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AFRIKA/2186: Flüchtlingspolitik - Halden in der Wüste ... (SB)



Die Europäische Union möchte Flüchtlinge schon weit in ihrem Vorfeld auf afrikanischem Boden zurückweisen. Dort sollen Lager eingerichtet werden, in denen dann entschieden wird, wer in die EU einreisen darf und wer nicht. Die Afrikanische Union lehnt dies ab. Doch nun traf sich die EU mit der Arabischen Liga, und es wird befürchtet, daß mittels der arabischen Staaten in Nordafrika quasi durch die Hintertür die Lager doch noch gebaut werden. Vorbild ist Libyen. Dort sind rund 20.000 Menschen unter elendsten Bedingungen interniert. Berichtet wird von Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen, Aussetzen von Flüchtlingen in der Wüste und einem Sklavenmarkt. Für diese Art der "Verteidigung ihrer Werte", für die sich die EU gerne rühmt, ist sie unmittelbar verantwortlich, wurde doch Libyen vor sieben Jahren u.a. von den alten Kolonialmächten Frankreich, Großbritannien und Italien bombardiert und in Schutt und Asche gelegt.

Die Befürchtung der Afrikanischen Union, daß die EU via Arabische Liga ihre Ziele einer vorgelagerten Flüchtlingsabwehr doch noch durchsetzen könnte, ist nicht unbegründet. Schließlich hat sich die EU schon in der Vergangenheit über die Interessen ihrer angeblichen Partner auf Augenhöhe auf dem afrikanischen Kontinent hinweggesetzt.

Auch dafür steht Libyen als Beispiel. In den Tagen und Stunden vor Beginn der Bombardierung Libyens durch die französische Luftwaffe am 19. März 2011 hatte die Afrikanische Union, deren Rat für Frieden und Sicherheit (PSC) eigens ein aus fünf Staatsführern und dem AU-Kommissionspräsidenten zusammengesetztes Gremium zum Libyenkonflikt gebildet hatte, die westlich dominierte Kriegsallianz eindringlich gebeten, keine Flugverbotszone einzurichten und sich jeglicher militärischen Maßnahmen zu enthalten. Man wolle den Konflikt auf diplomatischem Wege lösen. Vergebens. Nicolas Sarkozy, französischer Machthaber und Präsident, innenpolitisch massiv unter Druck, suchte sein Heil in der außenpolitischen Gewaltorgie und befahl den Angriff. Warum er nicht auf die AU gehört hat? Nun, was ist von jemandem zu erwarten, der im Juli 2007 bei einer "Grundsatzrede" in der senegalesischen Hauptstadt Dakar seiner grundsätzlichen Einstellung zu Afrika mit den Worten Ausdruck verlieh:

"Afrikas Drama ist, dass der Afrikaner nicht genug in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer kennt nur den ewigen Wiederbeginn der Zeit im Rhythmus der endlosen Wiederholung derselben Gesten und derselben Worte. In dieser Geisteshaltung, wo alles immer wieder anfängt, gibt es Platz weder für das Abenteuer der Menschheit noch für die Idee des Fortschritts. In diesem Universum, wo die Natur alles regelt, entkommt der Mensch der Qual der Geschichte, die den modernen Menschen gefangen hält, und er bleibt regungslos in einer unveränderlichen Ordnung. Nie geht er auf die Zukunft zu. Nie kommt er auf die Idee, aus der Wiederholung auszutreten, um sich ein Schicksal zu erfinden. Dies ist das Problem Afrikas." (zitiert nach der "tageszeitung": http://www.taz.de/!5197317/)

Jener "Konflikt" in Libyen war, wie andere zuvor, übertrieben dargestellt worden. Man wollte ein Feindbild produzieren. Angeblich hatte der damalige libysche Staatschef und Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi die eigene Bevölkerung attackiert und sei im Begriff gewesen, einen Völkermord zu verüben. Ignoriert wurde bei dieser Behauptung, daß im Osten Libyens ein bewaffneter Aufstand stattfand, dessen Kämpfer Regierungsstellen angegriffen hatten.

