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ASIEN/576: Indiens Terror-Vorwürfe an Pakistan wenig glaubwürdig (SB)


Indiens Terror-Vorwürfe an Pakistan wenig glaubwürdig

Indische Hardliner stilisieren Pakistan zum "Schurkenstaat" hoch


Bis heute reißen die Vorwürfe der indischen Regierung nicht ab, staatliche Stellen Pakistans wären in die spektakulären Terrorangriffe von Mumbai, die rund 180 Menschen das Leben kosteten und Ende November, Anfang Dezember mehrere Tage lang den Nachrichtenkonsumenten der Welt den Atem verschlug, verwickelt gewesen. Die Vorwürfe, für die die Regierung in Neu-Delhi den Amtskollegen in Islamabad bislang keine stichhaltigen Beweise vorgelegt haben soll, belasten das Klima zwischen den beiden Atommächten und halten die Kriegsgefahr virulent. Auf diese Weise werden alle Bemühungen um Versöhnung zwischen Indien und Pakistan vereitelt. Aber möglicherweise ist es genau das, was die indischen Kritiker Pakistans wollen.

Der Staat Pakistan wird durch den Krieg zwischen der NATO und den Taliban im benachbarten Afghanistan destabilisiert. Durch den Einmarsch regulärer pakistanischer Streitkräfte in die traditionell autonomen Stammesgebiete am Hindukusch - eine Flankierungsmaßnahme zur NATO-Präsenz in Afghanistan - und die US-Raketenangriffe auf mutmaßliche Taliban-Verstecke in der Grenzregion wird die Zentralregierung in Islamabad in den Augen der meisten Pakistaner diskreditiert. Auch wenn viele Menschen mit den Taliban oder den Islamisten nichts gemein haben, gewinnen diese in Pakistan immer mehr an Zulauf, weil sie die Souveränität des Landes vor den Hegemonialansprüchen Washingtons verteidigen. Der zusätzliche Druck aus Neu-Delhi, indem Pakistan als terroristischer "Schurkenstaat" dargestellt wird, dient weder der Aufklärung des Massakers von Mumbai noch hilft es der zivilen Regierung in Islamabad zu überleben.

Möglicherweise versuchen bestimmte Kräfte in Indien die derzeitige Schwäche Pakistans, das zusätzlich in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, auszunutzen, um das Nachbarland in das Chaos zu stürzen, damit es sich in seine ethnischen Einzelteile zerlegt. Bekanntlich gehört Neu-Delhi zu den größten Unterstützern der Regierung Hamid Karsais in Kabul. Bei einem Auseinanderbrechen Pakistans fielen eventuell dessen mehrheitlich von Paschtunen bewohnte Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan dem nördlichen Nachbarn zu. Das jahrzehntelange Problem der Trennung des paschtunischen Siedlungsgebietes durch die sogenannte Durand-Linie aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft wäre behoben.

In einem Interview, das am 22. Januar bei der indischen Hindustan Times erschienen ist, hat Admiral Sureesh Mehta, Chef der indischen Marine, behauptet, daß Pakistan die Verantwortung für die Angriffe von Mumbai trägt. Auf die Frage, ob die Attentäter Hilfe von staatlichen pakistanischen Stellen erhalten hatten, erklärte Mehta: "Natürlich gibt es indirekte Unterstützung. Einige professionelle Organisationen könnten darin verwickelt sein. ... Wie lernt man, so etwas zu tun? Woher hat man die Infrastruktur für eine solche Sache? Das sind alles Fragen, die eine Verwicklung professioneller Organisationen vermuten lassen. ... Die Pakistaner behaupten, daß keine staatliche Behörde darin verwickelt war, daß es nicht-staatliche Akteure waren, welche die Sache durchzogen. Wie dem auch sei, Tatsache ist, daß nicht-staatliche Akteure, die aus einem bestimmten Staat kommen, der Verantwortung dieses Staates unterliegen."

Vermutlich sollen die schweren Vorwürfe Mehtas von dessen eigenem Versagen und dem seiner Untergebenen ablenken. Bis heute gibt es jede Menge ungeklärter Fragen, wie die Attentäter von Mumbai, die schwerbewaffnet mit Booten von Pakistan in die westindische Metropole gekommen sein sollen, an Indiens Marine und Küstenwache vorbeigelangen konnten. Mehrmals vor dem Anschlägen von Mumbai soll die CIA entsprechende Warnungen an die Kollegen vom indischen Research and Analysis Wing (RAW) weitergeleitet haben, ohne daß dies etwas bewirkt hätte. Seit Ende des letzten Jahres steht zudem fest, daß mindestens einer der beiden Kaschmiris, welche die SIM-Karten für die Mobiltelefone der Attentäter besorgt haben sollen, Spitzel der indischen Spezialpolizei waren. In Indien - wie in vielen anderen Ländern - scheint es inzwischen kaum einen Anschlag zu geben, bei dem die eigenen staatlichen Stellen ihre Finger nicht im Spiel hatten.

Am 25. Januar meldeten die indischen Behörden, die Polizei habe an diesem Tag bei einer Schießerei am Rande der Hauptstadt zwei Terroristen erschossen und anschließend in deren Auto Granaten, mehrere Kalaschnikows und einen pakistanischen Reisepaß sichergestellt. Nach Polizeiangaben wurde damit ein geplanter Anschlag pakistanischer Terroristen in Neu-Delhi am nächsten Tag, am den dort die Feierlichkeiten zum Tage der Republik stattfinden sollten, vereitelt. Inzwischen hat die indische Presse, allen voran die Times of India, den Vorfall als blutiges Täuschungsmanöver entlarvt. Offenbar handelt es sich bei den beiden Toten um gewöhnliche Kleinkriminelle, die nach ihrer Ermordung durch die Polizei als pakistanische "Terroristen" herhalten sollten. Wer die Männer getötet sowie die Maschinengewehre vom Typ AK-47, Granaten und einen pakistanischen Paß besorgt und am Tatort gelegt hat, ist derzeit Gegenstand polizeilicher Ermittlungen.

Am 26. Januar wartete die in Dubai erscheinende Tageszeitung The National mit neuen Informationen über die Gruppe um den indischen Militärgeheimdienstler Oberstleutnant Prasad Purohit auf, die in den letzten drei Jahren mehrere schwere Anschläge in Indien durchführte und diese als das Werk von indischen Moslemfundamentalisten ausgab. Bei den Anschlägen wurden mehr als 100 Menschen getötet. Ziel der Purohit-Gruppe, deren Mitgliedern Verbindungen nicht nur zum indischen Militär, sondern auch zur hindu-nationalistischen Opposition, der Bharatiya Janata Party (BJP), nachgesagt werden, soll nach Angaben von The National die Errichtung einer reinen "Hindu Nation" gewesen sein. Zu diesem Zweck soll Purohit Verbündete bei den staatlichen Stellen in Israel und Nepal gesucht haben, um von diesen entsprechende Ausrüstung und Ausbildung zu erhalten. Durch die Festnahme Purohits im letzten Oktober fand das Treiben der Gruppe ein vorläufiges Ende. Welch ein Zufall war es dann, daß die ersten Opfern der Anschläge von Mumbai Hemant Karkare, der Chef des Anti-Terror Squad (ATS) im Bundesstaat Maharashtra, und dessen Assistenten Ashob Kamte und Vijay Salaskar waren, welche wenige Wochen zuvor der Purohit-Bande das Handwerk gelegt hatten.

28. Januar 2009