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ASIEN/587: Innenpolitische Krise in Pakistan spitzt sich zu (SB)


Innenpolitische Krise in Pakistan spitzt sich zu

Sharif und Islamisten schließen sich Juristen-Protestaktion an


In Pakistan, vor allem in der Provinz Punjab, dauern die Proteste gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 25. Februar, den Oppositionsführer Nawaz Sharif und seinen Bruder Shahbaz Sharif für amtsunfähig zu erklären bzw. ihnen das passive Wahlrecht abzusprechen, an. Die Entscheidung ist hochumstritten, weil sie fragwürdige Urteile, die nach dem Staatsstreich von General Pervez Musharraf 1999 gegen die beiden Sharif-Brüder verhängt wurden, stehenläßt. Darüber hinaus wurde die Entscheidung von Richtern getroffen, die nur deshalb im Obersten Gerichtshof sitzen, weil sie Ende 2007 ihre Loyalität gegenüber Musharraf erklärten, während zahlreiche ihrer Kollegen, darunter der damalige Vorsitzende des pakistanischen Supreme Court, Muhammed Iftikhar Chaudry, die auf ihre berufliche Unabhängigkeit von der Politik pochten, in die Wüste geschickt wurden.

Erschwerend kommt hinzu, daß Präsident Ali Asif Zardari unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils anstelle Shahbaz Sharifs kein Mitglied von dessen Pakistan Muslim League (Nawaz), sondern einen Vertrauten aus der eigenen Pakistan Peoples Party (PPP) als Ministerpräsident des Punjabs, des bevölkerungsreichsten und wohlhabendsten Gliedstaats Pakistans, eingesetzt hat. Gegen den Witwer von Benazir Bhutto wurden in den neunziger Jahren mehrere Anklagen, unter anderem wegen Korruption und Mord, erhoben. Zardari jedoch kam Ende 2007 infolge eines politischen Kuhhandels zwischen seiner Frau, ihrerseits PPP-Vorsitzende, und Musharraf in den Genuß einer dubiosen Immunitätsregelung mit Namen National Reconciliation Ordinance (NRO). Nach der Ermordung Bhuttos am 27. Dezember 2007 gingen im folgenden Frühjahr die PPP, in der Zardari die Führung übernommen hatte, und Sharifs PML-N als stärktste Parteien aus den Parlamentswahlen hervor. Die beiden Parteien bildeten zunächst eine Koalition, die jedoch an der Weigerung Zardaris, Chaudhry und die anderen entlassenen Richter wieder einzusetzen, zerbrach. Zuvor hatten sie jedoch Musharraf aus dem Präsidentenamt gedrängt, in das sich Zardari von der Bundesversammlung schnell hatte wählen lassen.

Während Zardari im Punjab nun versucht die dortigen Vertreter der PML-Q, die aus jenem Flügel der früher einheitlichen Pakistanischen Moslem-Liga besteht, der sich nach dem Putsch Musharrafs vor fast zehn Jahren mit dem neuen Machthaber arrangierte und von diesem mit Regierungsposten belohnt wurde, für eine Regierungsbeteiligung mit der PPP zu gewinnen, wollen die Sharif-Brüder an dem für Mitte März geplanten, landesweiten Protestmarsch von Pakistans Juristen teilnehmen. Deren Forderung nach Einsetzung der damals von Musharraf entlassenen Richter und einer Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit hat weitere Unterstützung erfahren, und zwar von der Jamaat-e-Islami. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Sharif in Lahore, der Hauptstadt des Punjab, rief der J-e-I-Chef Qazi Hussain Ahmed am 2. März die Mitglieder und Anhänger der stärksten islamistischen Partei Pakistans zur Teilnahme am Protestmarsch auf.

