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ASIEN/607: Besatzungsmächte wollen "die Taliban" spalten (SB)


Guter Taliban - böser Taliban


Da die Besatzungsmächte den afghanischen Widerstand nach eigenem Eingeständnis militärisch nicht besiegen können, setzen sie neben der Option eines mindestens noch zehn Jahre dauernden Krieges derzeit verstärkt auf die Spaltung der gegnerischen Kräfte, die sie unzulässig unter dem Konstrukt "Taliban" subsumieren. Als Taliban gilt erstens jeder getötete Afghane, sofern nicht zum Ärger der Besatzungstruppen der Nachweis erbracht wird, daß es sich um einen Zivilisten handelt. Ein Taliban ist zweitens jeder Feind, wobei man aus einer Reihe von Gründen geflissentlich ignoriert, daß man es mit unterschiedlichen Fraktionen zu tun hat, die einander in den meisten Fällen nicht über den Weg trauen, aber ein Zweckbündnis zum Kampf gegen die Besatzungssoldaten geschlossen haben. Unter Taliban versteht man drittens einen religiös motivierten Fanatiker, der aus radikalislamischen Gründen, also Haß auf alle Ungläubigen und deren Freiheit, als Terrorist seinen finsteren Machenschaften nachgeht.

Wie diese verworrene bis gezielt irreführende Verwendung des Begriffs "Taliban" zeigt, hat man es in der Regel entweder mit westlicher Unkenntnis oder gezielt eingesetzter Propaganda, vielleicht auch mit einer Mischung aus beidem zu tun. Folglich sind aktuelle Meldungen über eine Annäherung zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban wenn nicht sogar einen grundlegenden Strategiewechsel der Besatzungsmächte mit Vorsicht zu genießen, da es zuallererst zu klären gilt, von wem eigentlich die Rede ist. Daß die Alliierten wie jede Besatzungsmacht versuchen, die Bevölkerung des okkupierten Landes und insbesondere die Kräfte des Widerstands zu spalten, liegt auf der Hand, da das Regime anders nicht aufrechtzuerhalten wäre. Was jedoch diesbezüglich im Vorfeld der Wahlen vor sich geht, gilt es genauer unter die Lupe zu nehmen.

In einer Rede im Brüsseler NATO-Hauptquartier hat der britische Außenminister David Miliband eingeräumt, daß die Taliban nicht durch Waffengewalt allein zum Aufgeben gezwungen werden können. Erforderlich sei daher eine Aussöhnung mit moderaten Taliban, weshalb die künftige Regierung zwischen dem harten Kern der radikalislamischen Rebellen und bezahlten Kämpfern unterscheiden müsse. Unter den Aufständischen befänden sich viele Menschen, die keine Arbeit haben oder zum Kämpfen gezwungen werden. Die internationale Gemeinschaft müsse der afghanischen Regierung dabei helfen, die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Aufständischen aufzusplittern und die moderaten Kämpfer dazu zu bringen, nach einer Versöhnung gemäß der afghanischen Verfassung zu leben. Dafür bräuchten die ehemaligen Aufständischen Einnahmequellen, die es ihnen erlauben, wieder in ihren Dörfern als Bauern zu leben oder sich in einigen Fällen vielleicht auch den regulären afghanischen Sicherheitskräften anzuschließen. [1]

Wenngleich Miliband in der Annahme sicher nicht fehlgeht, daß die gegnerischen Kämpfer aus unterschiedlichen Gründen gegen die Besatzungstruppen und Kollaborateure zur Felde ziehen, mutet die extreme Simplifizierung seines Vorschlags eher wie ein politisches Sandkastenspiel an, das die Heimatfront in Europa und den USA beschwichtigen wie auch insbesondere Ruhe bis zu den Wahlen schaffen soll. Die grobe Klassifizierung in einen radikalen Kern auf der einen und bezahlte oder gezwungene Akteure auf der anderen Seite unterschlägt beispielsweise, daß die Ablehnung der ausländischen Eindringlinge ein verbindendes Element sein könnte, das ungeachtet aller sonstigen Gründe die gegnerischen Reihen schließt. Ausgeblendet wird auch, daß in erheblichem Umfang Krieg und Besatzung der Alliierten dazu führen, daß zahllose Afghanen ihrer Erwerbsmöglichkeiten beraubt sind.

Um zu beweisen, daß die neue Herangehensweise tatsächlich funktioniert, wird eine Waffenruhe angeführt, welche die Regierung in Kabul mit Taliban im Nordwesten des Landes vereinbart habe. Demnach haben sich die Aufständischen in der Provinz Badghis bereiterklärt, den Urnengang am 20. August nicht zu stören. Regierungsangaben zufolge sollen auch in anderen Landesteilen derartige Abkommen geschlossen werden. Die Kämpfer der Taliban zögen sich bereits aus drei bislang von ihnen kontrollierten Gebieten zurück und hätten zugesichert, Wahlhelfer und Wahllokale auch andernorts nicht anzugreifen. [2]

Das hört sich bemerkenswert an, wird jedoch bereits von Experten in Zweifel gezogen, die geltend machen, daß die Aufständischen im Norden in keiner engen Verbindung mit der Taliban-Führung um Mullah Omar stehen. Die regional verwurzelten Gruppen träfen unter dem Einfluß ihrer Stammesältesten Vereinbarungen, die ihren Interessen dienen. Dies als Friedensprozeß auszugeben, der nach und nach das ganze Land erfassen könne, leugne die grundlegend anderen Verhältnisse in den Hochburgen der Taliban im Osten und Süden des Landes.

Im Vorfeld der Wahlen hat sich die Sicherheitslage vielerorts massiv verschärft, wobei Angriffe auch in Landesteilen stattfanden, die zuvor weitgehend ruhig geblieben waren. Präsident Karsai wird von seinen Gegnern immer wieder vorgeworfen, er unternehme nicht genug, um die Sicherheit im Land zu verbessern. [3] Um trotz der zunehmenden Kämpfe als aussichtsreichster Kandidat ins Rennen zu gehen, läßt der vom Westen unterstützte Statthalter in Kabul nichts unversucht, Erfolge bei der Befriedung vorzuweisen. Man darf wohl annehmen, daß die Stillhalteabkommen bis zur Wahl, von denen in den zurückliegenden Wochen schon mehrfach die Rede war, mit ansehnlichen Gegenleistungen und Versprechen erkauft werden. Vor allem aber dürfte es sich nicht zuletzt um ein großangelegtes Propagandamanöver mit dem Zweck handeln, die Wiederwahl Karsais durchzusetzen.

Anmerkungen:

[1] Regierung in Kabul tastet sich an Taliban heran (27.07.09)
http://www.welt.de/politik/ausland/article4202180/Regierung-in-Kabul- tastet-sich-an-Taliban-heran.htm

[2] Afghanische Regierung und Taliban nähern sich an (27.07.09)
http://www.zeit.de/newsticker/2009/7/27/iptc-bdt-20090727-347- 21917696xml?

[3] Miliband fordert Aussöhnung mit moderaten Taliban (27.07.09)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jXQ32nbZbOP3Dc- aVrdaNnf9BWLg

27. Juli 2009