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AFRIKA/2147: Die Stunden sind gezählt - Hungersnot in Äthiopien (SB)


Ökonomische Selektion wegen "Überbelastung" der Geberländer


Während Deutschland seine Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern längst nicht mehr nur versteckt, sondern unverblümt an seine eigenen wirtschaftlichen Interessen und Vorteilserwägungen bindet, verhungern auf dem schwarzen Kontinent immer mehr Menschen oder stehen an der Schwelle zum Hungertod.

Die Beseitigung des akuten Nahrungsmangels in einer Reihe von Ländern ist aus Sicht der Ökonomie weitgehend uninteressant. Zwar klauben große Lebensmittelkonzerne mit dem Konzept von Minimalportionen auch noch den letzten Cent aus den Taschen der Armen, aber die vielen mittellosen Menschen, die im Durchschnitt nicht mal einen Dollar am Tag zur Verfügung haben und bei denen rein gar nichts zu holen ist und deswegen erst gar nicht als Nachfragefaktor gerechnet werden, rutschen durch das Netz der Schnäppchenfischer. Das Desinteresse der Investoren an den verarmten Menschen steht im diametralen Verhältnis zu deren Not. Da hört die Menschenfreundlichkeit auf oder, deutlicher formuliert, sie läßt die Maske fallen.

In Äthiopien, dem zweitbevölkerungsreichsten Land Afrikas, sind 7,8 Millionen Menschen existentiell auf Lebensmittelhilfe angewiesen ... und im nächsten Monat müssen sie verhungern. Die Hilfe bleibt absehbar aus. John Graham, der für Äthiopien zuständige Direktor der Hilfsorganisation Save the Children, sagte laut AFP: "Wir erleben gerade, wie die Nahrungs-Pipeline zusammenbricht, so daß uns die Lebensmittel in rund einem Monat ausgehen." [1]

Weder die äthiopische Regierung noch die internationalen Hilfsorganisationen verfügen über genügend Nahrungsmittel, um alle vom Hunger betroffenen Menschen angemessen zu versorgen. In den Nachbarländern Somalia und Südsudan sieht es nicht anders aus. Hier verhindert vielerorts der Bürgerkrieg, daß die kargen Felder überhaupt bestellt werden. Noch oben drauf kommt eine in manchen Regionen seit Jahren anhaltende Dürre.

Zeitgleich zum Einzug von vollständigem Wassermangel in Gebieten, in denen es in der Vergangenheit wenigstens sporadisch hin und wieder geregnet hat, breitet sich unter Politikern in den Ländern des Globalen Nordens die selbstgefällige Einstellung aus, daß der Klimawandel eine Erfindung der Chinesen ist (US-Präsident Donald Trump) oder auch daß der Klimawandel mehr Chancen bietet - kürzere Handelswege via eisfreier Arktis - als mögliche negative ökologische Effekte (Berliner Kreis der CDU).

Schon immer waren die Appelle ärmerer Länder um Unterstützung für ihre hungernde Bevölkerung nur unzureichend beantwortet worden. Doch in diesem Jahr scheint die Ignoranz nochmals gewachsen zu sein. Da entsteht der Eindruck, als ob sich der geopolitische Kampf der Nationen um die aussichtsreichsten Plätze an den viel zu knappen Fleischtöpfen der Welt weiter zuspitzt und die Hungerleider und Habenichtse gezielter denn je von den anderen ins Abseits manövriert werden.

Mitiku Kassa, Leiter von Äthiopiens Nationaler Katastrophenschutzkommission, findet sogar noch Verständnis für die Geberländer, wenn er berichtet, daß die gegenwärtige Notlage in der Region so gravierend ist, daß diese Länder nicht so wie in der Vergangenheit darauf reagieren: "Sie sind belastet von dem Bedarf, insbesondere aus jenen Ländern, die eine Hungersnot erklärt haben. Das ist der Grund für die Unterfinanzierung."

Ist er das? Wenn beispielsweise allein die Hamburgische Bürgerschaft im Jahr 2015 bereit war, zur Rettung der angeschlagenen HSH Nordbank Kredite über 16,2 Milliarden Euro zu bewilligen, soll es der Gesamtheit der Geberländer nicht möglich sein, vier bis fünf Milliarden Euro aufzubringen, um damit die Hungernden nicht nur in Äthiopien, sondern in ganz Afrika rund ein Jahr lang mit Nahrung zu versorgen? Sind die Geberländer überstrapaziert oder sind sie nicht eher desinteressiert?

Demnach hat die äthiopische Regierung 117 Millionen Dollar und die internationale Staatengemeinschaft 302 Millionen Dollar aufgebracht, um den Hunger in Äthiopien zu bekämpfen. Laut den Vereinten Nationen bleibt eine Lücke von 481 Millionen Dollar. Den bevorstehenden Mangel bekommen die Hungernden vor Ort bereits heute empfindlich zu spüren. Beispielsweise müssen Hunderte von Binnenflüchtlingen in der äthiopischen Stadt Warder erleben, daß Hilfsgüter wie Reis und Zucker nicht mehr regelmäßig eintreffen. Mahlzeiten auszulassen wurde dort zur neuen Normalität.

Im Juli wird in vielen der rund 250 vor allem im Süden Äthiopiens liegenden Flüchtlingslager keine Nahrung mehr zu verteilen sein. Sollten sich die Geberländer bis dahin doch noch durchringen, die Versorgungslücke schließen zu wollen, käme die Unterstützung zu spät, denn die Vereinten Nationen rechnen mit rund vier Monaten für die Beschaffung von Nahrungsmitteln. In Äthiopien sind die Stunden der Hungernden gezählt.


Fußnoten:

[1] http://www.spacedaily.com/reports/Starvation_looms_as_food_runs_out_in_drought-hit_Ethiopia_999.html

22. Juni 2017


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