todesursache Giftmüll? (SB)


Wird auch heute noch am Horn von Afrika illegal Giftmüll verklappt?


Am Strand der somalischen Hafenstadt Bossaso wurden schätzungsweise drei Tonnen tote Fische angeschwemmt. Der Generaldirektor des Fischereiministeriums der nach mehr Unabhängigkeit strebenden somalischen Provinz Puntland, Abdiwahid Mohamed Jo'ar, macht laut einem Bericht von Garowe Online [1] die illegale Versenkung von Giftmüll in somalischen Küstengewässern für das Sterben verantwortlich. Die Behörden untersuchten den Vorfall, habe der sichtlich aufgebrachte Behördenvertreter gegenüber der Presse erklärt.

Eine Bestätigung, daß der Fisch als Folge illegaler Giftmüllverklappungen verendet ist, liegt nicht vor. Denkbar sind auch andere Ursachen wie beispielsweise die Ausbreitung von toxischen Algen. Garowe Online zitiert den mauretanischen Diplomaten und ehemaligen UN-Sondergesandten für Somalia, Ahmedou Ould-Abdallah, der im Juli 2008 gegenüber der Nachrichtenagentur AFP gesagt habe, daß illegales Fischen und Müllverklappung in somalischen Gewässern eine Katastrophe für die Umwelt dieses Landes sei. Er sei überzeugt, daß dort "chemischer und wahrscheinlich nuklearen Abfall" versenkt werde.

Berichte über Giftmüllverklappungen am Horn von Afrika kamen bereits Anfang der neunziger Jahre auf, also kurz nachdem die Zentralregierung unter Präsident Siad Barre zusammenbrach und er aus dem Land fliehen mußte. Seitdem existiert in Somalia keine Zentralregierung mehr, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet besitzt, und auch keine offizielle Küstenwache zum Schutz der rund 3300 Kilometer lange Küste. Laut Berichten der italienischen Zeitung "Familgia Christiana", die sich unter anderem auf einen nicht veröffentlichen UN-Report berief, sowie der Umweltschutzorganisation Greenpeace hatten italienische und Schweizer Firmen zunächst in Verbindung mit dem Barre-Regime, später mit einheimischen Lokalpolitikern Müll im Meer abgeladen. Ganze Schiffe sollen dort versenkt worden sein. Eine Untersuchung durch das italienische Parlament hat die illegale Müllverklappung, Nuklearabfall inklusive, bestätigt.

Es spricht einiges für die These, daß die Seeräuberei vor der somalischen Küste aufblühte, nachdem erstens große Trawler die Fischgründe leergeräumt und die örtlichen Fischer kaum noch etwas gefangen hatten und zweitens diese etwas gegen die illegale Müllverklappung an ihrer Küste unternehmen wollten. Das bedeutet allerdings nicht, daß die heutige Seeräuberei von den gleichen hehren Motiven getragen ist wie ursprünglich. Das Entführen von Schiffen und Erpressen von Lösegeld hat sich zu einem eigenständigen Erwerbszweig entwickelt, wobei in Anlehnung an ein Brecht-Zitat gefragt werden könnte, was schlimmer ist, unermeßliche Warenströme an einem Armuts- und Hungerland wie Somalia vorbeizuführen oder aber hin und wieder ein Schiff zu entführen und für die Rückgabe Geld zu kassieren.

Das illegale Dumping halte bis heute an, schrieb der freischaffende Journalist Chris Milton 2009 im Magazin "The Ecologist". [2] Das muß nicht, kann aber die Ursache des aktuellen Fischsterbens von Bossaso sein. Radio Bar-kulan [3] berichtet, ebenfalls unter Berufung auf Puntlands Fischereidirektor, daß Reinigungsarbeiten mit erdölhaltigen Substanzen an Schiffen im Hafenbecken für das Fischsterben verantwortlich sind und daß er das untersuchen lassen werde.

Eine mögliche Ursache für das Fischsterben sind Algen. Im Januar, Februar 2002 war es an Küstenabschnitten von Kenia bis Somalia zum Massensterben von Meeresbewohnern aus zahlreichen verschiedenen Arten gekommen. Afrol News [4] meldete damals, daß der südafrikanische Meeresforscher Dr. Grant Pitcher Algen von der Art Karenia mikimotoi, die Neurotoxine produzierten, als wahrscheinliche Todesursache identifiziert habe. In den Berichten über das aktuelle Fischsterben von Somalia ist allerdings von keiner typischen Rotfärbung des Meeres aufgrund der Algenblüte die Rede, was diese Ursache als wenig wahrscheinlich erscheinen läßt.

Sollte sich herausstellen, daß nicht "nur" Tanks im Hafen von Bossaso chemisch gereinigt, sondern auch heute noch am Horn von Afrika Giftmüll von Unternehmen, die sich die hohen Entsorgungskosten sparen wollen, ins Meer gekippt wird, müssen sich die NATO- und EU-Staaten sowie alle anderen Akteure, die bei ihrem Kampf gegen Piraterie Kriegsschiffe in das von ihnen streng überwachte Meeresgebiet entsandt haben, einigen Fragen stellen: Dient das Militäraufgebot dem Schutz der somalischen Bevölkerung oder anderen Zwecken? Wird das illegale Verklappen von Abfall auf See verhindert? Dürfen ausländische Fischtrawler weiterhin somalische Fischgründe durchpflügen und die Bestände abfangen?



Anmerkungen:

[1] "Somalia: 3 tonnes of dead fish wash up on Bossaso shore ", Garowe Online, 19. Januar 2012
http://www.garoweonline.com/artman2/publish/Somalia_27/Somalia_3_tonnes_of_dead_fish_wash_up_on_Bossaso_shore.shtml

[2] "Somalia used as toxic dumping ground", The Ecologist, 1. März 2009
http://www.theecologist.org/News/news_analysis/268581/somalia_used_as_toxic_dumping_ground.html

[3] "Thousands of dead fish washed up on beaches near Bosaso Port", Bar-kulan, 18. Januar 2012
http://www.bar-kulan.com/2012/01/18/thousands-of-dead-fish-washed-up-on-beaches-near-bosaso-port/

[4] "Algae caused fish die-off in Somali and Kenyan waters", afrol News, 15. Februar 2002
http://www.afrol.com/News2002/ken002_som_fish_die2.htm

24. Januar 2012