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ASIEN/596: Afghanistans Taliban geben sich siegessicher (SB)


Afghanistans Taliban geben sich siegessicher

Obama will Bushs Demokratie-Kreuzzug am Hindukusch fortsetzen


Mit großen Tamtam hat am 6. Mai die US-Regierung ihre neue "Af-Pak"-Strategie aus der Taufe gehoben. Zuerst im State Department und danach im Weißen Haus empfingen Hillary Clinton und Barack Obama die Staatsoberhäupter von Afghanistan und Pakistan, Hamid Karsai und Ali Asif Zardari. An den trilateralen Beratungen nahmen auf amerikanischer Seite neben dem Präsidenten und seiner Chefdiplomatin der Nationale Sicherheitsberater Marineinfanteriegeneral a. D. James Jones, der Sonderberater für die Region Afghanistan-Pakistan, Richard Holbrooke, der CIA-Direktor Leon Panetta, der FBI-Chef Robert Mueller sowie der CENTCOM-Oberbefehlshaber General David Petraeus teil. Aus der ersten Riege fehlte nur Verteidigungsminister Robert Gates. Doch dieser weilte am Kriegsschauplatz. Am selben Tag traf der Pentagonchef, aus Saudi-Arabien kommend, in Kabul zu einem überraschenden Blitzbesuch ein, um mit den US-Militärkommandeuren über die bevorstehende Aufstockung der amerikanischen Truppen um 21.000 Mann zu sprechen.

Daheim in Washington wurden Karsai und Zardari laut Presseberichten von den Vertretern des Obama-Kabinetts in die Mangel genommen. Karsai, der seit Monaten von ranghohen US-Regierungsvertretern offen kritisiert wird, aber mit dessen Wiederwahl als Präsident im August sich Washington aufgrund fehlender Alternativen abgefunden zu haben scheint, wurde angehalten, mehr gegen die Korruption in der eigenen Administration zu tun und vermutlich auf seine Forderung nach Verhandlungen mit "gemäßigten" Taliban erst einmal zu verzichten. Zardari wurde Militär- und Wirtschaftshilfe in Höhe von 7,5 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt - unter der Bedingung natürlich, daß die Streitkräfte Islamabads den Kampf gegen die pakistanischen Taliban forcieren. Doch in Pakistan sind Zardari und die Besatzung des Nachbarlands durch westliche Interventionstruppen höchst unpopulär. Deswegen besteht die Gefahr, daß die Anti-Taliban-Offensive der pakistanischen Streitkräfte in der Grenzregion zu Afghanistan, die viele Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert, Tausende junger Pakistaner in die Arme der Islamisten treiben und das Land in den Bürgerkrieg stürzen könnte. Der aktuelle Vormarsch der Taliban in Afghanistan ist zu einem nicht geringen Teil auf die öffentliche Empörung über die vielen Zivilisten, die durch Bomben- und Raketenangriffe der US-Luftwaffe getötet werden, zurückzuführen. Gerade als der Dreier-Gipfel in Washington begann, wurde ein Luftangriff in der westafghanischen Provinz Farah bekannt, bei dem zwei Tage zuvor mehr als 100 Dorfbewohner, darunter viele Frauen und Kinder, getötet worden waren.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz aller drei Präsidenten erklärte Obama vor der Weltpresse, daß die Sicherheit der USA, Afghanistans und Pakistans "miteinander verbunden" seien, und legte folgendes Versprechen ab: "Der vor uns liegende Weg wird schwierig sein. Es wird mehr Gewalt geben, und es wird Rückschläge geben. Aber lassen Sie mich eines klarstellen. Die Vereinigten Staaten haben sich dauerhaft dazu verpflichtet, Al Kaida zu besiegen sowie die demokratisch-gewählten, souveränen Regierungen in Pakistan und Afghanistan zu unterstützen. Dieses Engagement wird nicht nachlassen, und diese Unterstützung wird aufrechterhalten." Mit diesen Worten hat sich Obama als Anhänger jener verkürzten Weltsicht der außen- und sicherheitspolitischen Elite in Washington entpuppt, wonach die Supermacht USA jeden Krieg gewinnen wird, solange es an der Heimatfront zu keinem "Dolchstoß" wie angeblich seinerzeit während des Vietnamkonflikts kommt.

Das markige Bekenntnis Obamas, mit dem der einstige Irakkriegsgegner offenbar seine Eignung zum Posten des Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte erneut unter Beweis stellen wollte, dürften die Taliban in Afghanistan und Pakistan nicht sonderlich beeindruckt haben. In einem Beitrag, der am 5. Mai auf der Website des US-Nachrichtensenders Cable News Network erschienen ist, berichtete der CNN-Korrespondent Nic Robertson von einem aufschlußreichen Interview, das er in den letzten Tagen an einen geheimen Ort in Afghanistan mit Zabiullah Mujahid, einem von zwei offiziellen Sprechern des Taliban-Chefs Mullah Omar, geführt hat. Gegenüber Robertson erklärte Mujahid, daß die Taliban zu Verhandlungen mit der Regierung Karsai und den USA bereit seien, um den Krieg zu beenden. Ihre Forderung laute: Abzug aller ausländischen Streitkräfte, auf daß im Anschluß die Afghanen alleine über die Regierungsform, die sie in ihrem Land haben wollen, abstimmen sollten, selbst wenn diese keine Demokratie, sondern ein islamischer Gottesstaat wäre.