Die "Befreiung" des Landes von der vermeintlichen Gewaltherrschaft Gaddafis bestand nun darin, daß ein Land, das mit die höchsten Lebens- und Sozialstandards in ganz Afrika besaß, in Schutt und Asche gelegt wurde. In Folge der Zerrüttung und instabilen Lage flossen große Mengen an Waffen von Libyen nach Mali und haben dort einen Aufstand verschärft. Außerdem sickerten Kombattanten aus dem arabischen Raum in Mali ein und übernahmen nach kurzer Zeit von rebellierenden Tuarek die Kontrolle. In Mali herrscht seitdem Bürgerkrieg, die Bundeswehr und andere westliche Streitkräfte befinden sich mittendrin.

Die AU hat also sehr gute Gründe, weswegen sie der Europäischen Union nicht traut und befürchtet, in der Flüchtlingsfrage hintergangen zu werden. Anfang der Woche berichtete Telepolis (http://www.heise.de/-4317107) unter Berufung auf die britische Zeitung "Guardian", daß sich die AU auf ein Papier geeinigt hat, das sich gegen die "regionalen Ausschiffungszentren" wendet.

Ob nun die Arabische Liga die von der EU gewünschten Zusagen gemacht hat, geht erwartungsgemäß aus dem gemeinsamen Abschlußdokument nicht hervor. Das bleibt wenig konkret, wenn es unter Punkt 3 unter anderem heißt, daß sich beide Seiten des "Phänomens der Migration" annehmen und verstärkt "irreguläre Migration" bekämpfen wollen. Und daß verstärkte Anstrengungen unternommen werden sollen, "um Menschenschmuggel zu verhindern und zu bekämpfen". Letzteres könnte somit bedeuten, daß Flüchtlinge aufgehalten werden sollen, und das geht dann nur in Lagern. Und die müssen streng bewacht werden. Denn daß ein Mensch, der womöglich monatelang unterwegs war und sogar die Sahara durchquert hat, um das Mittelmeer zu erreichen, nicht freiwillig wieder umkehrt, nur weil irgendein Polizist ihm das befiehlt, ist nachvollziehbar. Die von der EU vorgesehenen regionalen Ausschiffungszentren werden niemals den Charakter von Drehscheiben haben, die von den Flüchtenden aufgesucht werden, weil ihnen dort weitergeholfen wird, sondern immer nur den Charakter streng bewachter Haftlager mit geringer Aussicht auf Weiterfahrt. Das ist die logische Konsequenz.

Der ägyptische Machthaber und Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, der für die Arabische Liga das erste Gipfeltreffen mit der EU am 24. bis 25. Februar in Sharm-El-Sheikh geleitet hat, lehnt die Bildung von Lagern in "seinem" Land ab. Allerdings hat Ägypten das "Flüchtlingsproblem" auf seine Weise gelöst, so daß aus Al-Sisis Sicht womöglich nicht die Notwendigkeit zur Gründung von EU-Außenlagern besteht. Wobei nicht humanitäre Gründe ausschlaggebendes Motiv für seine Ablehnung sein dürften, denn ein Mensch, der reihenweise seine Artgenossen hinrichten oder in Gefängnisse stecken läßt, weil sie eine andere Meinung haben als er, dürfte nicht von Skrupeln geplagt sein. Al-Sisi hat zur Zeit den Vorsitz der AU-Kommission inne und sitzt damit an einflußreicher Stelle. Womöglich ist das letzte Wort zu Flüchtlingslagern noch nicht gesprochen.

Bisher hat sich die EU nicht von ihrem Konzept zur Einrichtung von Lagern auf afrikanischem Boden distanziert. Lediglich die Begriffe, mit denen solche Einrichtungen beschrieben werden, variieren im Laufe der Zeit. Die Bemühungen der Afrikanischen Union sind verständlich.

28. Februar 2019


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