Am Tag davor hatte Sharif während eines Auftritts bei einem Seminar, das von der islamischen Schule Jamia Naeemia im Osten Lahores veranstaltet worden war, schwere Vorwürfe gegen Zardari erhoben und diesen bezichtigt, das frühere Wahlversprechen auf Erneuerung nicht eingelöst zu haben und statt dessen die Politik des zuletzt völlig diskreditierten Diktators Musharraf fortzusetzen. Sharif beklagte die Tatsache, daß Muslime zu Hunderten in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan entweder infolge der Kämpfe zwischen der Armee und paschtunischen Milizionären oder bei Drohnenangriffen der CIA ums Leben kommen, während im restlichen Land Millionen von Pakistanern unter Armut, Inflation und Ungerechtigkeit litten. Der PML-N-Chef erklärte, Pakistan müsse als Nation für die eigenen Rechte eintreten. Als Beispiel führte er seine Entscheidung von 1998 an, als er auf die indischen Atomtests pakistanische folgen ließ und dabei die wiederholten Forderungen von US-Präsident Bill Clinton, dies nicht zu tun, ignorierte. Nur Politiker, die keine Befehle aus anderen Ländern annähmen, könnten ihrem Volk dienen; dies treffe auf Zardari, der genauso wie sein Vorgänger Musharraf vor den USA kusche, nicht zu, so Sharif.

Die Ansichten Sharifs sind in Pakistan weit verbreitet, wenn nicht sogar mehrheitsfähig. Nicht umsonst hat sich der PML-N-Chef mit seiner Kritik an der Afghanistan- und Pakistan-Politik der USA, die ganz im Zeichen des sogenannten "Antiterrorkrieges" steht, zum populärsten Politiker Pakistans aufgeschwungen. Wie ablehnend die Pakistaner dem pro-amerikanischen Kurs von Zardari und der von der PPP angeführten Bundesregierung in Islamabad unter Premierminister Yousuf Raza Gilani gegenüberstehen, zeigt ein brisanter Artikel, der am 28. Februar vom Internet-Portal Pakistan Daily unter der Überschrift "Pakistani Military Torpedoes Pro-U.S. Govt.'s Case On Mumbai" veröffentlicht wurde.

In dem Artikel stellt Ahmed Quraishi dem Eingeständnis von Zardari und dessen mächtigem Berater Rehman Malik, die Anschläge von Mumbai im letzten November seien von Pakistan aus organisiert worden, die Erkenntnisse des Justizministeriums und der Marine Pakistans entgegen. Laut Admiral Noman Bashir, Generalstabschef der pakistanischen Marine, gibt es bis heute keine stichhaltigen Beweise für die von Malik am 16. Januar aufgestellte Behauptung, wonach Ajmal Kassab, der einzige lebend Festgenomme unter den Attentätern von Mumbai, die westindische Metropole auf dem Seeweg erreicht hätte. Quraishi führte Zardaris überraschende Entlassung von Vize-Justizminister Sardar Mohammad Ghazi am 27. Februar auf die Tatsache zurück, daß dieser entgegen dem Wunsch der Regierung in Islamabad, die dem Druck Washingtons und Neu-Delhis ständig nachgäbe, die Auslieferung Kassabs beantragt hätte, um diesen in Pakistan vernehmen und vor Gericht bringen zu können. Unter Verweis auf zahlreiche Indizien, die für eine Verwicklung der indischen Geheimdienste in die Ereignisse von Mumbai sprechen, schrieb Quraishi:

Zu einem Zeitpunkt, an dem die USA in Afghanistan in Schwierigkeiten stecken und mehr Druck auf Pakistan ausüben wollen, sind die Anschläge von Mumbai ein Segen. Die Angriffe erlauben es Washington, Druck auf das pakistanische Militär auszuüben und insbesondere den [Militärgeheimdienst] ISI zu erpressen. Sieht Pakistan ein, daß Kaschmiri-Gruppen hinter den Anschlägen steckten, würde das bedeuten, daß das pakistanische Militär eine Mitverantwortung trägt, und sein Anliegen, Befreiungsgruppen im indisch-besetzten Teil Kaschmirs zu unterstützen, wäre diskreditiert. Insgesamt bieten die Mumbai-Anschläge eine perfekte Gelegenheit, von Pakistans östlichen Grenzen aus sein Militär und seine Geheimdienst zu bedrohen, während die USA durch amerikanisch-inspirierte Aufstände in Afghanistan vom Westen her den Druck aufrechterhalten. Washington will ein entmanntes pakistanisches Militär, das in der Lage ist, Pakistan zusammenzuhalten, jedoch nicht die Fähigkeit hat, die nationalen Sicherheitsinteressen Pakistans zu verteidigen.

3. März 2009