Der rund 30 Jahre alte Mujahid bestritt, daß Mitglieder Al Kaidas an der Seite der Taliban kämpften, und stellte somit die Hauptbegründung Obamas für die Intervention der USA in Afghanistan, nämlich die Präsenz von hochgefährlichen "Extremisten", in Frage. Was das Thema der neuen Af-Pak-Strategie Washingtons und dessen Pläne zur Verdopplung der US-Streitkräfte in Afghanistan betrifft, schreibt Robertson:

Er sagt mir, es spiele keine Rolle, wie viele entsandt würden, denn sie würden nicht gewinnen: "Sollte das Pentagon überlegen, seine Strategie zu ändern, überlegen wir ebenfalls, unsere Strategie zu ändern. Sollen sie doch 20.000 Mann schicken und eine neue Offensive starten, denn das hier ist Krieg, und wir werden den Krieg beobachten und unsere Strategie entsprechend anpassen.

Zwischendurch lacht er, als ich sage, daß er es mit der stärksten Armee der Welt zu tun hat. Er weist darauf hin, daß die Taliban-Kämpfer keine Angst vor dem Sterben haben. "Sollen sie doch mehr Soldaten schicken und versuchen, die Lage zu ändern ... wir glauben nicht, daß sie überhaupt etwas erreichen werden. Afghanistan wird für sie wie Vietnam sein. Was ihre Strategie betrifft, so ist es die alte Bush-Strategie. Die Strategie hat sich gar nicht geändert. Ich möchte Ihnen deutlich machen, daß wir gewinnen werden und daß sie sterben werden."

Ähnlich zuversichtlich gab sich jener 28 Jahre alte "logistische Taktiker" der pakistanischen Taliban, mit dem Jane Perlez und Pir Zubair Shah über mehrere Monate für den ebenfalls am 5. Mai in der New York Times erschienenen Artikel "Porous Border With Pakistan Could Hinder U.S. Troops" gesprochen hatten. Dieser Mann, der sich als Mitstreiter von Mullah Mansoor, Unterkommandeur von Siraj Haqqani, Sohn des legendären Mudschaheddin-Anführers Jalaluddin Haqqani, ausgab, organisiert Angriffe auf die Nachschublinie der NATO zwischen Kandahar und Kabul und hilft, junge, bereits ausgebildete Männer für den Krieg in Afghanistan aus den pakistanischen Stammesgebieten über die Grenze zu schleusen. Im NYT-Artikel hieß es, der Taliban-Taktiker sei hinsichtlich der Pläne von CENTCOM-Chef Petraeus, die paschtunischen Stämme beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze mit Geld und Waffen gegeneinander auszuspielen, ähnlich wie er im Irak den sunnitischen Widerstand gebrochen hat, "gut informiert" und "unbesorgt". Dazu schreiben Perlez und Zubair Shah:

"Ich weiß vom Petraeus-Experiment dort", sagte er. "Wir kennen aber unsere Afghanen. Sie werden von Petraeus Geld annehmen, aber sie werden nicht auf seiner Seite sein. Es gibt so viele Leute, die für die Afghanen [die Armee Karsais] und die Amerikaner arbeiten und auf deren Gehaltsliste stehen, doch gleichzeitig geben sie uns Informationen und verkaufen uns Waffen."

Er räumte ein, daß die amerikanischen Streitkräfte in diesem Jahr die überlegenere Schlagkraft haben würden, war dennoch zuversichtlich, daß die Taliban diesen Vorteil in den eigenen würden ummünzen können. "Die Amerikaner können die Kontrolle über die Dörfer nicht übernehmen", sagte er. "Um ums zu vertreiben, werden sie auf Luftangriffe zurückgreifen müssen, und dann werden wir mehr zivile Opfer haben."

(...)

Die pakistanischen Taliban würden solange kämpfen, wie es dauert, die Amerikaner zu besiegen, sagte er. Am Ende dieser Kriegssaison "werden wir die Verluste zählen und sehen, wer dem anderen das Rückgrat gebrochen hat".

In einem Artikel, der am 6. Mai auf der Website Antiwar erschienen ist, hat William Pfaff, der langjährige Kommentator der International Herald Tribune, unter Verweis auf jene Ausführungen und die seines Erachtens völlig abwegigen "Af-Pak"-Ambitionen der Obama-Regierung folgende triftige Prognose abgegeben: "Strategie der 'Demokratie mit vorgehaltenem Gewehr' garantiert die Niederlage."

7. Mai 2009